Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Hinein ins pralle Menschenleben: Die Kunst um 1500 am Beispiel von Albrecht Dürer und Lucas van Leyden

Eine Kuh, die auf dem Bild eines Milchmädchens den größten Raum einnimmt – das wäre vor 1500 in der Kunst kaum denkbar gewesen; der Niederländer Lucas van Leyden zeigte 1510, dass das möglich sein kann. Ein dicker Schlüsselbund am Ärmel einer Frau macht deutlich, dass sie und nicht der Koch an ihrer Seite das Sagen hat; Albrecht Dürer hatte damit 1496 mitten in das Alltagsleben gegriffen und ein Zeichen gesetzt. Die Staatsgalerie Stuttgart dokumentiert mit einer neuen graphischen Ausstellung einen kunsthistorischen Wendepunkt; sie vereint zwei Künstler, die zukunftsweisend sein sollten: Albrecht Dürer und Lucas van Leyden – der Deutsche eine knappe Generation älter als der Niederländer.

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Lucas van Leyden. Das Milchmädchen. Staatsgalerie Stuttgart

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Kunst aus Licht – der Lunapark im Museum Ritter

Quadratisch, praktisch, gut“ so lautet ein Werbespruch für eine berühmte Schokoladenmarke, die in Waldenbuch unweit von Stuttgart hergestellt wird. Das Unternehmen gehört den Geschwistern Alfred Ritter und Marli Hoppe-Ritter, und Letztere hat ein großes Hobby: Sie sammelt Kunst, die sie im eigens dafür erbauten Museum Ritter auch zeigt. Einziges formales Kriterium: Die Arbeiten müssen quadratisch sein. Jetzt zeigt sie in einer Ausstellung, dass sich quadratische – das heißt also vor allem abstrakte Kunst – nicht nur mit Pinsel und Stift auf Papier und Leinwand realisieren lässt, sondern auch mit dem Phänomen Licht. „Lunapark 2000“ heißt die Ausstellung, denn seit dem Jahr 2000 sammelt Marli Hoppe Ritter eben auch Lichtkunst.

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2015 – ein Annus Mirabilis an der Oper Stuttgart

Die Württembergischen Staatstheater bieten derzeit ein seltsames Kontrastprogramm. Das Stuttgarter Ballett setzt wie gewohnt auf die publikumswirksame Mischung aus sehr viel Tradition (natürlich Cranko sowie Kylian, Béjart, erfreulicherweise auch wieder van Manen), sowie einige (viel zu wenige) Kostproben aus dem neueren Repertoire (Goecke, Volpi). Das Schauspiel Stuttgart scheint dagegen auf dem besten Weg, sein jahrzehntelang bewährtes und treues Stammpublikum zu verlieren; nicht selten verlassen Zuschauer scharenweise die Premierenvorstellungen in der Pause, die Kritik reagiert mit Ironie (ein Intendant verliert sein Gefolge – FAZ; eine unheilvolle Allianz aus Ambition, Arroganz, und Ignoranz – Stuttgarter Zeitung). Die Oper Stuttgart aber kann auf ein Jahr der künstlerischen Triumphe blicken. Keine der vier Premieren geriet auch nur in die Nähe des Mittelmaßes, im Gegenteil. Weiterlesen

Künstler in sieben Generationen: Die Mesmers in Oberschwaben

Kinder von begabten, vielleicht sogar genialen Eltern haben es nicht leicht. Der Sohn von Goethe war eher ein Versager, von Mozarts Kindern ist auch keines im Musikerhimmel gelandet. Im Fall der Familie Mesmer in Oberschwaben ist es anders. Noch der letzte der Dynastie, der Flugpionier Gustav Mesmer, wiewohl kein Maler, sondern Tüftler, zeigte Spuren von dieser Begabung – Generationen nach dem Urvater dieser Sippe: Johann Georg Mesmer. In zahlreichen Kirchen in Oberschwaben hat er Wände und Decken ausgestaltet – so beispielsweise in Saulgau. Dort zeigt jetzt eine Ausstellung, wie er seine Begabung an die folgenden Generationen weitergeben hat.

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Johann Georg Mesmer, St. Wendelin, 1798

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Von Göttern, Dämonen und Spaßmachern. Das Schattentheater von Asien bis Europa im Lindenmuseum

Kein Licht ohne Schatten: Das graue Gebilde, das einem vorausgeht oder nachfolgt, ist untrennbar mit dem Menschen verbunden – Peter Pan hat seinen Schatten auf der wundersamen Insel verloren und sucht ihn verzweifelt, Peter Schlemihl in Adalbert von Chamissos Erzählung hat seinen verkauft und ist seitdem nurmehr ein Mensch zweiter Klasse. Kein Schatten ohne Licht, aber auch kein Licht ohne Schatten – diese geradezu philosophische Verbindung zwischen dem dreidimensionalen realen Körper und dem schemenhaften Begleiter hat seit jeher die Phantasie beschäftigt. Vermutlich haben schon seit Tausenden von Jahren Kinder versucht, ihrem Schatten nachzujagen, oder ihn einem geisterhaften Reich zugeordnet. So ist es nicht verwunderlich, dass er in nahezu jeder Hochkultur die Kreativität zu einer künstlerischen Blüte inspiriert hat.

