Ein Museum der Forschung – das MUT in Tübingen

Das Museum einer Stadt erfasst die Geschichte einer Kommune – anhand bedeutender Persönlichkeiten, wichtiger Ereignisse, bedeutender Daten. Wie aber erfasst man die Geschichte einer Universität? Ist es eine Abfolge bedeutender Wissenschaftler, die es zu porträtieren gilt, ist es die Funktion im Geistesleben des Landes, der Stadt? In Tübingen wird der Versuch unternommen, museal das zu erfassen, was eine Universität eigentlich ausmacht: die Forschung selbst.

01_unterwasserflieger-4-900x675

Über sechzig wissenschaftliche Sammlungen gibt es in der Universität, nahezu jedes Institut hat eine eigene. Mal dient sie immer noch der Forschung, wie etwa in der Archäologie, wo die Objekte selbst Forschungsgegenstand sind, meist aber gehören ihre Inhalte früheren Zeiten an. So verfügt die Hautklinik über eine der größten Sammlungen an Moulagen, Wachsabdrucken von Hautkrankheiten, doch ruhten sie weitgehend vergessen im Archiv – bis Ernst Seidl, der Leiter des universitären Museums, sie erfassen, katalogisieren und wissenschaftlich aufarbeiten ließ. Damit schlug er ein bedeutendes und anschauliches Kapitel der Wissenschaftsgeschichte dieser Fachrichtung auf. Das Resultat: eine umfangreiche Publikation und eine Sonderausstellung im Wechselausstellungsraum im Tübinger Schloss, denn über entsprechend große eigene Räume, gar ein eigenes Haus verfügt dieses Museum nicht. Das wäre auch nahezu unmöglich angesichts so vieler umfangreicher Sammlungen. Daher werden die Objekte dort präsentiert, wo sie zumindest früher einmal Anwendung fanden: in den Instituten selbst – dem des Botanischen Gartens, im Fachbereich Mathematik oder im Psychologischen Institut.

Dort dienen die Gänge als Ausstellungsplatz für Objekte zur Veranschaulichung psychischer Prozese und Funktionsweisen, von der Wundertrommel, einem Handkino früherer Zeiten, bis zu einem Gerät zur Messung der Aufmerksamkeit und Konzentration.

Diese Ausstellungen entsprechen dem, was ein herkömmliches Museum als Dauerausstellung präsentiert. Aber es gibt auch Einzelausstellungen, meist sehr große, in denen die unterschiedlichsten Disziplinen zu einem Thema zusammengefasst werden. Der Körper diente so als Thema, der Himmel, die Zeit des Nationalsozialismus – stets orientiert an dem, was die Universität und ihre Forschung hierzu beizusteuern hatte und hat.

Und auch die Arbeit der Museums ist ganz von der Universität geprägt. Die Ausstellungen werden in der Regel mit Studentengruppen erarbeitet, die auf diese Weise alle Aspekte musealer Arbeit kennenlernen können. Inzwischen ist aus diesen anfänglichen Arbeitsgruppen ein regelrechter Masterstudiengang entstanden.

So wird im Museum der Universität die Geschichte der Forschung lebendig – bis hin zu einschlägigen Orten. 03_dsc_3265-1200x801In der ehemaligen Küche des Tübinger Schlosses fand eine Zeitlang biochemische Forschung statt, sogar Grundlagenforschung. Hier entdeckte Friedrich Mielscher die Nukleinsäure und legte damit den Grundstein zur Erforschung der DNA. Das ist die Präsentation historischer und gegenwärtiger Forschung, wie sie sich in Objekten niedergeschlagen hat, an historischem Ort mit Bezug zu gegenwärtiger Forschungsarbeit – hier zeigt sich wohl am besten das Wesen eines Museums, das streng genommen kein Museum ist, weil es keinen festen Ort hat, eines Museums, das sich die Institution zum Ausstellungsort anverwandelt hat, an der die Forschung stattfindet: die Universität selbst. Im MUT ist universitäre Forschung zum Ausstellungsobjekt geworden und die Universität zu ihrem eigenen Museum.

Zu dieser Ausstellung gibt es einen Film von Horst Simschek und mir auf Youtube

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert