Natürlich gibt es das Leben auf dem Land auch heute noch, so altmodisch der Begriff auch anmuten mag. Doch mit dem krassen Gegensatz, mit dem in früheren Zeiten Land- und Stadtleben gegeneinander abgegrenzt wurden, hat es wenig zu tun. So wirft die Ausstellung, die die Kunststiftung Hohenkarpfen unter diesem Titelwort präsentiert, denn auch eher einen Blick in die Vergangenheit, auch wenn die Jetztzeit nicht ganz ausgeblendet ist.
Johann Sperl, Hochzeitszug auf der Schwäbischen Alb, 1873/74. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Es sind alle da: die Kinder, die neugierig das junge Hochzeitspaar anstaunen, das soeben den Gasthof verlässt; die Musikanten spielen ihr Ständchen, und der Pfarrer hat sich nach getaner „Arbeit“ in den Hintergrund verzogen. Was Johann Sperl 1873/74 mit Anfang dreißig malt, könnte er in seiner Jugend so erlebt und ähnlich bestaunt haben wie die Kinder auf seinem Bild, denn er malt da ein herausragendes Erlebnis. Der Alltag in ärmlichen Verhältnissen, in denen Sperl in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aufwuchs, dürfte weniger rosig gewesen sein; Landleben war hart, arbeitsintensiv und alles andere als einträglich.
Die Arbeit zieht sich denn auch wie ein Leitfaden durch diese Ausstellung. Ob es die Fischer sind, die Josef Wopfner um 1900 porträtierte, wie sie im Chiemsee das schwere Fangnetz aus dem Wasser ziehen, oder die Bauern, die Fritz Steisslinger zwanzig Jahre danach bei der Ernte malte. Auch Frauen und Kindern blieb Arbeit nicht erspart, auch wenn sie auf einem Bild von Christian Landenberger eher harmlos leicht wirkt: Der Krug, den ein Junge in der Hand trägt, scheint gut mit Beeren gefüllt. Schwerer ist da schon die Aufgabe von drei Figuren, die auf einem Bild von Ernst Ludwig Kirchner Gras zusammenrechen; zwei der drei arbeitenden Gestalten sind Frauen. Und die vier Gestalten, die sich in einer „Ackerfurche“ während der „Rast bei der Kornernte“ von Alfred Wais niedergelassen haben, wirken alles andere als erholt.
Dennoch wirken nicht wenige dieser Szenen idyllisch. Bei „Drei Bauernburschen“, die Johann Baptist Pflug Mitte des 19. Jahrhunderts porträtierte, denkt man unwillkürlich an ein Operettenlied mit dem fröhlichen Text „Wir sind auf der Walz“. Aber selbst bei dem auf den ersten Blick idyllisch anmutenden Bild „Vor einem Bauernhaus“ von Theodor Schüz sind alle Figuren bei der Arbeit, ob es das Kind mit dem Nähzeug auf der Bank ist oder die Mutter an einer Art Wassertrog.
Marie Sieger, geb. Pollack, Die Magd Kathrine, 1913. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Und auch, dass die Landarbeit schwer ist, zeigen so manche Bilder. Den Holzfällern bei der Arbeit im winterlichen Wald auf einem Bild von Karl Caspar ist die Anstrengung durchaus anzumerken,und wie schwer die Arbeit im Leben der „Magd Kathrine“ war, hat Marie Sieger 1913 in deren Gesichtszügen eindringlich gestaltet. Daran hat sich auch hundert Jahre danach nicht viel geändert. Emil Kiess hat 1979 zwar keine Magd porträtiert, aber das Leben als Wirtin auf dem Land hat auch auf dem Gesicht der von ihm porträtierten Wirtin des „Bären“ bei Hüfingen seine Spuren hinterlassen.
Nahezu allen Bildern dieser Auswahl ist eine Ehrfurcht vor der Leistung in einem solchen Leben abzulesen: Ob es das Holzspalten ist, das Jakob Bräckle 1929 darstellte, oder die Kartoffelernte, zu der auf einem anderen Bild von ihm die drei Frauen den Rücken krümmen müssen. Maria Caspar- Filser hat auf zwei großen Gemälden dem Geschehen fast sakrale Töne verliehen, nicht zuletzt durch die Form der Gemälde: Es sind Triptychen, als wären es Altargemälde über die Welt des Alltags. Und die Fotos, die Olaf Unverzart von den Händen seiner hundertjährigen Großmutter aufgenommen hat, zeugen von der Mühsal des Lebens ebenso wie von der Hochachtung des Enkels vor einem solchen Leben.
Was nicht heißt, dass Landleben nicht auch seine humorvolle Seite haben kann. Erwin Henning hat in jungen Jahren, gewissermaßen als Studienarbeit, einen Hirtenknaben nach einem Gemälde von Franz von Lenbach gemalt. Dreißig Jahre danach hat er sich diesem „Hirtenknaben“ noch einmal gewidmet, der nunmehr deutlich gealtert ist, aber immer noch dem fröhlichen Nichtstun sein Vergnügen abgewinnt. Und dass die Arbeit auf dem Land auch einträglich sein kann, zeigte Gottlob Wilhelm Morff 1834 mit einem vorzüglich gemalten Porträt. Zu sehen: eine junge Frau, ein „Dienstmädchen“ laut Titel, mit einem Eierkorb neben sich. Der Korb ist leer, den Gegenwert hält die junge Frau zwischen den Fingern: einen Silbertaler; die Arbeit hat sich offenbar gelohnt.
Gottlob Wilhelm Morff, Dienstmädchen mit Eierkorb, Geld zählend, 1834. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Es sind Bilder, die fast durchweg an ein „Früher“ gemahnen, und dem gehören sie schließlich auch an. Landleben – das ist offenbar ein Phänomen, das in unserer Zeit zumindest aus Sicht der Künstler, die zum größten Teil in städtischem Ambiente arbeiten, der Vergangenheit angehört. Das legt eine Fotoarbeit von Reinhold Adt nahe. Sie porträtiert „Theresia Schorpps Dorfladen in Gunnningen“, den es, wenn auch unter anderem Namen, immer noch gibt. Aber die Fotocollage macht deutlich, dass auch solche Dorfläden letztlich der Vergangenheit angehören. Adt hat das Bild dieses Dorfladens aufgesplittert in lauter fotografische Einzelaspekte – Landleben eben, aus der Sicht von heute.
„Landleben. Der Bauer im Bild“, Kunststiftung Hohenkarpfen bis 9.11.2025