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Rama versucht, Kumbhakarnas Zauberspeer aus dem Körper seines Bruders zu ziehen. Thailand, frühes 20. Jh. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: A. Dreyer

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Tanz mit dem Pinsel – Hann Trier in der Galerie Schlichtenmaier

Spätestens seit Kandinsky hatte sich die Malerei von ihrer Bindung an die Welt der Gegenstände gelöst. Das war für die Künstler des 20. Jahrhunderts sicher eine Befreiung – zugleich aber auch eine Herausforderung, die auch als Last empfunden worden sein dürfte. Versuche, die Malerei ganz der Geometrie zu unterwerfen, zeugen davon. Die Künstler des 20. Jahrhunderts waren auf der Suche nach einer ganz eigenen Malweise jenseits der Welt, die sie vor Augen hatten – und fanden sie, fast zwangsläufig – schließlich in sich selbst: Informell nannte der französische Kritiker Michel Tapié jene Kunst, die ganz aus der künstlerischen Intuition des einzelnen schöpft. Pierre Soulages und Hans Hartung waren in Frankreich große Vertreter dieser Richtung, Gerhard Hoehme und Emil Schumacher in Deutschland – und auch der vor 100 Jahre geborene Hann Trier.

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Von der Spitze der Avantgarde zurück ins 19. Jahrhundert. Das facettenreiche Werk von Gottfried Graf

Als Richard Strauss seine „Elektra“ schrieb, ging er nach eigenem Bekunden „an die äußersten Grenzen der Harmonik“. Verglichen mit der Kühnheit dieser Komposition erscheint manchem Musikliebhaber das, was er danach schrieb, als Rückschritt – eine gewagte Hypothese sicherlich. Im Fall von Gottfried Graf aber kann man gewiss von einer solchen Kehrtwende sprechen. In den 20er Jahren hatte der Maler zu einer kühnen Formensprache gefunden, während er in den 30er Jahren zu einer eher harmlosen Landschaftsmalerei zurückkehrte.

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Kunst aus der Not geboren: Der Druckgraphiker Hendrik Nicolaas Werkman

In den Niederlanden wurde ein Preis nach ihm benannt, hierzulande ist er weitgehend unbekannt: Der Druckgraphiker Hendrik Nicolaas Werkman. Schon als Inhaber einer Druckerei fiel seine Vorliebe für ungewöhnliche Druckästhetiken auf – ein Spiel mit Buchstaben. Daraus entwickelte sich schließlich eine avantgardistische Kunst, die zwischen figürlich und abstrakt changierte. 1945 wurde er von den Nazis erschossen, über Gründe wird heute noch spekuliert, denn er gehörte nicht dem Widerstand an. Das Spendhaus in Reutlingen zeigt jetzt eine große Werkschau.

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The Next Call, 1923. KlingsporMuseum Offenbach

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Expressionist mit eigenem Profil: Max Pechstein im Kunstmuseum Ravensburg

Sie wollten zu neuen Ufern aufbrechen, die Künstler, die sich 1905 unter dem bezeichnenden Namen „Die Brücke“ zusammenschlossen. Sie begehrten gegen die Konventionen auf, wollten spontan malen. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmitt-Rottluff waren Gründungsmitglieder, ein Jahr danach stieß Max Pechstein zu ihnen, eigentlich ein Fremdkörper, denn er war der einzige akademisch ausgebildete Brückekünstler. Das Kunstmuseum Ravensburg widmet ihm jetzt eine Ausstellung: „Max Pechstein. Körper, Farbe, Licht“.

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Egotrips für Regisseure. Das Schauspiel Stuttgart unter Armin Petras

Zu lang, befand das Darmstädter Opernpublikum; die Theaterleitung reagierte prompt und kürzte Rossinis „Barbier von Sevilla“, obwohl der mit knapp drei Stunden Spieldauer ohnehin nicht zu den längsten Opern zählt. Nicht so das Schauspiel Stuttgart unter Intendant Armin Petras. Er und seine Regie führenden Kollegen sammeln offenbar Einfälle zu ihren Inszenierungen, bis diese schließlich vier oder fünf Stunden dauern, wenn nicht gar mehr. Weiterlesen