Zwischen Alter und Neuer Welt: Jürgen Glockers Roman über einen Amerikaner im Schwarzwald

Als der Baron de Montesquieu zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine kritische Bestandsaufnahme seines Heimatlandes veröffentlichen wollte, die alles andere als positiv ausfallen sollte, erfand er zwei Perser, die in ihren Briefen in die Heimat von ihren Erfahrungen in diesem für sie doch recht sonderbaren Land Frankreich berichteten (im 20. Jahrhundert wählte Herbert Rosendorfer für seine bayrische Heimat einen chinesischen Mandarin). Jürgen Glocker, Kulturreferent des Landkreises Waldshut-Tiengen, der schon mit einem amüsanten und zugleich gesellschaftskritischen Roman über einen Kater hervorgetreten ist, der das Leben eines kinderlosen Ehepaars durcheinander wirbelt, wählte einen weniger exotischen Reisenden: Er schickt einen amerikanischen Linguistikprofessor in seine Heimat, den Südschwarzwald.

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Dem Titel des Romans nach zu urteilen, erlebt dieser Professor Meyers dort „glückliche Tage“, und die hat er auch dringend nötig, denn zu Beginn ist Glockers Buch eine Kritik am American Way of Life: an der dortigen snobistischen High Society ebenso wie am psychologisch gesehen verheerenden Alltag an amerikanischen Universitäten. Wer dort dem „publish or perish“-Prinzip nicht folgt, geht unter, und Meyers gehört zu den ewigen Verlierern. Bald schon nimmt ihn die Welt gefangen, der er sich durch seine deutschstämmigen Vorfahren irgendwie verbunden fühlt: die abgeschiedene Winterwelt des Südschwarzwalds – eine Welt, wie sie unterschiedlicher als seine amerikanische im sonnigen Kalifornien nicht sein könnte, dörflich, skurril, vor allem geprägt von einem für einen Linguisten zwar interessanten, aber selbst für einen deutschstämmigen Amerikaner anfangs kaum verständlichen Dialekt.

Anders als bei Montesquieu und Rosendorfer aber bleibt Glocker nicht bei der Schilderung einer befremdlich anmutenden neuen Welt stehen, bei ihm entwickelt Carl Meyers alsbald eine psychische Tiefe, wie sie die Berichterstatter eines asiatischen Reiches bei seinen Vorgängern nicht hatten: Meyers ist nicht nur als Wissenschaftler gescheitert, auch als Sohn, dessen Vater während seines Deutschlandaufenthaltes stirbt, und als Liebhaber, der es am Ende allerdings noch einmal mit seiner amerikanischen Gefährtin, vor der er unter anderem durch sein Schwarzwälder Erlebnis entfliehen will, versuchen wird.

Dazwischen liegt eine Assimilation des US-Bürgers an kleinstädtische deutsche Verhältnisse, ein Schwelgen in deutscher Kultur, Literatur (allen voran Johann Peter Hebel) und Landschaft und eine amour fou mit einer jungen Studentin – glückliche Tage eben, die ein wenig an Henry Millers „Stille Tage in Clichy“ erinnern, die auch voller Liebeseskapaden sind, die ähnlich wie die von Meyers im Nichts enden.

