Zitrusbäume waren in früheren Zeiten ein ganz besonderer Luxus. Zum einen wuchsen an ihnen Früchte, die man nur aus dem sonnigen Süden kannte, zum anderen bedurften sie in der kalten Jahreszeit eines besonderen Schutzes: Dafür wurden eigens nach ihnen benannte Gebäude errichtet, die Orangerien: hell, mit viel Glas, nicht selten auch beheizbar. Doch ihre Nutzfunktion gehört der Vergangenheit an. Die Folge: nicht selten Leerstand und damit oft verbunden baulicher Verfall. Die zum Fürstenhaus in Donaueschingen gehörende Orangerie wurde aus Denkmalschutzperspektive inzwischen perfekt wiederhergestellt, doch für die Nutzung fehlten realisierbare Projekte. Derzeit bietet sie Raum für eine Kunstausstellung mit Werken von Emil Kiess.
Emil Kiess: Malerei, 2006. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Vom Motiv her dürfte ein Bild in dieser Ausstellung Emil Kiess sehr nahestehen: Er porträtierte darauf seinen Vater. Für die Kunstkenner dürfte es ein eher ungewohnter Anblick sein. Schon in den 50er Jahren an der Bernsteinschule und danach an der Stuttgarter Akademie noch unter Willi Baumeister verschrieb er sich ganz der ungegenständlichen Malerei, mehr noch: einer Malerei, die ganz aus dem Wesen der Farbe und ihrer Materialität heraus lebt.
Aber ist das Bild, auf dem er seinem Vater ein Denkmal setzte – das war 2006, da war Kiess schon siebzig Jahre alt –, tatsächlich ein „Porträt“ im herkömmlichen Sinn? Der Hintergrund des Bildes lässt sich als Blick in einen Garten deuten, das Fenster verstärkt den Eindruck noch, aber das grünfarbige Flimmern, aus dem dieser Hintergrund besteht, ist beileibe nicht einfach das Bild eines Gartens im Frühling, es ist abstrakte Malerei, bei der sich die Bildfläche aus unzähligen Farbtupfern zusammensetzt – ganz so, wie man es sonst von Emil Kiess her kennt.
Das Resultat ist eine reine Farbmalerei, bei der das Auge des Betrachters immer tiefer in das Farbgeschehen eintaucht, von ihm geradezu magisch angezogen wird. Das liegt nicht zuletzt am Umgang mit der Farbe: Die Bilder von Emil Kiess scheinen sich auf den ersten Blick aus lauter Farbflecken zusammenzusetzen. Dabei sind die Farben sehr genau gewählt, sie reagieren aufeinander, beeinflussen sich gegenseitig. Und so sind seine Bilder für den Betrachter stets auch Einführungen in das Wesen von Farbe, und das heißt immer auch: die Interaktion der Farben untereinander. Denn ein helleres Blau neben einem dunkleren entwickelt eine ganz andere Wirkung als neben einer orangefarbenen Fläche. Farbmalerei bei Emil Kiess, das zeigt gerade diese Ausstellung mit ihren zahlreichen kleinformatigen Arbeiten, ist stets eine Hinführung zu dem, was Farbe ausmacht.
Emil Kiess: Malerei, 1998. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Damit führte Kiess das weiter, was vor über hundert Jahren die Pointillisten, oder allgemeiner formuliert, die Divisionisten mit ihren Bildern erkundeten: Wie verändert sich ein und dieselbe Farbe in jeweils anderem farblichem Kontext? Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass Kiess seine Bilder meist nicht aus großen Flächen zusammensetzt, sondern meist aus einer Vielzahl kleiner Flächen – was nicht heißen soll, dass er, wie etwa die Pointillisten, gegenständliche Welten mithilfe von Farbtupfern darstellte. Seine Farbelemente bleiben stets eigenständig, bei Kiess ist alles reine Malerei.
Dennoch meint man bei seinen Bildern immer wieder, der Welt, die wir von unserem Leben her kennen, sehr nahe zu sein. Kiess hat das auch selbst bestätigt. Wie könne er sich denn als Mann des Auges dieser Welt verschließen, so fragte er einmal. Das Bildnis seines Vaters ist dafür ein vorzügliches Beispiel, denn alles an dieser Arbeit ist dem Phänomen Farbe unterworfen: das Blau des Hemdes, das Grün der Jacke, das gedämpfte Weiß des Eimers. So nahe der uns vertrauten gegenständlichen Welt diese Bildelemente auch zu stehen scheinen, so sind es doch rein malerische Elemente.
Emil Kiess: Malerei, 2006. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Damit reihen sie sich nahtlos ein in die Bilderreihen von rein abstrakten, aus lauter Punkten und Strichen bestehenden Bildern, die dadurch aber alles andere als rein flächig definiert sind. Kiess entwickelt mit diesen rein malerischen Elementen eine unerwartete Tiefe auf seinen Bildern, und auch das lässt sich in dieser kleinen, aber genau durchdachten Bildauswahl nachvollziehen: So scheinen wie zufällig auf einen blauen Hintergrund getupfte farbige Vierecke geradezu in einer Art Weltraum zu schweben. Was lediglich mit dem Pinsel auf Leinwand oder Papier aufgemalt ist, entwickelt ein ganz eigenes Leben – das sich von dem in unserer Lebenswelt nicht zu unterscheiden scheint –, weshalb sich auch in dieser Hinsicht das Porträt seines Vaters als genuine Bildwelt dieses Künstlers entpuppt.
Es ist eine kleine Ausstellung der Emil-Kiess-Stiftung, die aber gerade in dieser Konzentration die Bildwelt dieses Künstlers lebendig werden lässt. Die Orangerie bietet dafür das perfekte räumliche Ambiente.
„Emil Kiess. Malerei. Die Welt des Sichtbaren“, Orangerie, Donaueschingen bis 14.9.2025