Kunst aus Licht – der Lunapark im Museum Ritter

Quadratisch, praktisch, gut“ so lautet ein Werbespruch für eine berühmte Schokoladenmarke, die in Waldenbuch unweit von Stuttgart hergestellt wird. Das Unternehmen gehört den Geschwistern Alfred Ritter und Marli Hoppe-Ritter, und Letztere hat ein großes Hobby: Sie sammelt Kunst, die sie im eigens dafür erbauten Museum Ritter auch zeigt. Einziges formales Kriterium: Die Arbeiten müssen quadratisch sein. Jetzt zeigt sie in einer Ausstellung, dass sich quadratische – das heißt also vor allem abstrakte Kunst – nicht nur mit Pinsel und Stift auf Papier und Leinwand realisieren lässt, sondern auch mit dem Phänomen Licht. „Lunapark 2000“ heißt die Ausstellung, denn seit dem Jahr 2000 sammelt Marli Hoppe Ritter eben auch Lichtkunst.

Auf den ersten Blick könnte das, was in dieser Ausstellung als erstes in den Blick fällt, wie eine Zeichnung aussehen, sogar eine recht minimalistische. Sie besteht aus nichts anderem als geraden farbigen Linien. Einzuordnen wäre die Arbeit in die konstruktivistische Kunst, denn der Künstler, der Italiener Maurizio Nannucci, beschränkt sich auf wenige Formen. Es ist ein Spiel mit drei Grundformen der Geometrie: dem Dreieck, dem Kreis und – geradezu ein Muss in dieser Sammlung – mit dem Quadrat, das das Auge allerdings ergänzen muss, denn es bleibt an einer Seite offen. Und das Auge muss noch mehr entdecken, denn in dieser Verschachtelung der langen bunten Röhren verbergen sich die Buchstaben L-O-V-E – „Love“. Doch die farbigen schmalen Streifen, aus denen sich diese so konstruktivistische und zugleich symbolische Arbeit zusammensetzt, sind nicht Linien auf Papier oder Leinwand, sondern Neonröhren auf der weißen Wand des Ausstellungsraums – und je näher man an die Arbeit herangeht, umso deutlicher wird der Unterschied. Farbige Linien würden sich dem Auge stets gleich darbieten, je nach Standort, diese Linien aber beginnen, je länger man sie betrachtet, zu schwingen. Licht hat nichts von der Materie einer Farbe an sich, Licht ist etwas Immaterielles; das verleiht dem Medium Transparenz, Leben, Zauber – ein Zauber, den die Sammlerin Marli Hoppe-Ritter schon als Kind erlebte, wenn sie mit ihren Eltern zur Weihnachtszeit vom heimatlichen Waldenbuch in die Landeshauptstadt Stuttgart fuhr.

Nannuccis Arbeit ist sehr nah an diesem frühen Großstadterlebnis, denn mit seinen Neonröhren, die sich zu Buchstaben und einem signalhaften Wort formen, spielt er mit dem Phänomen der Neonwerbung unserer Warenwelt.

Mit Buchstaben und Worten arbeitet auch Brigitte Kowanz. Sie hat in einen Plexiglaswürfel das Wort „ESCAPE“ eingebaut, gebildet aus weißen Neonröhren – auch das eine hochgradig symbolische Arbeit, denn diesem Würfel scheint man nicht entkommen zu können, er wirkt wie ein Gefängnis. Blickt man von oben hinein, scheint er sich bis tief in den Erdboden zu erstrecken. Und da entdeckt Marli Hoppe.-Ritter eine weitere faszinierende Eigenschaft des Lichts.

Viele Lichtkünstler arbeiten bewusst mit der Täuschung der Wahrnehmung. So hat man bei einer Arbeit von Hans Kotter mit zahlreichen LED-Elementen den Eindruck, es schlängele sich ein farbiger Lichttunnel nach hinten ins Unendliche. Solche Arbeiten mit unzähligen LEDs erwecken den Eindruck von Malerei, aber einer Malerei, in der das bunte Material zu leben scheint. Daher können sich die Künstler auch auf ganz einfache Formen beschränken. Miriam Prantl hat scheinbar kaum etwas erfunden. Aus jeweils drei langen Neonröhren hat sie drei „Tore“ an die Wand gezaubert. Doch das Licht in diesen Röhren changiert unaufhörlich, sodass man binnen weniger Minuten ein ganzes Farbspektrum in Pastelltönen durchlaufen hat. Das Licht strahlt in den Raum, es bleibt nicht, wie bei der Farbe auf der Leinwand, an eine Fläche gebunden.

Gerade diese Raumwirkung unterscheidet diese Lichtarbeiten von anderen Formen der Zeichnung.

François Morellet hat lediglich einige lange weiße Neonröhren schräg an die Wand gelehnt – doch das Licht dieser Röhren spiegelt sich in der weißen Wand und im Fußboden; so ergibt sich der Eindruck einer in vielen unterschiedlichen Intensitäten schimmernden Rauminstallation.

Diese Raumwirkung findet sich bei allen Arbeiten dieser Ausstellung, auch wenn sie von den Künstlern gar nicht beabsichtigt worden war. Denn alle Lichtarbeiten spiegeln sich im Boden und in der Kassettendecke.

Der Besucher ist umringt von Licht, gefangen in einem Netz aus zauberhaften Linien und Flächen. So ist weit mehr entstanden als lediglich eine Ausstellung mit Arbeiten aus Neonröhren oder LED-Leuchtmitteln. Der „Lunapark“ im Museum Ritter ist ein Gesamtkunstwerk, in das der Besucher eintaucht – und Teil wird von einem Ensemble aus Lichtfluten, deren unmittelbare Herkunft sich dem Auge immer mehr entzieht, je länger er in diesem Zauberraum verweilt.

Lunapark 2000. Lichtkunst aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter. Museum Ritter, Alfred Ritter Straße 27, 7111 Waldenbuch bis 18.9.2016

 

Zum Lunapark findet sich auf Youtube ein Film von Horst Simschek und mir

https://www.youtube.com/watch?v=NhLrpLGhScY

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert