Archiv für den Monat: Juni 2016

Die Kunst des Zitats: Monika Nuber und Katrin Ströbel im Spendhaus Reutlingen

Wer etwas zitiert, bedient sich einer Vorlage, er reiht sich ein in eine Tradition und eröffnet Assoziationshorizonte, denn der Inhalt des Zitats scheint stets hindurch und wird doch durch einen neuen Kontext, eine leichte Variation zu etwas völlig Neuem. Dieses Spiel zwischen Übernahme und zarter Andeutung kann man derzeit im Reutlinger Spendhaus verfolgen. Monika Nuber und Katrin Ströbel, zwei auf Druckgraphik spezialisierte Künstlerinnen aus Stuttgart, waren eingeladen, in der Reutlinger Kunstsammlung zu stöbern, die ihrerseits auf Druckgraphik, genauer, den Holzschnitt, spezialisiert ist. „Ping Pong“ hieß das Resultat vor einem Jahr – ein Dialog, denn die beiden Künstlerinnen beschränkten sich nicht darauf, eine subjektiv geprägte Auswahl aus der Sammlung zu präsentieren, sie stellten den älteren Werke ihre eigenen künstlerischen Antworten gegenüber.

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                                Philipp Bauknecht. Alpabtrieb © Städtisches Kunstmuseum Reutlingen

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Zwischen Leben und Tod – Die Schifffahrt in der Kunst von heute

Am Anfang dürfte die Notwendigkeit gestanden haben, neue Nahrungsgründe aufzutun – nicht auf dem Erdboden, sondern im Wasser –, und so war die Entdeckung, dass schlichte Holzstämme, sorgsam ausgehöhlt, in der Lage sind, sich selbst sowie Menschen und Gegenstände über Wasser zu halten: Die Schifffahrt war geboren. Die Weiterentwicklung physikalischer Erkenntnis erlaubte den Bau selbst großer Wasserfahrzeuge, die in unseren Tagen durchaus auch aus schwerem Stahl bestehen und mehrere tausend Menschen tragen können. Doch die Schifffahrt hat auch eine Kehrseite: Ob Titanic oder das Floss der Medusa – immer wieder sah sich die Menschheit mit dem möglichen katastrophalen Ausgang einer solchen Seereise konfrontiert, und Künstler haben sich des zwiespältigen Wesens dieser Forstbewegungsmöglichkeit angenommen, so jetzt in einer Ausstellung in de Kreissparkasse Rottweil.

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Zwischen Grusel und Erkenntnis: Moulagen im Museum der Universität Tübingen

Sie zählten zu den großen Attraktionen auf Jahrmärkten und in Großstädten: Wachsfigurenkabinette – Panoptiken, in denen Berühmtheiten der Geschichte, aber auch anatomische Absonderlichkeiten und Gruselgestalten aller Art zur Schau gestellt wurden, lange vor Erfindung des Kinos, geschweige denn der 3-D-Filmtechnik. So hatte das berühmteste von ihnen, Madame Tussauds, bezeichnenderweise seinen Ursprung nicht in der Präsentation berühmter Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart; Marie Tussaud hatte die Köpfe berühmter Opfer der Guillotine während der Französischen Revolution modelliert. Schon hier mischten sich kunstfertige Nachahmung und Nervenkitzel. Von Letzterem ist heute in den Vergnügungseinrichtungen der „Tussauds Group“ kaum mehr etwas zu ahnen – ganz im Unterschied zu Wachsfigurensammlungen an der Universität Tübingen, die jetzt in einer Ausstellung öffentlich zugänglich sind.

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Zwischen Genie und Wahnsinn: Marco Goeckes „Nijinski“ als Hommage an den Tanz

Er ist bis heute eine Legende des Tanzes: Waslaw Nijinski: Die Zeitgenossen rühmten seine Grazie, bestaunten seine Sprungtechnik, bei der er den Sprung in der Luft anzuhalten schien, sie berauschten und empörten sich an der sexuellen Ausdruckskraft seiner Bewegungen; die Nachwelt feiert ihn als Erneuerer der Tanzkunst. Zusammen mit dem Ballettimpresario Sergej Diaghilew führte er das klassische Ballett über in den Tanz der Moderne. Und er verkörpert das tragische Schicksal eines Frühvollendeten mit dem Absturz in den Wahnsinn; die Hälfte seines Lebens, dreißig Jahre, verbrachte er in psychiatrischen Kliniken. John Neumeyer hat im Rückblick sein Leben nacherzählt, Maurice Bejart hat ihn als Clown der Götter auf die Bühne gebracht, jetzt hat Marco Goecke für die Gauthier Dance Company im Stuttgarter Theaterhaus eine Hommage für das Tanzgenie kreiert.

