Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Gerhard W. Feuchters Papierkunst

Wenn heute ein Student an der Akademie eine Zeichen- oder Malklasse besucht, dann steht ihm als Ausgangsmaterial Zeichenpapier oder Leinwand zur Verfügung. In früheren Jahrhunderten hat man auch auf Holzplatten gemalt. Das alles ist nicht mehr als der Grund, auf dem das spätere Kunstwerk entstehen soll. Der Tübinger Künstler Gerhard Feuchter geht in seinen Arbeiten einen Schritt in diesem Produktionsprozess zurück. Er bemalt nicht fertiges Papier – er stellt sein Papier erst einmal her, nach Jahrhunderte alten Verfahren – und weil das Papier, das er dabei erhält, nichts mit dem zu tun hat, was man im Handel erwerben kann, sehen auch seine Arbeiten, die er aus diesen Papieren herstellt, anders aus als herkömmliche Zeichnungen.

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Eine Frau zwischen Mond und Monster – Salome als Ballett in Stuttgart

In der Bibel hat sie keinen Namen: die Tochter der Herodias, die im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer Erwähnung findet. Im 19. Jahrhundert avancierte sie zum Inbegriff von lasziver Erotik und Grausamkeit, Oscar Wilde machte sie zur Titelfigur eines Meisterwerks des Fin de siècle mit einer nahezu orgiastisch farbenreichen Sprache, und Richard Strauss setzte Wildes Drama kongenial in rauschhafte Musik um. Nun hat Demis Volpi, der Hauschoreograph am Stuttgarter Ballett, den Stoff für die Ballettbühne bearbeitet, und auch er hielt sich wie Richard Strauss eng an Wildes Text.

Salome Chr: Demis Volpi Tänzer/dancers: Alicia Amatriain (Der Mond) (C) Stuttgarter Ballett

Alicia Amatriain (Der Mond) (C) Stuttgarter Ballett

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Zwischen Sitcom und Comedianwelt – Sebastian Baumgarten inszeniert Gogols Tote Seelen

Löcher im System kann man stopfen, man kann sie aber auch ausnutzen. Über Letzteres schrieb Nikolai Gogol einen ganzen Roman: Weil die russische Bürokratie zu Zarenzeiten nicht die schnellste war, blieben Leibeigene auch nach ihrem Ableben noch lange auf der Steuerliste, zum Unwillen der Gutsbesitzer – bis Schlauberger Tschitschikow auf die Idee kommt, sie ihnen abzukaufen, die Besitzer also von der Steuer zu entlasten und seinerseits die „toten Seelen“ auf dem Markt als lebendige Arbeitskräfte gewinnträchtig an den Mann zu bringen. Ein Schelm, wer dabei an die Bankenkrise mit ihren Investmentpaketen und Schrottimmobilien denkt.

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Hanna Plaß, Paul Grill, Wolfgang Michalek, Michael Stiller, Svenja Liesau, Horst Kotterba, Christian Czeremnych. Foto: Bettina Stöß

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Zerreißprobe für die Kunst – Collage und Décollage in der Galerie Stihl

Es war eine Revolte, die sich gegen alles richtete, was das bürgerliche Leben ausmachte, nicht zuletzt auch die Werte, die diesem Leben zugrunde lagen. Der Zufall sollte regieren, der Alltag sollte das Material liefern – so wollten es jene Künstler, die vor hundert Jahren nach neuen Wegen suchten und sich unter dem Namen Dada zusammenfanden, wobei es charakteristisch für diese Kunstform ist, dass bis heute der Begriff die verschiedensten Erklärungen gefunden hat, ohne dass eine von ihnen besonders schlüssig wäre. Inbegriff dieser Kunstrichtung war die Collage in jederlei Hinsicht: Sei es, dass Silben und :Klänge zu oftmals sinnlos wirkenden Gebilden verknüpft wurden (wovon in unseren Tagen noch ein Helge Schneider profitiert), sei es, dass aus Fetzen des Alltagslebens neue Bilder entstanden – wie derzeit vor der Waiblinger Galerie Stihl. Dort steht seit Neuestem eine große Wand, auf die jeder Papierfetzen aufkleben kann – eine Art kollektiver Collage soll entstehen.

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Fragezeichen überwiegen: Alice im Wunderland bei der Jungen Oper Stuttgart

Wohl kaum ein Werk der Weltliteratur enthält so viele Fragezeichen wie Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Da wird Alice gefragt, was sie denn im Reich der Herzogin zu suchen habe, und Alice fragt sich unablässig, wer sie eigentlich sei und warum sie mal zur Riesin anwachse, mal zur Liliputanerin schrumpfe. Ganze literaturwissenschaftliche Bibliotheken haben über Sinn und Unsinn der hier geschilderten Welt räsoniert, in der die Logik auf den Kopf gestellt wird und so märchenhafte Wesen wie der Schildkrötensupperich auftauchen. Kein Wunder, dass sich das Kino, vor allem der Trickfilm, das Medium der zauberhaften Metamorphose schlechthin, dieses Stoffs angenommen hat. Kein Geringerer als Tankred Dorst hat neben vielen anderen eine Version für das Sprechtheater erstellt, nur die Opernbühne musste warten, bis 2007 die Koreanerin Unsuk Chin eine Oper daraus machte, ihr folgte vor zwei Jahren Johannes Harneit, dessen Version nun Barbara Tacchini für die Junge Oper an der Oper Stuttgart inszeniert hat.

