Der Reiz der Pferdestärken: „Autokunst“ im Museum Art.Plus

Je sportlicher, desto besser, je schneller, desto faszinierender – es gilt als der Deutschen liebstes Kind, das Auto, zumindest der männlichen Geschlechts. Stromliniendesign, Metalliclacke, die Vorstellung rasanter Fahrten, Geschwindigkeiten, die an Blitze denken lassen, dazu kräftig aufheulende Motoren, kurz bevor die Wagen dann losdonnern – es sind Klischees, aber durchaus mit realem Hintergrund. „Vollgas“ lautete der Titel einer Ausstellung im Museum Art.Plus in Donaueschingen; jetzt folgte gewissermaßen die Fortsetzung: „Durchstarten“.

Es dürfte für Rennwagenfans einer der liebsten Sounds sein – das Aufheulen der Motoren kurz vor dem Start, das Röhren – „Roar“ heißt das lautmalerisch auf Englisch, und dieses Wort hat Friedemann Flöther in Blechbuchstaben an die Wand gehängt, hergestellt – natürlich – aus Autoblech, roten Motorhauben, und man hört das Röhren fast, wenn man davorsteht. Allerdings ist das Vergnügen nicht ungetrübt, denn das Blech stammt von alten Motorhauben, verbeult, angerostet. Und auch die in Gold erstrahlende Karosserie von Stefan Rohrer ist nicht nur ein Bild des Sieges. Er nennt diese Arbeit zwar Helios – nach dem Sonnengott der griechischen Mythologie, der in einem Wagen über den Himmel zieht, doch diese Karosserie weist trotz der Blattgoldauflage deutliche Rostspuren auf. Dieser Sonnengott fährt Schrott.

Ein ähnliches Bild bei Flöthers überdimensionaler Start- bzw. Zielflagge. Pole Positions nennt er die Arbeit und bezieht sich mit ihr auf die kleinen Flaggen, die beim Einlauf in die finale Runde aufmunternd geschwenkt werden. Er hat die schwarz-weißen Karos aus den Kotflügeln von Schrottautos geschweißt – der schwere Unfall ist mit der Flagge vorprogrammiert.

Bei Stefan Rohrers Highway Patrol können die Cops nur noch den Exitus feststellen: Die beiden Straßenkreuzer sind offenbar mit einer solchen Geschwindigkeit aufeinandergeprallt, dass die Karosserien miteinander verschmolzen sind. Die kleine Plastik wirkt zwar wie ein Spielzeug, die Wucht der Dynamik aber wirkt dadurch fast noch größer.

Wenn Künstler sich dem Thema Auto widmen, geht es meist zwiespältig zu. Der Reifen, den Chakaia Booker ausstellt, wirkt zerfetzt wie nach einem schlimmen Crash – zugleich hat er die Form eines Kraken, die zerfetzten Gummistreifen ragen in den Raum wie gierige Fangarme – das Auto, ein alles verschlingendes Monstrum. Bei Carlo Borer hat es gar die ganze Welt erobert. Auf seiner Weltkarte bestehen die Erdteile aus lauter schwarzen Reifenteilen mit deutlich sichtbarem Profil. Lediglich einige kleine Inseln südlich von China sind offenbar davon verschont.

Und dass das Automobil eine Droge werden kann, zeigt er mit drei aus blitzendem Edelstahl und Polyurethan – landläufig formuliert Chrom und Reifengummi – gebastelten Arzneikapseln. Es sind Kapseln, die, wie ein von ihm verfasster Beipackzettel warnend hervorhebt, hochgradig süchtig machen –

– was sogar, wie eine Arbeit von Viviana Abelson nahezulegen scheint, mit dem Verlust der Individualität einhergehen kann, Bei ihr ist die Jacke eines Motorradfahrers nahtlos mit einem Reifen verschmolzen. Legend heißt die Plastik, Legende; es möchte offenbar so mancher ein berühmter Rocker sein.

Das Autos scheint sich alles erobert zu haben. Bei Fabio Viale sogar ein Stück ansonsten unberührter Felsnatur. Selbst der Himmel, so deutet er in einer anderen Arbeit an, kommt nicht ohne Reifenprofile aus. Eine Art Milchstraße von ihm besteht – wie nicht anders bei diesem Namen zu erwarten – aus Reifenprofilen. 

Es gibt freilich auch so etwas wie eine autofreie Zone. Einfahrt verboten, so signalisiert ein Verkehrsschild von Pierluigi Pusole. Gottseidank! möchte man ausrufen, denn in dem weißen Streifen dieses Verkehrsschilds eröffnet sich der Blick in eine idyllische Landschaft.

Auf den Fotos von Simone Demandt gar blickt man in den Himmel. Von den Autos ist nur ein Streifen des Dachs zu sehen, als wären es Relikte einer untergegangenen Kultur. Und auch das Gebilde, das Stefan Kuhn eindeutig, wie das Firmenschild beweist, aus Teilen von BMWs geschmiedet hat, wirkt eher wie ein zusammengestauchtes Auto, zugleich aber auch fast futuristisch – und ist ganz ohne Beulen oder Rost.

Und auch die von Stefan Rohrer aus echten Motorrollerteilen geschmiedete Vespa könnte nie und nimmer fahren, wirkt aber wie der Inbegriff von Eleganz und Geschwindigkeit.

Durchstarten – Take Off“, Museum Art.Plus, Donaueschingen bis 13.11.2022

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