Was ist der Stoff, aus dem Gemälde sind? Susanne Paesler im Schauwerk Sindelfingen

Lange Zeit waren Künstlerinnen auf das beschränkt, was man heute gern als angewandte Kunst definiert: Sie fertigten Stickereien an, entwarfen Wandteppiche, die zwar schon künstlerische Gestaltungsmerkmale aufwiesen, aber eben doch noch ganz dem verhaftet waren, was man als typisch weibliche Tätigkeit ansah: Handarbeit. Wenn in unseren Tagen eine Künstlerin wie Rosemarie Trockel ihre Arbeiten strickt oder Herdplatten illusionistisch exakt nachbildet und an die Wände hängt, dann weist sie demonstrativ – und mit einem Schuss sarkastischer Ironie – auf dieses Phänomen hin. Auch Susanne Paesler, die zehn Jahre nach Rosemarie Trockel geboren wurde, verwendete „weibliche“ Materialien wie Stoffmuster, zielte damit aber in eine ganz andere Richtung, wie jetzt eine Retrospektive dieser mit 43 Jahren 2006 verstorbenen Künstlerin im Schauwerk Sindelfingen zeigt.

 

Man fühlt sich in die Modewelt Großbritanniens versetzt, eine konservative Welt, in der Muster eine lange Tradition haben und immer noch aktuell sind: Schottenmuster beispielsweise mit den großen roten Karos oder Burlingtonpulloveer mit den großen Rauten. Sie prägen die Bilder von Susanne Paesler, aber sie hat nicht Stoffe auf die Keilrahmen gespannt, wie es vor ihr Sigmar Polke getan hat, der sie dann freilich noch bemalte, sondern sie hat die Muster exakt abgemalt, und damit gar nicht erst ein Zweifel aufkommen kann, dass es sich um „Stoffbilder“ handelt, hat sie jegliche Stofflichkeit eliminiert: Ihre Bilder sind kühl, aseptisch clean auf Aluminium gemalt. Da gibt es keine Fadenstruktur, aber auch keine persönliche Handschrift der Künstlerin.

Damit wirft sie gleich ein ganzes Bündel an Fragen auf, die weit mehr sind als die Hinterfragung typischer Gendermerkmale; sie zielen ins Zentrum der modernen Malerei generell. Da die Bilder nicht Stoffe nachahmen, sind es streng genommen Gemälde in der Tradition der konstruktivistisch-abstrakten Malerei eines Mondrian oder eines El Lisitzky. Susanne Paesler malt nicht Stoffe, sie malt Muster. Andererseits ist die Ähnlichkeit mit Stoffen aus dem Alltag unverkennbar. Wir sehen in diesen Bildern sofort Anspielungen auf Herrentaschentücher früherer Modeepochen, auf Tellersets für den Esstisch, auf Kleiderstoffe – und wir verbinden zugleich auch konkrete Kontexte mit ihnen: den eines traditionell gekleideten Menschen, den einer Esskultur der 80er oder 90er Jahre. Was wie Stoffnachahmung wirkt, zugleich aber auch konstruktivistische Malerei ist, wird unversehens auch zu einer Aussage über soziale Zusammenhänge.

Vor allem aber sind diese Bilder Auseinandersetzungen mit der Frage, ob das traditionelle Tafelbild in unserer Zeit noch eine Funktion hat. Immer wieder malte Susanne Paesler um ihre Stoffmusterbilder Rahmen in täuschender Trompe-l’oeil-Tradition. Aber auch da muss man genau hinsehen, denn mal umgeben diese „Rahmen“ die Bilder wie mit einem Gehäuse, wie es in der Ölmalerei jahrhundertelang üblich war, mal scheinen sie sich auch umgekehrt so nach vorn zu wölben, dass einem das eigentliche Bild geradezu entgegenkommt. So wird aus dem Bild ein reines Objekt – bei Susanne Paesler landet man, ausgehend von konkreten, auf den ersten Blick sehr schlicht wirkenden Bildern, stets sehr schnell bei grundsätzlichen Fragen.

Aber Malerei kann nicht nur durch einen Rahmen zum Bild werden, sondern auch durch einen Namen, sofern ein Künstler sich einen solchen gemacht hat. So finden sich aus ihrer Hand Gemälde, die wie die Drippingbilder eines Jackson Pollock wirken.

Aber es sind nicht Kopien echter Pollocks, es sind Bilder, die sie im Stil eines Pollock gemalt hat, und die Formulierung „im Stil eines Pollock“ macht aus dem Künstler Pollock einen Markennamen. Ähnlich hat sie Lucio Fontanas „Markenzeichen“ aufgegriffen, der ja mit dem Messer in seine Bildflächen große Schnitte einfügte; bei Paesler sind sie natürlich, wie alles in ihrer Kunst, gemalte Täuschungen. Große Kunst, so will sie uns sagen, ist stets in Gefahr, zur Marke zu werden – und damit in Gefahr, nicht mehr als individuelles Kunstwerk wahrgenommen zu werden. Man sieht „einen Picasso“, einen „van Gogh“, nicht aber die subtilen Individualitäten, die auch in den bekanntesten Gemälden stecken. Damit ist Paeslers Kunst auch ein Kommentar zu den Wahrnehmungsgewohnheiten der Kunstbetrachter und Museumsbesucher.

Die Sindelfinger Ausstellung zeigt, dass die Entwicklung dieser Künstlerin, obwohl ihr nur kurze Zeit beschieden war, erstaunlich konsequent war. Als sie sich der informellen Malerei eines Hans Hartung zuwandte, fand sie schließlich zu völlig neuen eigenen Ausdrucksformen. Sie kombinierte den ganz persönlich wirkenden Pinselstrich, der wie der Spontaneität des Augenblicks entsprungen zu sein scheint, mit klaren geometrischen Formen – und macht dem Betrachter deutlich, wie schnell er sich von Signalen täuschen lässt. Ein farbiger Kreis im Hintergrund einer informellen Zeichnung kann als Reflex auf die ostasiatische Zeichenkunst interpretiert werden, als Bild eines auf- oder untergehenden Mondes hinter einer filigranen Federzeichnung.

 

Rätsel, nicht nur kunsttheoretische Fragen, wirft ihr allerletztes Bild auf: Es ahmt weder Stoffe nach noch die Malweise berühmter Kollegen nach, es zeigt ganz eigene Züge. Die Gebilde auf der Leinwand wirken wie abstrahierte Kronleuchter – und rechts unten findet sich ihre Signatur: Nicht in Blockbuchstaben, wie auf früheren Bildern, auf denen sie Labels berühmter Stofffirmen nachahmte, sondern in freier Handschrift, allerdings nicht direkt auf die Leinwand gemalt, sondern erst von Hand geschrieben, dann kopiert und vergrößert und als Stück Papier auf das Bild geklebt: Auch die Signatur ist nur ein Label – und es bleibt die Frage, in welche Richtung sich Susanne Paesler nach diesem Bild entwickelt hätte, denn es ist ein typischer „Paesler“ mit all den theoretischen Konnotationen, die es aufwirft, aber zugleich auch ein ganze neuer.

Susanne Paesler. Retrospektive“, Schauwerk Sindelfingen bis 22.1.2017. Katalog 95 Seiten

 

 

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