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                Victoria Kunze (Alice), Philipp Nicklaus (Weißes Kaninchen) Foto: Christoph Kalscheuer

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Gut oder schlecht – der öffentliche Raum als künstlerischer Denkanstoß

Hundert Jahre lang war er ein privater Garten in Esslingen, ein Landschaftspark rund um die Villa der Industriellenfamilie Merkel, seit rund vierzig Jahren ist er der Öffentlichkeit zugänglich, inklusive der in das Städtische Museum der Stadt umgewandelten Villa – ein sogenannter „öffentlicher Raum“ also. In den nächsten Monaten kann man hier ungewöhnlichen Bauwerken begegnen, Teile einer Ausstellung in der in der Villa Merkel eingerichteten Städtischen Galerie. einem schwimmenden Biotop etwa. Aus billigsten Materialien ist mittels Holzlatten, Plastikplanen und einer Solarzelle ein Gewächshaus entstanden, in dem die Pflanzen aus dem Untergrund, auf dem das Haus schwimmt, mit Wasser versorgt werden, das mittels Sonnenenergie nicht nur nach oben gepumpt, sondern auch noch aufbereitet, d.h. von Schadstoffen befreit wird. Kunst also im öffentlichen Raum, sinnigerweise bereits vor den Toren des Museums im Park, einem öffentlichen Raum als, schließlich geht es um die Frage, wie gut solche Räume sind oder sein könnten: „Good space“.

 

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Von Leben durchpulst – „Tristan und Isolde“ an der Oper Stuttgart

Tristan und Isolde“ von Richard Wagner ist eine Herausforderung – an die Zuschauer, schließlich dauert eine Aufführung in der Regel fünf Stunden, an die Sänger der Titelrollen, die ein halbstündiges Liebesduett gestalten müssen, an den Dirigenten, der große Leidenschaften entfesseln muss, Wagner hielt diese Musik denn auch für eine Gefahr für die Zuhörer wegen ihrer emotionalen Intensität, und an den Regisseur, denn an Handlung geschieht auf der Bühne fast nichts, es geht im Wesentlichen um innere Zustände: Isolde und Tristan verlieben sich durch einen Liebestrank unsterblich ineinander, obwohl Isolde König Marke zur Frau gegeben wurde, wenn auch gegen ihren Willen. Am Ende steht der Tod. In Stuttgart inszeniert der Intendant der Oper, Jossi Wieler, wie stets zusammen mit seinem Dramaturgen Sergio Morabito.

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                                Erin Caves (Tristan), Shigeo Ishino (Kurwenal. Foto: A.T.Schaefer

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Von der Linie in den Raum: Katharina Hinsbergs Farbfelder

Eine Linie auf einem Blatt Papier ist die Verbindung zwischen zwei Punkten. Katharina Hinsberg war mit dieser Definition offenbar nicht ganz zufrieden; vor zwanzig Jahren begann die Künstlerin mit ihrer eigenen Erkundung dieses Phänomens, zog auf einem Blatt eine Linie mit dem Lineal, legte ein zweites Blatt darüber, zeichnete die Linie freihändig nach usw., bis Hunderte von Blättern übereinander lagen und die Endpunkte auf dem Papierblock eine Zackenlinie bildeten und so deutlich machten, wie unzuverlässig die frei zeichnende Hand ist. Wer ihre neueste Arbeit im Kunstmuseum Ravensburg betrachtet, wird sich freilich die Frage stellen: Wo ist hier die Linie geblieben?

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Vom Augenblick des Sehens zur reinen Farbe: Impressionisten in der Staatsgalerie Stuttgart

Letztlich malten sie nicht viel anderes als ihre akademischen Vorläufer des 18. Jahrhunderts. Auch die Impressionisten widmeten sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich der Landschaft, dem Porträt, ja sogar Menschen bei der Arbeit, also dem so genannten Genrebild. So ist es durchaus konsequent, wenn die Staatsgalerie Stuttgart nun eine Ausstellung zu dieser Malepoche in solche klassischen Kapitel unterteilt. Doch was den Impressionisten zu diesen Motiven auf der Leinwand gelang, hat nichts mehr mit der realistisch geprägten akademischen Malerei des 18. Jahrhunderts zu tun. Wurden da stämmige Bäume, markante Gesichter und Bauern bei der Arbeit porträtiert, mit kräftigem Strich und starken Farben, löste sich bei den Impressionisten alles Feste, Gegenständliche auf in Farbtupfer.

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Pissarro, Der Gärtner, 1899 © Staatsgalerie Stuttgart

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Zum Greifen nah. Das Württembergische Landesmuseum präsentiert seine „Wahren Schätze“

Ginge es nach dem Kulturverständnis früherer Jahrhunderte, dann wäre Cornelia Ewigleben, die Direktorin des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart, auch Herrscherin über die Staatsgalerie, das Völkerkundemuseum und das Lindenmuseum, denn letztlich, so macht ein Ausstellungsraum in der neuen Präsentation deutlich, gingen all diese Kulturinstitutionen aus der Kunstkammer der württembergischen Herzöge hervor, die eben nicht nur Kunstobjekte vom Kunsthandwerk bis zur Malerei, sondern auch Exotika aus fernen Ländern und Naturkundliches aus Ausgrabungen beheimatet.

Schausammlung "Wahre Schätze. Antike • Kelten • Kunstkammer", Raumansicht "Kunstkammer", Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

© H.Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, szenographie valentine koppenhöfer

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