Archiv für den Monat: Mai 2016

Gut oder schlecht – der öffentliche Raum als künstlerischer Denkanstoß

Hundert Jahre lang war er ein privater Garten in Esslingen, ein Landschaftspark rund um die Villa der Industriellenfamilie Merkel, seit rund vierzig Jahren ist er der Öffentlichkeit zugänglich, inklusive der in das Städtische Museum der Stadt umgewandelten Villa – ein sogenannter „öffentlicher Raum“ also. In den nächsten Monaten kann man hier ungewöhnlichen Bauwerken begegnen, Teile einer Ausstellung in der in der Villa Merkel eingerichteten Städtischen Galerie. einem schwimmenden Biotop etwa. Aus billigsten Materialien ist mittels Holzlatten, Plastikplanen und einer Solarzelle ein Gewächshaus entstanden, in dem die Pflanzen aus dem Untergrund, auf dem das Haus schwimmt, mit Wasser versorgt werden, das mittels Sonnenenergie nicht nur nach oben gepumpt, sondern auch noch aufbereitet, d.h. von Schadstoffen befreit wird. Kunst also im öffentlichen Raum, sinnigerweise bereits vor den Toren des Museums im Park, einem öffentlichen Raum als, schließlich geht es um die Frage, wie gut solche Räume sind oder sein könnten: „Good space“.

 

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Von Leben durchpulst – „Tristan und Isolde“ an der Oper Stuttgart

Tristan und Isolde“ von Richard Wagner ist eine Herausforderung – an die Zuschauer, schließlich dauert eine Aufführung in der Regel fünf Stunden, an die Sänger der Titelrollen, die ein halbstündiges Liebesduett gestalten müssen, an den Dirigenten, der große Leidenschaften entfesseln muss, Wagner hielt diese Musik denn auch für eine Gefahr für die Zuhörer wegen ihrer emotionalen Intensität, und an den Regisseur, denn an Handlung geschieht auf der Bühne fast nichts, es geht im Wesentlichen um innere Zustände: Isolde und Tristan verlieben sich durch einen Liebestrank unsterblich ineinander, obwohl Isolde König Marke zur Frau gegeben wurde, wenn auch gegen ihren Willen. Am Ende steht der Tod. In Stuttgart inszeniert der Intendant der Oper, Jossi Wieler, wie stets zusammen mit seinem Dramaturgen Sergio Morabito.

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                                Erin Caves (Tristan), Shigeo Ishino (Kurwenal. Foto: A.T.Schaefer

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Von der Linie in den Raum: Katharina Hinsbergs Farbfelder

Eine Linie auf einem Blatt Papier ist die Verbindung zwischen zwei Punkten. Katharina Hinsberg war mit dieser Definition offenbar nicht ganz zufrieden; vor zwanzig Jahren begann die Künstlerin mit ihrer eigenen Erkundung dieses Phänomens, zog auf einem Blatt eine Linie mit dem Lineal, legte ein zweites Blatt darüber, zeichnete die Linie freihändig nach usw., bis Hunderte von Blättern übereinander lagen und die Endpunkte auf dem Papierblock eine Zackenlinie bildeten und so deutlich machten, wie unzuverlässig die frei zeichnende Hand ist. Wer ihre neueste Arbeit im Kunstmuseum Ravensburg betrachtet, wird sich freilich die Frage stellen: Wo ist hier die Linie geblieben?

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Vom Augenblick des Sehens zur reinen Farbe: Impressionisten in der Staatsgalerie Stuttgart

Letztlich malten sie nicht viel anderes als ihre akademischen Vorläufer des 18. Jahrhunderts. Auch die Impressionisten widmeten sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich der Landschaft, dem Porträt, ja sogar Menschen bei der Arbeit, also dem so genannten Genrebild. So ist es durchaus konsequent, wenn die Staatsgalerie Stuttgart nun eine Ausstellung zu dieser Malepoche in solche klassischen Kapitel unterteilt. Doch was den Impressionisten zu diesen Motiven auf der Leinwand gelang, hat nichts mehr mit der realistisch geprägten akademischen Malerei des 18. Jahrhunderts zu tun. Wurden da stämmige Bäume, markante Gesichter und Bauern bei der Arbeit porträtiert, mit kräftigem Strich und starken Farben, löste sich bei den Impressionisten alles Feste, Gegenständliche auf in Farbtupfer.

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Pissarro, Der Gärtner, 1899 © Staatsgalerie Stuttgart

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Zum Greifen nah. Das Württembergische Landesmuseum präsentiert seine „Wahren Schätze“

Ginge es nach dem Kulturverständnis früherer Jahrhunderte, dann wäre Cornelia Ewigleben, die Direktorin des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart, auch Herrscherin über die Staatsgalerie, das Völkerkundemuseum und das Lindenmuseum, denn letztlich, so macht ein Ausstellungsraum in der neuen Präsentation deutlich, gingen all diese Kulturinstitutionen aus der Kunstkammer der württembergischen Herzöge hervor, die eben nicht nur Kunstobjekte vom Kunsthandwerk bis zur Malerei, sondern auch Exotika aus fernen Ländern und Naturkundliches aus Ausgrabungen beheimatet.

