„Angewandt“ oder „frei“? Willi Baumeisters Kunst auf Papier

Noch immer hat die so genannte „angewandte Kunst“, hat das Design bei vielen Kunstfreunden einen Hautgout: Was da in Form von Plakaten oder Produktformen entsteht, hat nicht den Adel der hohen Kunst, sondern dient einem bestimmten Zweck. Dass diese strikte Trennung zwischen hoher „freier“ und angewandter (also „unfreier“) Kunst in unserer Zeit nicht mehr gelten sollte, ist nicht zuletzt dem Bauhaus zu verdanken, das sich in den 20er und frühen 30er Jahren für die Verbindung von Kunst und Handwerk einsetzte. Aber auch Künstler, von denen man eine solche Annäherung nicht unbedingt erwartet, haben sich schon früh für eine Verbindung beider Sparten eingesetzt. Willi Baumeister, für viele ein Inbegriff der abstrakten modernen Kunst des 20. Jahrhunderts, zählte zu ihnen, wie jetzt eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart deutlich macht: „auf papier“ – heißt sie, und scheint auf den ersten Blick eine ganz andere Seite dieses Künstlers zu zeigen, als man gewohnt ist…

 

Aber nicht nur, denn auch auf Papier blieb er durchaus der Baumeister, wie ihn etwa nach dem 2. Weltkrieg die Studenten an der Stuttgarter Akademie kannten – der Verfechter einer aus dem Unterbewussten schöpfenden Kunst, deren Formen einer ungewohnten, archaisch anmutenden Welt zuzugehören scheinen. So begegnen wir in einem großen Kabinett dieser Ausstellung denn auch dem Baumeister, wie man ihn kennt und seit Jahrzehnten liebt – kein Wunder: Für diese Arbeiten dienten nicht selten Gemälde aus seiner Hand als Vorlage. Zusammen mit dem großartigen Drucker Poldi Domberger schuf er von ihnen Serigraphien – Siebdrucke also. Doch Baumeister wechselte, wenn er sich der Druckgraphik zuwandte, keineswegs Beruf oder Berufung. Auch wenn seine Siebdrucke nicht selten Reprisen seiner Gemälde waren, so blieb er doch Künstler durch und durch. Keine dieser Serigraphien ist absolut identisch, wie es heutige Posterdrucke sind, alles ist Handarbeit, und zusammen mit Domberger entwickelte er den Siebdruck, der in den USA lange Zeit weitgehend zu Reklamezwecken eingesetzt wurde, zur künstlerischen Ausdrucksform. Der Druckgraphiker Baumeister blieb stets auch der Künstler Baumeister – selbst, als er in seinen frühen Jahren zweckgebundene Plakate entwarf.

Sein Plakat für die Ausstellung der Stuttgarter Sezession 1926 wirkt auf den ersten Blick schlicht – und steckt doch voller Raffinessen: Jede Zeile weist einen anderen Umgang mit der Schrift auf, subtil veränderte Baumeister die Größe der Buchstaben und zwang so den Betrachter, genau hinzusehen, und das ist schließlich die Hauptaufgabe eines Plakats. Hier merkt man, dass Baumeister in seinen frühen Jahren auch als Typograf gearbeitet hatte und 1928 sogar eine Professur für Typografie, Werbegrafik und Stoffdruck innehatte. Diese Kombination von raffinierter Detailarbeit und plakativer Wirkung beherrschte er nicht von Anfang an. 1919 schuf er ein Plakat zu einer Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst, und hier dürfte sich der flüchtige Passant schwer getan haben, herauszubekommen, um was es diesem Plakat ging: Die Buchstaben scheinen geradezu auf der Bildfläche zu tanzen. Das ist kein Plakat im eigentlichen Sinn, es ist ein künstlerischer Umgang mit dem Buchstaben als Gestaltungsmaterial. In einem Spektrum zwischen strikt angewandt (und funktionsbezogen) und rein künstlerisch steht dieses Bild sicherlich ganz nah am künstlerischen Pol.

Eine souveräne Kombination beider Aspekte gelang ihm in seinem Plakat zur Werkbundausstellung 1927, heute besser bekannt unter dem Schlagwort Weißenhofsiedlung, waren hier doch die „Exponate“ veritable Wohnhäuser. Baumeister integrierte in das Plakat das Foto eines altmodisch eingerichteten Wohnzimmers im Stil des 19. Jahrhunderts, strich es mit zwei dicken roten Strichen, die wie handgemalt wirken, durch und setzte darunter in klaren Lettern das Ideal des neuen Bauens: Verzicht auf Plüsch, rechte Winkel, Übersichtlichkeit, Zweckgebundenheit. Schon diese drei Plakate zeigen, dass Baumeister ständig auf der Suche nach dem Ideal war – auch in den künstlerischen Techniken, die er zusammen mit den von ihm ausgewählten Druckern zu ungeahnter Höhe trieb: Seine Lithographien beispielsweise reichen von aseptisch geometrischen Formen, die man eher dem Siebdruck zuordnet und denen jede persönliche Handschrift fehlt, bis hin zu frei mit dem Pinsel entworfenen organischen, malerischen Formen.

Als er für Ernst Tollers Theaterstück „Die Wandlung“ 1919 ein Bühnenbild entwarf, entfernte er sich geradezu extrem von jedem naturalistischen Setting und begnügte sich mit wenigen abstrakt wirkenden Versatzstücken und Licht, ließ so der Fantasie des Zuschauers freien Raum, wie auch in seinen Illustrationen zu „Salome“, auf denen nichts von der als grausam verschrieenen Prinzessin und dem enthaupteten Propheten Jochanaan zu sehen ist, allenfalls formale Andeutungen von Grundprinzipien wie weich (weiblich) und hart (männlich).

So zeigt die Ausstellung einen Künstler, der sich souverän zwischen der freien und der angewandten Kunst bewegte, für den beides „Kunst“ war. Wer Willi Baumeister, so macht ein Durchgang durch diese Präsentation deutlich, ist ohne seine Arbeiten „auf papier“ kennt, kennt nur den halben Baumeister.

auf papier … arbeiten von willi baumeister“ Kunstmuseum Stuttgart bis 22.1.2017

 

Zu dieser Ausstellung gibt einen Film auf Youtube von Horst Simschek und mir

 

 

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