Laster mit Todesfolge für alles Menschliche: Michael Kviums Zyklus zu den sieben Todsünden

Seit eineinhalb Jahrtausenden bewegen sie die Gemüter, reizen sie die Fantasie: die sieben Hauptsünden, wie sie gerne krass bezeichnet werden, der Begriff Hauptlaster wäre sinnvoller. Kein Geringerer als Papst Gregor I. hat sie zu einem Kanon zusammengefasst. Und als hätte das Mittelalter bereits die moderne Sucht nach Abkürzungen und einprägsamen Begriffen gekannt, fand sich für sie auch bald ein Name: SALIGIA, ein Akronym, gebildet aus den lateinischen Begriffen Superbia (Stolz), Avaritia (Geiz), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Gula (Völlerei), Invidia (Neid), Acedia (Faulheit). Die größten Künstler haben sich ihnen gewidmet, von Hieronymus Bosch über Albrecht Dürer bis hin zu Otto Dix und Bruce Nauman. Die Kunsthalle Göppingen zeigt den Zyklus von Michael Kvium – der in Dänemark Hunderttausende in seine Ausstellungen lockt, hierzulande aber immer noch ein Unbekannter ist.

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Michael Kvium: Avaritia. Foto: Frank Kleinbach

Auf schwarzem Grund erhebt sich eine graue Gestalt; in Händen hält sie ein anthrazitfarbenes Etwas, das erst richtig gedeutet werden kann, wenn man erkennt, dass diese Figur in einem See aus Erdöl steht (die Spiegelung macht deutlich, dass es kein Wasser sein kann). Geheimnistuerisch verstohlen schaut die Figur uns über die Schulter an, auf dass wir ihr und ihrem Schatz nicht zu nahe kommen mögen: Es ist die „Avaritia“, die Habgier.

Ähnlich wie seine großen Vorgänger Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel zeigt Michael Kvium, welche Folgen die Todsünden im Menschen haben, welche Verrenkungen des Gemüts, welche Perversionen des Denkens: Diese Figur ist einsam, ohne Gefährten aus eigener Schuld, weil sie nicht teilen will, was ihr zugefallen ist. Kviums Bilder stehen ganz in der Tradition der europäischen Kunstgeschichte. Seine schwarzgrauen Bilder erinnern an die Graue Passion eines Hans Holbein und sind zugleich Ausdruck einer Atmosphäre, in der Menschlichkeit keinen Platz hat, in der nicht nur Mensch und Umwelt düster sind, sondern auch die Emotionen, die diese Figuren prägen.

Und Kvium beschränkt sich nicht darauf, die Kunstgeschichte zu zitieren, er hat auch das gedankliche Rüstzeug zu einem solchen Zyklus: Seine Mutter war Theologin, die Familie ging regelmäßig in die Kirche. So gibt er jeder seiner einem Hauptlaster frönenden Figuren eine Leitfigur aus der Bibel mit. Bei der Habgier ist es der Mammon, beim Zorn ist es Satan höchstpersönlich, beim Neid ist es Leviathan, ein schlangen- oder krokodilähnliches Tier, das der Philosoph Thomas von Aquin mit dem Neid identifizierte und das in unseren Tagen nicht selten mit der Macht der Finanzmärkte gleichgesetzt wird.

Und Kvium belässt es nicht bei derlei historischen Anspielungen. Für seine lasterhaften Figuren findet er aussagekräftige Berufe, Haltungen und Accessoires. Für den Zorn wählte er den Richter – dargestellt in Anlehnung an die grandios satirischen Figuren eines William Hogarth aus dem 18. Jahrhundert: Die Perücke auf dem Kopf wirkt wie eine entmenschlichende Haube, die Jabots der Richtertalare wirkt wie das Beffchen eines eifernden Pastors, das Gesicht ist kalt, zerknittert, bar jeder Freude, und der Schoß ist schamhaft verdeckt mit einem Totenschädel – dies ist kein Schoß, aus dem Leben entspringt. kviumgula

Michael Kvium. Gula. Foto: Frank Kleinbach

Kviums Gestalten sind Karikaturen, die einen schaudern machen. Selbst die drei Gestalten, die für die Völlerei stehen und in Händen ein Champagnerglas, eine Zigarettenspitze und ein Döschen mit Drogen halten, verbreiten keinen Frohsinn, sondern erscheinen mit ihren ausgemergelten Gesichtern dem Tod geweiht.

Damit gelingt es Kvium, wieder den Abscheu vor diesen Lastern in Erinnerung zu rufen, wie es seine großen Vorgänger versucht haben, nur dass er in unserer Zeit nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung des Publikums rechnen kann. Hatten zu Zeiten eines Hieronymus Bosch oder Albrecht Dürer die Menschen noch ganz im Bann der Predigten des Klerus gestanden, so ist heute die Frage, ob aus den einstmaligen Lastern nicht unversehens Tugenden geworden sind: Steht nicht hinter dem Wunsch nach dem in unserer Gesellschaft schon fast zum Idol erhobenen Erfolg letztlich als Antriebskraft die Gier? Und gilt Geiz tatsächlich nur in der Werbung als geil?

Kvium hat mit seinen großformatigen grauschwarzen Bildern ein Panoptikum des Schauderhaften auf die Leinwand gebracht, das an große Vorbilder erinnert, in der Komplexität der Anspielungen aber vollkommen eigenständig ist. Sein Zyklus ist grausiger als die Bildtafel von Hieronymus Bosch und sarkastischer als das entsprechende Bild von Otto Dix, denn er arbeitet zwar wie diese großen Vorgänger mit dem Mittel der Übertreibung, doch gelingt es ihm zugleich, den grausigen Ernst dessen zu verkörpern, was es bedeutet, diesen Lastern zu frönen. Und anders als Otto Dix, der mit seinem Bild zu den Todsünden in erster Linie die angeblich Goldenen Zwanziger Jahre an den Pranger stellte, schuf Kvium einen Zyklus, der sich auf unsere Gegenwart bezieht (und beispielsweise das Erdöl als Objekt aller Begierde zum Exempel nimmt) und zugleich ein zeitlos gültiges symbolisches Porträt der Hauptlaster ist.

Michael Kvium. SALIGIA. Die sieben Todsünden“, Kunsthalle Göppingen, bis 12. 6. 2016

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