Zwischen diesen Polen entfaltet Glocker ein Porträt seiner Heimat, das liebevoll und sarkastisch zugleich ist. Die unberührte Natur, der Schnee, die Weite der Einsamkeit lässt auch Meyers nicht kalt, die malerische Brillanz eines Franz Xaver Winterhalter, der einst die Großen der europäischen Fürstenhöfe porträtierte und dem im schwarzwälderischen Menzenschwang ein kleines Museum gewidmet ist, die raue und zugleich doch auch wieder herzliche Art der Einwohner, all das bezaubert den Gast, so wie die Exaltiertheiten des vom Tourismus pervertierten Schwarzwalds, der Kleingeist dörflichen Misstrauens und falsch verstandene Volksfestseligkeit (bei der Verleihung des Hans Thoma-Preises) ihn befremden – und den Autor Glocker, so ist zu vermuten, abstoßen, denn über lange Strecken ist sein Buch, das aus den Tagebucheinträgen seines Helden besteht, dann doch wieder das, was die Herren Montesquieu und Rosendorfer mit ihren Fremden zu Papier gebracht haben: ein kritisches Porträt dessen, was der Autor gern auf Wanderungen geistig notiert und fotografisch festhält. Dass dem Maler eine solche Aufmerksamkeit zuteil wird, dürfte den nicht verwundern, der Glockers rege Kulturtätigkeit in Schloss Bonndorf verfolgt, wo er dem zu seiner Zeit europaweit berühmten Künstler eine Ausstellung widmete. So erklären sich vor allem in der zweiten Romanhälfte auch allzu viele Skitouren, die über weite Strecken eben doch die Ausflugsfreuden eines schwarzwaldbegeisterten Autors wiedergeben. Ob er sich freilich mit so manchen kritischen Seitenhieben überall Freunde macht, darf bezweifelt werden, auch wenn die Urteile vordergründig dem Kopf von Glockers Helden entspringen, der auf den Weihnachtsrummel im Freiburg geradezu angewidert reagiert.

Doch dann gewinnt wieder der Romanautor Glocker die Oberhand. Raffiniert lässt er Handlungsstränge ineinander laufen, entwickelt Parallelstränge (wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der zwei Geliebten), lässt seinen Protagonisten in Lebensgefahr geraten (das Herz), schließlich aber die junge Geliebte sterben (Aneurysma). Vor allem findet Glocker immer wieder zu prägnanten Beobachtungen, so etwa, dass den Fahrplanansagen auf deutschen Bahnhöfen kaum anzumerken ist, ob man in Hamburg oder Freiburg sei, dass aber nur wenige Schritte aus dem Bahnhof hinaus den Reisenden in eine von Dialekt geprägte Welt führen, so dicht liegen behördliche Einheitssprache und individuelle Regionalität beieinander.

Am Ende scheint sich alles zum Guten zu wenden: ein akademischer Neuanfang winkt in den Staaten, die alte, bereits gescheitert geglaubte Beziehung verspricht wiederaufzuleben. Auf die „glücklichen Tage im Schwarzwald“ könnte dauerhaftes Glück in den USA folgen, stünde über diesem „Glück“ am Ende nicht wie ein Menetekel der Name Samuel Beckett (erfreulicherweise ohne dass, ganz im Unterschied zu so manchen anderen Anspielungen, der Ire hier genannt wird). Glocker, dessen Bücher nie verleugnen, dass sie aus der Feder eines Intellektuellen stammen, und der seiner Lust an literarischen, musikalischen und cineastischen Anspielungen hin und wieder allzu freien Lauf lässt, verabschiedet seinen Helden in sein künftiges Leben mit einem Zitat aus Becketts Stück, das dem Roman seinen Titel gab: „Glückliche Tage“. Spätestens damit ist deutlich: Ändern dürfte sich für diesen Carl Meyers nichts, er ist allerdings um ein paar existentielle Erfahrungen reicher, und das kann immerhin nicht jeder von sich behaupten.

Jürgen Glocker. Glückliche Tage im Schwarzwald. Edition Isele, 407 Seiten, 17.90 Euro

Ein Gedanke zu „Zwischen Alter und Neuer Welt: Jürgen Glockers Roman über einen Amerikaner im Schwarzwald

  1. Nancy

    Danke für Ihren nützlichen Beitrag.

    Ich habe Ihren Blog schon seit einiger Zeit im Feed abonniert.
    Und jetzt musste mich mal zu Wort melden und ein „Danke“ hinterlassen.

    Machen Sie genauso weiter, freue mich schon auf die nächsten Artikel

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