Schausammlung "Wahre Schätze. Antike • Kelten • Kunstkammer", Raumansicht "Kunstkammer", Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

© H.Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, szenographie valentine koppenhöfer

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Freud und Leid des Landlebens: Elizabeth Gaskells Frauen und Töchter

In Literaturgeschichten rangiert sie im Schatten eines Charles Dickens: Elizabeth Gaskell, auch Mrs. Gaskell genannt, die mit Romanen über die Welt der Arbeiter vor allem von sozialhistorisch engagierten Literaturkritikern geschätzt wird. Doch die Themen, die sie in Werken wie Mary Barton, einem der ersten englischen Industrieromane über den Chartistenaufstand in Manchester und die katastrophalen Lebensbedingungen des Industrieproletariats aufgriff, sind heute, trotz literarischer Qualitäten, doch eher Stoff für die Wissenschaft. Mit ihrem letzten (bis auf wenige Seiten noch von ihr vollendeten) Roman griff sie scheinbar zurück in die Provinzwelt einer Jane Austen, und doch hielt der große Literaturkritiker Laurence Lerner ihren Roman Frauen und Töchter für den unterschätztesten Roman der englischen Sprache. Vor 150 Jahren ist sie kurz vor Vollendung dieses Romans gestorben.

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Zwischen Alter und Neuer Welt: Jürgen Glockers Roman über einen Amerikaner im Schwarzwald

Als der Baron de Montesquieu zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine kritische Bestandsaufnahme seines Heimatlandes veröffentlichen wollte, die alles andere als positiv ausfallen sollte, erfand er zwei Perser, die in ihren Briefen in die Heimat von ihren Erfahrungen in diesem für sie doch recht sonderbaren Land Frankreich berichteten (im 20. Jahrhundert wählte Herbert Rosendorfer für seine bayrische Heimat einen chinesischen Mandarin). Jürgen Glocker, Kulturreferent des Landkreises Waldshut-Tiengen, der schon mit einem amüsanten und zugleich gesellschaftskritischen Roman über einen Kater hervorgetreten ist, der das Leben eines kinderlosen Ehepaars durcheinander wirbelt, wählte einen weniger exotischen Reisenden: Er schickt einen amerikanischen Linguistikprofessor in seine Heimat, den Südschwarzwald.

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Kreis und Quadrat – eine unendliche Geschichte

Dem schon legendären Satz von Sepp Herberger ist anzumerken, wie schwer das alles sein muss: Das Runde müsse ins Eckige, so definierte der ehemalige Bundesfußballtrainer das Ziel seines Sports – und der Satz klingt wie ein Stoßseufzer angesichts der Tatsache, wie schwer dieses Ziel zu erreichen ist. Dabei ist das Eckige im Fußballsport noch relativ leicht zu treffen, denn es ist rechteckig, der Ball hat also durchaus Platz darin. Ganz anders sieht es beim Quadrat aus, denn will man eine entsprechend große Kugel in ein solches Viereck platzieren, muss man schon sehr genau treffen. Die „Quadratur des Kreises“ gilt denn ja auch als Inbegriff des Unmöglichen. Diesem Spannungsverhältnis widmet sich die neue Ausstellung in dem auf das Quadrat spezialisierten Museum Ritter in Waldenbuch.

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Laster mit Todesfolge für alles Menschliche: Michael Kviums Zyklus zu den sieben Todsünden

Seit eineinhalb Jahrtausenden bewegen sie die Gemüter, reizen sie die Fantasie: die sieben Hauptsünden, wie sie gerne krass bezeichnet werden, der Begriff Hauptlaster wäre sinnvoller. Kein Geringerer als Papst Gregor I. hat sie zu einem Kanon zusammengefasst. Und als hätte das Mittelalter bereits die moderne Sucht nach Abkürzungen und einprägsamen Begriffen gekannt, fand sich für sie auch bald ein Name: SALIGIA, ein Akronym, gebildet aus den lateinischen Begriffen Superbia (Stolz), Avaritia (Geiz), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Gula (Völlerei), Invidia (Neid), Acedia (Faulheit). Die größten Künstler haben sich ihnen gewidmet, von Hieronymus Bosch über Albrecht Dürer bis hin zu Otto Dix und Bruce Nauman. Die Kunsthalle Göppingen zeigt den Zyklus von Michael Kvium – der in Dänemark Hunderttausende in seine Ausstellungen lockt, hierzulande aber immer noch ein Unbekannter ist.

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Michael Kvium: Avaritia. Foto: Frank Kleinbach

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Eine einzige Lebenslüge: Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ am Schauspiel Stuttgart

Hat er überhaupt jemals richtig gelebt, dieser Willy Loman? 36 Jahre hat er sein Land als Vertreter bereist, bis er feststellen muss, dass er in seinem Beruf ein Versager war und nicht mehr die Kraft hat weiterzumachen. Von seinem Chef wird er in die Arbeitslosigkeit gestoßen, und das heißt in der amerikanischen Gesellschaft, in der nur der gesellschaftliche Aufstieg zählt, ins Nichts. Es bleiben ihm zwei Möglichkeiten: die Flucht ins endgültige Nichts, den Tod, oder die Flucht in die Selbstlüge. Beides exerziert Arthur Miller in seinem Klassiker über den „Tod eines Handlungsreisenden“ vor. Robert Borgmann hat am Schauspiel Stuttgart für beides erregende Bilder gefunden.

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Auf dem Bild: Susanne Böwe, Peter Kurth, Mabolo Bertling, Manuel Harder. Foto: Julian Röder

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