Kunst-Erleben bei Beat Zoderer

Kunst und Lebenswelt sind zwei gesonderte Sphären. Im Fall des Schweizers Beat Zoderer gehen sie eine geradezu symbiotische Verbindung ein: Seine Arbeiten sind ohne sein Erleben der anderen undenkbar. Auf diese Weise wirkt sein Schaffen meist sehr vertraut und verblüfft den Betrachter dennoch im selben Augenblick.

Das große Kreuzworträtsel, 1984 © VG Bild-Kunst, Bonn. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Zum Beispiel sein Kreuzworträtsel. So nannte Beat Zoderer seine Arbeit 1984, und weil es die Größe eines Wandgemäldes hat, heißt es auch Das große Kreuzworträtsel. Die Titel von Zoderers Arbeiten stellen den Betrachter meist nicht vor unlösbare Rätsel. Sie benennen genau das, was er vor sich hat. Zum Beispiel Einige Schlaufen vom Rand her. Genau das ist auf seinem ebenfalls großformatigen Bild zu sehen: Farbige Schlaufen, die irgendwo am Rand beginnen, sich in den Bildraum hineinschwingen, und dann wieder im Nichts verlaufen. Einige Schlaufen vom Rand her No. 2, 2006 (Ausschnitt) © VG Bild-Kunst, Bonn. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Und weil Zoderer mit Materialien arbeitet, die er in seinem Alltag vorfindet, handelt es sich um schlichte farbige Klebstreifen. Zoderer hat erst in den letzten Jahren mit der Malerei angefangen, seine Arbeiten davor sind …

… ja was eigentlich? Einige von ihnen könnte man dem Bereich „Skulptur“ zuordnen. So etwa seine Arbeit Versetzte Kuben, mit weißlicher Folie beklebte Kartons, die er zu einem fragilen Turm aufgeschichtet hat. Eine Skulptur ist das allenfalls im weiteren Verständnis des Wortes. Das hat seinen Grund in Zoderers Vorgehensweise. Er kreiert seine Werke aus Alltagsmaterialien, die er nicht selten im Sperrmüll findet. Daher kommen seine Arbeiten dem Betrachter auf den ersten Blick oft ziemlich vertraut vor. Etwa das Leergut, bei dem einige leere Papprollen unterschiedlicher Größe zu einem witzigen Gebilde verbunden sind. Symptomatisch, geradezu ein programmatischer Kommentar zu seinen Arbeiten, ist seine Sperrmüll Stele von 1986, für die er unterschiedlich lange Holz- und Metallstäbe in einem kleinen „Köcher“ am Boden aufstellte.

Dabei treibt er sein Spiel nicht nur mit vertrauten Materialien aus dem Alltagsleben, sondern bezieht sich immer wieder auch auf die Welt der Kunst. So schuf er aus einigen Holzlatten eine abstrakte, vage an eine Figur gemahnende Gestalt mit dem bezeichnenden Titel: Kubistisches Modell – Picasso lässt grüßen.

Zum Verständnis seiner Werke reicht aber meist die Assoziation an die Welt, in der wir leben, nur dass diese Welt bei Zoderer stets in verwandelter Form erscheint – zum Beispiel in stark vergrößerter wie bei seinem Hologramm, das bei ihm nicht nur einige weniger Zentimeter groß ist, sondern wandfüllendes Format hat und damit eine ganz eigene Qualität.

Wie eben auch sein Kreuzworträtsel, das nur auf den ersten Blick das vertraute Gebilde aus der Zeitung ist. Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als – rätselhaft, die Anweisungen in den kleinen Quadraten erweisen sich als nicht ausführbar, denn was soll man eintragen auf die Aufforderung hin: „sieben Jahre Einsamkeit“ – in zwei Buchstaben?

Zoderers Griffe in den Alltag erweisen sich als enigmatisch, wenn nicht gar surreal. Schon die titelgebende Bezeichnung Ringfaltung ist, zumindest vom Wort her, abstrus. Zoderers Arbeit mit diesem Titel freilich regt den Betrachter dazu an, über eine konkrete Realisierung des Begriffs nachzudenken. Das gilt auch für seine Quadratur des Kreises.

Oft aber, wenn man meint, den Alltag in reine Fantasiewelten überführt zu sehen, wird man angehalten, gewissermaßen „Realistisches“ darin zu erkennen. So entpuppt sich das Kreuzworträtsel, wenn man es aus größerer Entfernung betrachtet, als Zeichnung eines Gesichts. Beim Subtraktiven Versatz ist man geneigt, die verschiedenen Quadrate, aus denen dieses Bild besteht, miteinander in Beziehung zu setzen, was zumindest schwierig sein dürfte. Seine Baulatten auf Leinwand erinnern zunächst tatsächlich an Baumaterialien, doch hat Zoderer sie auf passende Länge zurechtgesägt, rechtwinklig angeordnet, weiß-rot bemalt und auf Leinwand angebracht. Das Resultat: Eine Wandplastik, die nichts mehr mit dem Baualltag zu tun hat und trotzdem genau das ist, was das Material suggeriert.

Wandbehang N0. 1, 2006 © VG Bild-Kunst, Bonn. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Bei Zoderer hinterfragt man die Assoziationen an unsere Alltagswelt – und stellt ganz neue Bezüge her. Sein Wandbehang deckt nicht etwa in Form eines Tuchs Teile der Wand ab, sondern besteht aus bunt bemalten schmalen Blechstreifen, die, an einigen Haken oben an der Wand befestigt, elegant zu Boden schwingen. Das ist ein Wandbehang ganz anderer Art, aber genau das, was das Wort besagt. Und das Würfelspiel ist nicht etwa ein Spiel, bei dem man würfeln kann, sondern eine Skulptur, bei der Zoderer gewissermaßen mit den Würfeln gespielt – und dabei eine Turmplastik gezaubert hat. Und wenn man an den fünfunddreißig farbig bemalten Holzplatten mit dem Titel Partitur vorbeigeht, könnte man sich ein Musikstück vorstellen, für das zu jeder dieser Tafeln jeweils eine Note zu gehören scheint.

Alles, was Zoderer dem Betrachter darbietet, scheint aus dessen vertrauter Lebenswelt zu stammen und entführt ihn doch in eine ganz andere Sphäre. Das könnte man als Definition von Kunst im Unterschied zum Leben verstehen.

Beat Zoderer. Nimbus des Alltäglichen“ Museum Ritter, Waldenbuch, bis 21.9.2025

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