Falsch und doch echt. Jim Avignons „Covermalerei“

Es gibt viele Formen der Nachahmung. Die perfideste ist die Fälschung, die perfekte Imitation eines Originals, die als Original ausgegeben wird. Ein Plagiat ahmt das Original nur nach, gibt aber nicht die Quelle an, ein Zitat greift nur Elemente eines Originals auf und spielt oder argumentiert damit, ein Remake ist eine Neuversion eines Originals durch den ursprünglichen Künstler, ein Cover die Neuversion eines Musikoriginals durch einen anderen Künstler. Für die Städtische Galerie in Böblingen hat der Berliner Künstler Jim Avignon Letzteres angefertigt: Coverversionen nicht älterer Musikstücke, sondern älterer Gemälde: Neo – interpretiert.

 

Ein Paar im Wohnzimmer, sie lauscht rauchend den Tönen. die aus einem alten Grammophon kommen, er lehnt sich zurück, bedeckt die Auen mit der Hand, ob aus Konzentration oder weil er eingenickt ist, bleibt unklar. Als Max Ackermann 1930 dieses Bild malte, war das Grammophon zwar schon rund vierzig Jahre bekannt, aber immer noch die große Faszination, denn andere Musikkonservierungen gab es nicht. Was, so fragte sich der in Berlin lebende Künstler, der sich Jim Avignon nennt, hätte Ackermann wohl heute auf seinem Bild verewigt, und er malte das Ackermannsche Paar neu, ersetzte das Grammophon durch einen Laptop, und der Mann döst nicht vor sich hin, sondern vertreibt sich die Zeit mit seinem Smartphone.

Aus den rund 1200 Werken der Sammlung der Stadt Böblingen wählte sich Avignon zwanzig aus und interpretierte sie neu. Dabei blieb er manchmal sehr nah am Original: Jakob Bräckle hatte auf einem Gemälde eines Ackerfeldes ein Pferdegespann samt Bauer gesetzt, Avignon ersetzte das Gespann durch einen Traktor und vereinfachte den Pinselstrich, denn Bräckle malte seine Bilder langsam, Avignon malt schnell, sehr schnell.

Für seine Neuinterpretationen fand er die unterschiedlichsten Wege. Vom Porträt, das Fritz Steisslinger 1934 von seinem Malerkollegen Reinhold Nägele anfertigte, beließ er nur den Oberkörper im Jackett und die leicht gekräuselte Frisur, den Kopf hat er ausgeschnitten, durch das Loch können sich nun Besucher als „Nägeleersatz“ ablichten lassen – so wird ein Selfie unserer Tage kunsthistorisch geadelt.

Raffiniert ist sein Umgang mit abstrakter Malerei. Mitte der 50er Jahre schuf Willi Baumeister eine Serie von Kompositionen, die von archaisch wirkenden Fantasiewesen bevölkert zu sein scheinen, schwerelos abstrakte Szenen, in denen Avignon für seine Version wie selbstverständlich eine Strandszene entdeckte, die er zu Papier brachte: Wellen, ein Boot, ein zackiges Gebilde interpretierte er als Zahn, zu dem folglich auch die Hand eines Zahnarztes samt Zange gehört.

Selbst zu einem so inhaltslosen abstrakten Malstil wie der Hard-Edge-Malerei eines Georg Karl Pfahler dachte er sich eine Geschichte aus. Das Original besteht aus zwei senkrechten rotorangenen breiten Streifen, die einen schwarzen umrahmen. Avignon drehte das hochformatige Bild um 180 Grad und malte zwei Figuren dazu – fertig war das Bild einer einsamen Straße.

Manchmal führte er ein Bild auch einfach weiter, als erzählte das Original eine Geschichte. Clara Neuburger malt Anfang des 20. Jahrhunderts ein Schloss am Ammersee samt Park. Avignon drehte den Kopf ein wenig nach links, und malte, wie der Park dort weitergehen könnte – samt Parkwächter und Schrankenwärterhäuschen. Hatte Gertrud Koref-Stemmler-Musculus 1930 eine Schweizer Berglandschaft gemalt, so ergänzte Avignon sie durch das, was heute am Himmel zu sehen wäre: Paraglider.

Am raffiniertesten behandelte er das Bild, auf dem Franz Frank einen Mann porträtiert hatte, der die Hände vor einem Erschießungskommando erhoben hat. Avignon drehte das Bild auf den Kopf – sein erster „Eingriff“ in das Original – und fügte daneben ein Schild hinzu: „Baselitz was here“.

Selbst Stiefmütterchen regten seine Fantasie an: Er entdeckte in den Blüten lauter Gesichter mit Nase, Mund, und auch einem Schnauzer.

Avignon hat die Malerei der klassischen Moderne neu gedeutet, unserer Zeit angepasst. Nun wartet man eigentlich nur noch darauf, dass er die Kunstgeschichte von da Vinci bis Picasso ins 21. Jahrhundert überführt.

Neo: Interpretiert. Jim Avignon im Dialog mit der Kunstsammlung der Stadt Böblingen“. Städtische Galerie Böblingen bis 17.9.2017

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