Zum Greifen nah. Das Württembergische Landesmuseum präsentiert seine „Wahren Schätze“

Ginge es nach dem Kulturverständnis früherer Jahrhunderte, dann wäre Cornelia Ewigleben, die Direktorin des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart, auch Herrscherin über die Staatsgalerie, das Völkerkundemuseum und das Lindenmuseum, denn letztlich, so macht ein Ausstellungsraum in der neuen Präsentation deutlich, gingen all diese Kulturinstitutionen aus der Kunstkammer der württembergischen Herzöge hervor, die eben nicht nur Kunstobjekte vom Kunsthandwerk bis zur Malerei, sondern auch Exotika aus fernen Ländern und Naturkundliches aus Ausgrabungen beheimatet.

Schausammlung "Wahre Schätze. Antike • Kelten • Kunstkammer", Raumansicht "Kunstkammer", Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

© H.Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, szenographie valentine koppenhöfer

Sie steht denn auch im Zentrum des neuen Ausstellung, in der das Landesmuseum Schätze ausbreitet, die jahrelang nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich waren; damit für den Besucher zugleich auch plastisch nachvollziehbar wird, was eine solche Kunstkammer früheren Potentaten bedeutete, führen die Ausstellungsdesigner des Landesmuseums den Besucher denn auch in eine Kammer, abgedunkelt, von der Außenwelt (sprich: den übrigen Museumsräumen) abgegrenzt. Man betritt eine Welt des Staunens, denn das sollten diese Kammern in erster Linie sein, eine Welt, in der Kuriositäten ebenso versammelt waren wie Kunstobjekte aller Kulturen: aztekische Federschilder aus dem Mexiko des 16. Jahrhunderts (30 Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Columbus), ein Schildkrötenautomat zur Belustigung einer zweijährigen Prinzessin, Nachbildungen großer Kunstwerke wie dem Bronzerelief zum Triumphzug Kaiser Maximilians nach dem Vorbild keines Geringeren als Albrecht Dürer, und natürlich Schmuck, Glaskunstwerk, kostbares Ess- und Trinkgeschirr.

Was zu Beginn möglicherweise eher chaotisch als Sammelsurium vereint war, wurde bereits von den Herzögen kunstvoll geordnet und präsentiert, schließlich wollte man damit auch angeben, und so ahmt auch die neue Museumspräsentation die alten Ordnungsprinzipien mithilfe von Vitrinen, Regalen und Tischen nach. Allein diese Abteilung wäre ein Besuch des Landesmuseums wert, schließlich kann das Auge an rund 1.400 Exponaten hängen bleiben.

Die beiden anderen „Schatzkammern“ Baden-Württembergs befanden sich nicht in fürstlichen Gemäuern, sonder auf freier Flur, genauer, unter der Erde, und ihre Preziosen stammen weitgehend aus der Zeit vor Christi Geburt. Mit 164 Kilometern befindet sich vom Limes, der Grenzmauer, die das römische Reich gegen seine (meist feindlichen) Nachbarn schützte, das längste Stück dieses größten archäologischen Denkmals Europas im Bereich des heutigen Baden-Württemberg. Die hier ausgegrabenen Fundstücke stammen zwar aus der Zeit nach nach Christus, doch die Sammlung des Landesmuseums greift weit in die Jahrhunderte davor zurück – in die griechische und römische Antike, und auch, und das macht die Sammlung besonders interessant, in die etruskische. So kann die neue Ausstellung zeigen, wie sich über Jahrhunderte hinweg die Kulturen miteinander vermischten, und zugleich doch ihre Eigenheiten bewahren konnten. Am deutlichsten macht das die Abteilung: Jenseits. An Grabbeilagen lassen sich wesentliche Erkenntnisse über die religiösen Vorstellungen einer Kultur gewinnen. So waren sie bei den Römern erstaunlich spärlich, bestanden meist nur aus einigen Münzen, „Fahrtgeld“ für das Übersetzen in die Unterwelt, während die Etrusker ihren Toten üppiges Trink- und Essgeschirr beigaben, nicht nur für die lange Reise nach dem Hinscheiden, sondern auch für die gemeinsamen Gastmähler, die die Toten ihrer Vorstellung nach im Jenseits mit ihren anderen bereits verstorbenen Lieben abhielten. Eine ähnliche Mischung aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden weisen die Götterwelten auf, die durchweg üppig bevölkert waren und von einem Himmels- oder Wettergott angeführt wurden, hieß er nun Zeus, Jupiter oder Tinia.

