Eigenständig und doch vergessen: Riccarda Gregor/Gohr-Grieshaber

Es gibt Künstler, die auf ihre Umgebung einen nachhaltigen Eindruck ausüben und doch in der breiteren Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten sind. Riccarda Gohr zählt zu ihnen. Emil Kiess, einer der faszinierendsten Maler im deutschen Südwesten, der seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Konzepten dem Wirken und der gegenseitigen Beeinflussung der Farben nachspürt, nennt sie noch heute „Frau Gohr“ im Ton großer Verehrung. Sie habe ihn den Eigenwert der Farbe erkennen gelehrt. Den Namen Gohr hatte sie von ihrem Ehemann Hans Gohr; die Ehe scheiterte. Mit Geburtsnamen hieß sie Pfeiffer, als Künstlernamen wählte sie den männlichen Vornamen Gregor, und in ihrer zweiten Ehe nannte sie sich Riccarda Gregor-Grieshaber – vielleicht ist schon diese Namensvielfalt ein Grund dafür, weshalb man sich nicht leicht tut, sie einzuordnen. Eine Ausstellung im Wasserschloss Glatt heißt denn auch schlicht: „Riccarda“.

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                                                            Motorradfahrer, um 1952

Motorradfahrer“ lautet der Titel eines großformatigen Gemäldes, das Riccarda (damals wohl Gregor) 1952 malte. Sie nahm damit direkten Bezug auf die Umgebung, in der sie sich befand. 1950 war sie in das ehemalige Kloster Bernstein bei Sulz im Schwarzwald gekommen, ihr Bruder, der Maler Hans Pfeiffer, war an der dortigen, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg unter französischer Besatzung von Paul Kälberer gegründeten Kunstschule Lehrer. Die Akademie in Stuttgart war nach dem Krieg noch geschlossen, Kälberer wollte jungen Kunstwilligen auf diese Weise eine solide Malausbildung ermöglichen. Nach der Gründung wollte er sich alsbald zurückziehen, und sehr schnell schon übernahm Riccarda Gohr die wesentlichen Aufgaben dieses Kunstexperiments – und sie brachte neuen Wind in die bis dahin eher konservativ orientierte Schule. Mit expressiven kräftigen Farben und stark geometrisch abstrahierten Farbflächen gestaltete sie Szenen aus dem Leben um sie herum. In diesem Fall war es das Motorrad, das HAP Grieshaber mit nach Bernstein brachte, als er hierher als neuer Lehrer berufen wurde – von Riccarda Gohr.

Das war sicher ein konsequenter Schritt, denn mit Grieshaber kam ein weiterer Schub der Moderne in die Schule. Manchen war dieser Schub zu stark. Emil Kiess hätte wohl gerne allein unter ihrer Ägide seine Erkundungen in die Welt der Farbe gemacht – denn darin war sie eine Meisterin. Vom Expressionismus hatte sie die Farbigkeit übernommen, von der Moderne der Neuen Sachlichkeit die klaren Formen. Daraus entwickelte sie einen ganz eigenen Stil. Ganz unsachlich wirbeln auf ihren Bildern die Farbflächen durcheinander, schaffen ein flirrendes Farbgeschehen und bringen eine unbändige Bewegung in die Bildwelten. Auf ihrem Porträt eines Treppenhauses mischt sie raffiniert die unterschiedlichsten Perspektiven, die Figuren sind, meist nur angeschnitten, in direkter Aufsicht porträtiert. 03_riccardagohrkriegum1945-616x900

Krieg, um 1945

Auf ihrem Kriegsbild rauchen die Hausdächer mit dicken grauen Qualmwolken, beherrscht ein in düsterem Grau gemalter Panzer die Fläche. Im „Sozialamt“ kombinierte sie körperliche Versehrtheit mit der zeitverschlingenden Warteschlange in der Behörde. Im „Odeon“ führte sie drastisch käufliche Liebe vor, und „Unter den Brücken“ zeigt anhand von verschlungenen Leibern eine Vergewaltigung, die sie auf der Flucht aus Ostpreußen selbst erlebte.

Wie subtil sie mit Farbe umgehen konnte, zeigt ihr „Milchschaf“, das ganz in bläulich-grau gehalten ist; mit glattem Farbauftrag sind die staksigen nackten Beine charakterisiert, mit einem Gewirr aus kurzen runden Strichen das Weichwollige des Fells, ein Bild ganz Ton in Ton in vielerlei Nuancen.

Es ist leicht nachzuvollziehen, wie stark diese Künstlerin auf die jungen Bernsteinschüler gewirkt haben mochte – bis der charismatische HAP Grieshaber dazustieß und vor allem sie selbst in seinen Bann zog. Durch seine Holzschnitttechnik ließ sie sich zu einem eher trocken-flächigen Stil hinreißen, was zu einem Spätwerk führte, das die Ausdruckskraft ihrer Arbeiten vor dieser Begegnung nicht mehr erreichte. Vielleicht hat sie es selbst gemerkt, denn sie gab die Malerei auf, widmete sich der Familie, schrieb Bücher. Vermutlich war dies der Anfang jener Vergessenheit, die diese Künstlerin noch immer umgibt. Die Ausstellung in Glatt ist eine späte Wiedergutmachung.

Riccarda. Pfeiffer – Gohr – Gregor – Grieshaber. Die vergessene Malerin vom Bernstein“, Wasserschloss Glatt bis 4.12.2016. Katalog 10 Euro

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