Ravenna – antike Metropole zwischen West und Ost. Judith Herrins Porträt einer ungewöhnlichen Stadt

Alle Wege führen nach Rom“ – Augustus erklärte damit die Stadt am Tiber zum Zentrum des Imperiums und machte das mit einer vergoldeten Säule 20 n. Chr. deutlich, die katholische Kirche und mit ihr vor allem der Papst Jahrhunderte danach ebenso, und das nicht nur in geistlicher Hinsicht. Die Kehrseite dieser Maxime erlebte die ewige Stadt freilich auch: Immer wieder war sie Ziel feindlicher Anstürme bis hin zu Eroberung und Plünderung. Ganz im Gegensatz zu Ravenna. Die Stadt, in sumpfigem Gelände auf Holzpfählen errichtet, galt als uneinnehmbar – und das machte sie zu einer würdigen Nachfolgerin Roms. Dass sie während dieser Zeit ihre ganz eigene Kultur entwickelte, zeigt die Historikerin Judith Herrin: Ravenna – Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen.

Lange schon war Rom nicht mehr der Nabel der politischen Welt. Die Kaiser, die nicht selten aus Militärkreisen stammten und oft an der Front waren, hatten nicht mehr die enge Beziehung zur Urbs wie noch zu Zeiten der frühen Kaiser, von Caesar oder Augustus ganz zu schweigen. Vor allem galt Rom als militärisch heikel, und die Einfälle der kriegerischen Barbaren, wie die Römer all jene Völker außerhalb des Imperiums nannten, mehrten sich und wurden immer zudringlicher. So verlegte man die Residenz nach Ravenna, das aufgrund seiner Lage als uneinnehmbar galt, was sich bereits wenige Jahre nach dieser Verlegung beweisen sollte.

Der Aufstieg Ravennas zur Hauptstadt zumindest des Weströmischen Reiches war begründet, ein Aufstieg, den die Stadt, wie Judith Herrin darlegt, nicht zuletzt einzelnen Persönlichkeiten zu verdanken hatte, allen voran einer Frau. Ob Ravenna den Platz in der politischen Geschichte des römischen Reiches und in der Kulturgeschichte eingenommen hätte, wäre Galla Placidia, die Tochter des Kaisers Theodosius I., nicht für ihren minderjährigen Sohn und späteren Kaiser Valentinian III. lange Zeit faktisch die Regentin des Reiches geworden, ist fraglich; zumindest hätte die Stadt wohl kaum das prachtvolle Aussehen erhalten, dessen sie immer wieder gerühmt wurde. Galla Placidia wusste genau, wie sehr Prunkbauten auch eine Art Propaganda für die Herrschenden sein können. Unter ihr und dann unter den ihr in dieser Hinsicht würdig nachfolgenden großen Herrscherpersönlichkeiten entwickelte sich die einzigartige Mosaikkultur Ravennas, die sich nicht auf Bodenbeläge beschränkte, wie bis dahin weitgehend üblich, sondern ganze Wände zierte. Entsprechend waren die in dieser Mosaikkultur ausgebildeten Spezialisten deutlich besser bezahlt als ihre für die Fußböden zuständigen Kollegen, wie man einem der zahlreichen Kapitel entnehmen kann, die den Lebensbedingungen in dieser Stadt gewidmet sind und einen lebendigen Eindruck von der Alltagskultur, wenn auch nur der gehobenen Kreise, vermitteln.

Vor allem Theoderich der Große führte diese Bautradition von Galla Placidia weiter und intensivierte deren Nutzung für die Propaganda der eigenen Person. Überwältigend muss der Eindruck der so geschaffenen Bauten und Prunkräume auf die hohen Gäste gewesen sein, die man nicht ohne Absicht in solche mit riesigen Herrscherporträts geschmückten Säle führte. Von den weltlichen Bauten ist vergleichsweise wenig erhalten geblieben, das diesen Eindruck vermitteln könnte. Die weltlichen Bauten wurden nicht selten in späteren Phasen als „Steinbrüche“ für den Bau neuer Kirchen genutzt. Noch Karl der Große ließ Säulen und Marmor aus Ravenna für den Bau seiner Kaiserpfalz in Aachen bringen.

Galla Placidia war Christin, und damit förderte sie, was in der weiteren Geschichte der Stadt von Bedeutung sein sollte – den Einfluss der Kirche. Immer wieder sollten nach ihr machtvolle – und machtgierige – Bischöfe die Position dieser Stadt in der politischen Welt stärken.

Die zweite bedeutende Persönlichkeit, die zugleich deutlich macht, wie sehr die ursprünglichen Herrscherschichten des weströmischen Reichs zunehmend von außen unterwandert worden waren, ist der Gote Theoderich der Große, anhand dessen Regierung Judith Herrin vor allem auch die Bedeutung der innerchristlichen theologischen Kontroversen herausstreichen kann, die stets auch machtpolitische Dimensionen hatten: Politik war zeitweise vom Glauben nicht zu trennen –

– wie auch nicht von Gewalt, Intrige und Rufmord, die wesentlichen Anteil am politischen Pokerspiel hatten. Hier liest sich die Geschichte der Stadt wie der Zeit überhaupt gelegentlich wie ein Politkrimi.

Dabei kam Ravenna sicher auch zugute, das durch die Teilung des ursprünglichen riesigen Imperium Romanum in ein West- und ein Oströmisches Reich zunehmend eine Rivalität zwischen beiden Hälften aufkam, in der letztlich durch starke Persönlichkeiten Konstantinopel als das Zweite Rom die Oberhand gewinnen sollte.

Das wiederum wirkte sich auf die Kultur dieser Stadt aus, die nicht zuletzt durch Bauwerke und die bildnerische Innenausstattung der Paläste und Kirchen weit über ihre Grenzen hinaus Ruhm erlangte – einen Ruhm, der sich bis in das frühe Mittelalter erstrecken sollte, denn Karl der Große bewegte sich, zumindest was die Möglichkeiten kaiserlicher Repräsentation betraf, durchaus in der Tradition einer Galla Placidia und eines Theoderich mit ihrer Bautätigkeit.

So sehr Karl der Große seine eigene Politik nördlich der Alpen prägte – ohne das Vorbild Ravenna wäre Aachen und sein Dom nicht, was es durch ihn wurde. Verstand sich Konstantinopel in der Antike als das Zweite Rom, so ist das Aachen Karls des Großen, wenn man so will, das Zweite Ravenna, noch heute in der Architektur ablesbar.

Judith Herrin, Ravenna. Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen, Theiss Verlag, 640 Seiten, 39 Euro

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