Büste des Germanicus, Inv. Nr. Arch 66/5. Antikensammlung Archäologie. Marmor

Büste des Nero Julius Caesar Fundort unbekannt, 20/25 n. Chr. Landesmuseum Württemberg, Stuttgart © H. Zwietasch; Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

Und wer eine Vorform unseres heutigen Strebens nach Außenwirkung erleben will (ob in Form begehrter Teilnahmen von Politikern an Talkshows, ob in Form begehrter, wenn auch nicht immer korrekt erworbener Titel), braucht sich nur an den Steinstatuen römischer Kaiser zu orientieren, von denen der offenbar immer junge Augustus insofern herausragt, als er stets alterslos erhaben wirkt und sich noch im Alter von 76 Jahren als strammen Vierzigjährigen darstellen ließ.

Und neben den Römern hat das heutige Baden-Württemberg noch eine weitere antike Kultur vorzuweisen, um deren Relikte das Land weltweit beneidet wird, die der Kelten. Auch sie, das machen die Exponate deutlich, waren kein Barbarenvolk im Norden, sondern eine Hochkultur, sozial strikt dynastisch gegliedert, die ihre kulturellen Anleihen bis in den Süden Italiens machte, was nicht zuletzt den äußerst seltenen Stoffrelikten zu entnehmen ist, deren Rotfärbung mithilfe einer im Mittelmeer zur Tönung verwendeten Laus bewerkstelligt wurde.

Die Ausstellung präsentiert ihre über 2.000 Exponate anschaulich in thematischen Zusammenhängen, ohne zu künstlichen Inszenierungen zu greifen.

Inv. Nr. 8723. Asperg "Kleinaspergle", Kreis Ludwigsburg. Schnabelkanne, Stamnos, Rippenziste, Zierscheibe, Trinkhornbeschläge, attische Trinkschalen. um 420 v. Chr.

Grabinventar mit Schnabelkanne, Stamnos, Rippenziste, Zierscheibe, Trinkhornbeschlägen und attischen Trinkschalen Asperg, „Kleinaspergle“ Kreis Ludwigsburg, um 420 v. Chr. Landesmuseum Württemberg, Stuttgart © P. Frankenstein, H. Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

So sind die im keltischen Fürstengrab Hohenaspergle bei Ludwigsburg gefundenen Trinkgefäße in genau der Reihenfolge präsentiert, wie sie den Phasen eines antiken Gelages entsprechen. Die Münzen in der württembergischen Kunstkammer lassen sich in einer der zahlreichen Medienstationen virtuell umdrehen, sodass man beide Seiten der Medaille zu sehen bekommt, und alle Exponate sind, sofern sie aus konservatorischen Gründen in Vitrinen geschützt werden müssen, dank einem entspiegelten Glas so präsent, dass man mit der Hand nach ihnen greifen möchte.

So bleibt an Kritik letztlich nur – ihr Reichtum, die pure Zahl. Jedes der 2.300 Stücke lässt sich ohnehin nicht hinreichend würdigen (obwohl es jedes einzelne verdient hätte), doch selbst für einen mehrstündigen Aufenthalt übersteigt die Masse die Aufnahmefähigkeit eines Besuchers. So bleibt letztlich nur ein Ausweg: Pro Besuch nur eine Abteilung – dafür wäre eine ermäßigte „Sammelkarte“ als besucherfreundliches Angebot noch ein Desiderat; der Katalog ist ja schon auf drei einzeln erwerbbare Bände aufgeteilt. Sie sind eine gelungene Mischung aus historischem Abriss, Beschreibung des Exponate und Geschichte der jeweiligen Sammlungsbereiche des Museums.

Wahre Schätze. Antike – Kelten – Kunstkammer.“ Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Altes Schloss

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