Definiert man den literarischen Realismus als die Literaturgattung, die mithilfe des dichterischen Wortes ein glaubhaftes Porträt der Welt zeichnet, dann zählt Anthony Trollope zu den herausragenden Vertretern dieses Fachs, auch wenn er in Deutschland nahezu unbekannt ist. Erst peu à peu (im wahrsten Sinn der Bezeichnung) erscheinen seine Romane – er schrieb insgesamt rund vierzig – auch in deutscher Sprache; jetzt ein Werk, das er selbst für misslungen hielt, ganz im Unterschied zu seinen Lesern – zumindest in England, wo er auch heute zu den populären Autoren zählt –, die diesen Roman sehr schätzen; so wurde er 2004 von der BBC in einer vierteiligen Serie für das Fernsehen bearbeitet. Jetzt ist er in deutscher Sprache herausgekommen: Hatte er nicht recht?
Anthony Trollope, Hatte er nicht recht?
Schon der Titel macht deutlich, wes Geistes Kind die Hauptfigur dieses Romans ist: ein selbstgerechter Mann, dem nach eigenem Bekunden Fehler nicht unterlaufen können. Und es scheint sich auch alles zum Besten zu entwickeln: Louis Trevelyan, ein vermögender Gentleman, hat noch während einer Reise in einer (fiktiven) britischen Kolonie die Frau seines Lebens gefunden: Emily.
Geheiratet wird in England, ein Kind vervollständigt das zunächst ungetrübte eheliche Glück – wäre da nicht ein gewisser Colonel Osborne, ein Freund von Emilys Vater und bald auch Freund des jungen Paares, – aus Sicht des Ehemannes freilich alsbald ein zu guter Freund seiner Gattin. Die Folge: Eifersucht, Entzweiung, Trennung – und zuletzt ein geradezu tragisches Ende des Protagonisten.
Das freilich würde noch nicht den für einen Roman ungewöhnlichen Titel rechtfertigen, ein Titel, der die psychische Disposition der Hauptfigur zum Ausdruck bringt – ein Rechthaber, der als Ehemann im viktorianischen England einem zu dieser Zeit bereits ein wenig veralteten Ehemodell anhängt, in dem der Mann der Herr im Hause ist.
Der Titel allein gibt bereits eine brauchbare Anweisung zu dem schnellsten Weg ins Unglück, in das eine Familie in der Mitte des 19. Jahrhunderts stürzen kann. Mit diesem Konflikt thematisiert Trollope die Rollenbilder der Geschlechter. Denn es geht nur vordergründig um Louis Trevelyans Eifersucht auf den vermuteten Rivalen; in erster Linie will er Herr im eigenen Haus bleiben. Sein Verdacht der Untreue ist immer nur halbherzig, und er benutzt ihn vor allem als Machtinstrument gegenüber seiner Frau.
Emily ihrerseits hat keine Affäre mit Colonel Osborne, und auch er strebt keines an; vielmehr schätzt sie ihn als Freund ihres Vaters. Vor allem jedoch möchte sie sich behaupten – es ist ihr unerträglich, von ihrem Mann verdächtigt und bevormundet zu werden und in ihrer Lebensführung durch kleinliches Machtstreben eingeschränkt zu sein. Osborne seinerseits genießt ihre Aufmerksamkeit und fühlt sich geschmeichelt. Eine Rolle als Casanova ist ihm zu anstrengend. Den Ruf, ein solcher zu sein, pflegt er allerdings gern.
Hätte das Unglück verhindert werden können? Kannten die Ehepartner einander nicht gut genug? Sehr früh wird über Emily gesagt, sie wisse, was sie wolle. Bei Louis Trevelyan ist es nicht minder so. Wie also kann man sicher sein, dass die Ehe glückt? Wie wichtig sind dabei Veranlagung, Charakter, Vorleben, Erwartungen?
Trollope hat mit Hatte er nicht recht? einen psychologischen Gesellschaftsroman geschrieben, dessen Welt zwar eindeutig die des viktorianischen 19. Jahrhunderts ist, deren Grundprobleme aber auch für den Leser von heute aktuell sein können. Grundlage sind die Gefühle der Protagonisten, eingebettet in die Rollen, die ihnen einerseits von der Gesellschaft zugeschrieben werden und die sie andererseits selbst definieren wollen.
Auch in den Nebenhandlungen, die kunstvoll mit dem Plot verknüpft sind, geht es immer wieder um die Rolle, die man in der Gesellschaft spielt und auch zu spielen hat, und um die Selbstbehauptung, vor allem die der Frauen. Trollope entwirft ein für seine Zeit fortgeschrittenes Frauenbild.
Doch auch Männer sind Rollenerwartungen ausgesetzt; sie kämpfen um Ansehen und Einfluss, und manchmal auch um die Mitgift eines Mädchens, an dem sie eigentlich nur mäßig interessiert sind.
Anthony Trollope, Hatte er nicht recht?. Deutsch von Ursula Schäfer-Zerbst. Books on Demand, 2 Bände, 413 und 403 Seiten, 18 und 17 Euro