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Garazi Perez Oloriz, Foto: Regina Brocke

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Gerhard W. Feuchters Papierkunst

Wenn heute ein Student an der Akademie eine Zeichen- oder Malklasse besucht, dann steht ihm als Ausgangsmaterial Zeichenpapier oder Leinwand zur Verfügung. In früheren Jahrhunderten hat man auch auf Holzplatten gemalt. Das alles ist nicht mehr als der Grund, auf dem das spätere Kunstwerk entstehen soll. Der Tübinger Künstler Gerhard Feuchter geht in seinen Arbeiten einen Schritt in diesem Produktionsprozess zurück. Er bemalt nicht fertiges Papier – er stellt sein Papier erst einmal her, nach Jahrhunderte alten Verfahren – und weil das Papier, das er dabei erhält, nichts mit dem zu tun hat, was man im Handel erwerben kann, sehen auch seine Arbeiten, die er aus diesen Papieren herstellt, anders aus als herkömmliche Zeichnungen.

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Eine Frau zwischen Mond und Monster – Salome als Ballett in Stuttgart

In der Bibel hat sie keinen Namen: die Tochter der Herodias, die im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer Erwähnung findet. Im 19. Jahrhundert avancierte sie zum Inbegriff von lasziver Erotik und Grausamkeit, Oscar Wilde machte sie zur Titelfigur eines Meisterwerks des Fin de siècle mit einer nahezu orgiastisch farbenreichen Sprache, und Richard Strauss setzte Wildes Drama kongenial in rauschhafte Musik um. Nun hat Demis Volpi, der Hauschoreograph am Stuttgarter Ballett, den Stoff für die Ballettbühne bearbeitet, und auch er hielt sich wie Richard Strauss eng an Wildes Text.

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Alicia Amatriain (Der Mond) (C) Stuttgarter Ballett

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Zwischen Sitcom und Comedianwelt – Sebastian Baumgarten inszeniert Gogols Tote Seelen

Löcher im System kann man stopfen, man kann sie aber auch ausnutzen. Über Letzteres schrieb Nikolai Gogol einen ganzen Roman: Weil die russische Bürokratie zu Zarenzeiten nicht die schnellste war, blieben Leibeigene auch nach ihrem Ableben noch lange auf der Steuerliste, zum Unwillen der Gutsbesitzer – bis Schlauberger Tschitschikow auf die Idee kommt, sie ihnen abzukaufen, die Besitzer also von der Steuer zu entlasten und seinerseits die „toten Seelen“ auf dem Markt als lebendige Arbeitskräfte gewinnträchtig an den Mann zu bringen. Ein Schelm, wer dabei an die Bankenkrise mit ihren Investmentpaketen und Schrottimmobilien denkt.

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Hanna Plaß, Paul Grill, Wolfgang Michalek, Michael Stiller, Svenja Liesau, Horst Kotterba, Christian Czeremnych. Foto: Bettina Stöß

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Zerreißprobe für die Kunst – Collage und Décollage in der Galerie Stihl

Es war eine Revolte, die sich gegen alles richtete, was das bürgerliche Leben ausmachte, nicht zuletzt auch die Werte, die diesem Leben zugrunde lagen. Der Zufall sollte regieren, der Alltag sollte das Material liefern – so wollten es jene Künstler, die vor hundert Jahren nach neuen Wegen suchten und sich unter dem Namen Dada zusammenfanden, wobei es charakteristisch für diese Kunstform ist, dass bis heute der Begriff die verschiedensten Erklärungen gefunden hat, ohne dass eine von ihnen besonders schlüssig wäre. Inbegriff dieser Kunstrichtung war die Collage in jederlei Hinsicht: Sei es, dass Silben und :Klänge zu oftmals sinnlos wirkenden Gebilden verknüpft wurden (wovon in unseren Tagen noch ein Helge Schneider profitiert), sei es, dass aus Fetzen des Alltagslebens neue Bilder entstanden – wie derzeit vor der Waiblinger Galerie Stihl. Dort steht seit Neuestem eine große Wand, auf die jeder Papierfetzen aufkleben kann – eine Art kollektiver Collage soll entstehen.

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Fragezeichen überwiegen: Alice im Wunderland bei der Jungen Oper Stuttgart

Wohl kaum ein Werk der Weltliteratur enthält so viele Fragezeichen wie Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Da wird Alice gefragt, was sie denn im Reich der Herzogin zu suchen habe, und Alice fragt sich unablässig, wer sie eigentlich sei und warum sie mal zur Riesin anwachse, mal zur Liliputanerin schrumpfe. Ganze literaturwissenschaftliche Bibliotheken haben über Sinn und Unsinn der hier geschilderten Welt räsoniert, in der die Logik auf den Kopf gestellt wird und so märchenhafte Wesen wie der Schildkrötensupperich auftauchen. Kein Wunder, dass sich das Kino, vor allem der Trickfilm, das Medium der zauberhaften Metamorphose schlechthin, dieses Stoffs angenommen hat. Kein Geringerer als Tankred Dorst hat neben vielen anderen eine Version für das Sprechtheater erstellt, nur die Opernbühne musste warten, bis 2007 die Koreanerin Unsuk Chin eine Oper daraus machte, ihr folgte vor zwei Jahren Johannes Harneit, dessen Version nun Barbara Tacchini für die Junge Oper an der Oper Stuttgart inszeniert hat.

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                Victoria Kunze (Alice), Philipp Nicklaus (Weißes Kaninchen) Foto: Christoph Kalscheuer

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