Glanz und Elend der Geschwindigkeit: Vollgas im Art.Plus in Donaueschingen

Es gilt als der Deutschen liebstes Kind, das Auto, zumindest der männlichen Geschlechts. Stromliniendesign, Metalliclacke, die Vorstellung rasanter Fahrten, Geschwindigkeiten, die an Blitze denken lassen, dazu kräftig aufheulende Motoren, kurz bevor die Wagen dann losdonnern – es sind Klischees, aber durchaus mit realem Hintergrund, die um das Auto ranken, und die Gefahren, die jeder eingeht, der an einem Autorennen teilnimmt, tragen das Ihre dazu bei, dem Auto den Nimbus des Extraordinären zu verleihen. Dass derlei Reize auch die bildenden Künstler nicht kalt gelassen haben, zeigt eine Ausstellung im Museum Art.Plus in Donaueschingen. Vollgas lautet der Titel. Hauptdarsteller: das Auto.

Stefan Rohrer, Vespa, 2007

Kaum hat man das Foyer des Museums Art.Plus in Donaueschingen betreten, kann einem schon schwindlig werden angesichts eines schwungvollen Metallobjekts. Stefan Rohrer hat den Kotflügel einer Vespa verlängert und dabei kunstvoll so verdreht, dass man den Eindruck hat, hier kreise das Gefährt um sich selbst. Da geht es mit Vollgas – so der Titel der Ausstellung – im Kreis. Und auch bei seiner Carrera-Rennbahn kann einem schwummrig werden, denn man ist versucht, die Windungen mit den Augen, ja mit dem ganzen Kopf nachzuverfolgen. Dabei meint man geradezu, den Lärm der rasenden Wagen zu hören.

Denn natürlich denkt man beim Stichwort Vollgas zunächst an Autorennen, deren Charakteristikum ja höchste Geschwindigkeit ist. Man spürt geradezu die Macht der Motoren selbst, wenn man vor einem echten Rennwagen steht, zumal, wenn er von einer Rennsportlegende wie Hans-Joachim Stuck gefahren wurde. Aber der Rausch von Geschwindigkeit kann sich auch schon vor einem prachtvoll designten Porsche oder einem Alfa Romeo einstellen.

Doch braucht es gar nicht einmal allzu viele PS unter der Motorhaube, um Tempoerfahrung zu machen. Die unscharfen Leuchtspuren, die die Scheinwerfer fahrender Autos in der Nacht auf den Fotos von Ileana Florescu hinterlassen haben, reichen dazu auch schon aus. Überhaupt: Bei Unschärfe auf Fotos denkt man unversehens an rasante Fahrten, selbst wenn diese Unschärfen auf Fotos von stehenden Autos entstanden sind, wie bei Axel Bleyer, dem es die Kühlerfiguren legendärer Automarken angetan haben.

Es bedarf nicht einmal der Automobile. Alastair Gibson hat stromlinienförmige elegante Fischkörper gestaltet, glänzend: Haie. Aber auch diese Exemplare aus der Tierwelt haben mit Autos zu tun, denn Gibson hat diese Körper aus echten Formel 1-Teilen gebaut – schließlich hat er selbst in mehreren Formel 1-Teams gearbeitet. 

Womit wir wieder beim Rennsport wären, der sich natürlich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht. Chris Nägele nennt ihre Arbeit pole-positions. Sie hat aus bunten Neonröhren den Verlauf der großen Rennstrecken nachgezeichnet und die besonders gefährlichen Abschnitte wie etwa enge Kurven farblich hervorgehoben. So sieht man Hockenheim und natürlich den Nürburgring.

Wenn ein Rennfahrer auf einer solchen Rennstrecke dann ins Ziel einfuhr, erwartete ihn der ersehnte Anblick, die schwarz-weiß karierte Flagge, die zur Zieleinfahrt geschwenkt wurde. Friedemann Flöther hat sie übergroß aus Blechteilen geschweißt, natürlich Autoteilen, Kotflügeln – doch mit Siegesfreude hat diese Arbeit nichts zu tun: Die Kotflügel sind verbeult, denn Autosport ist eine gefährliche Angelegenheit. Das macht auch das inzwischen legendäre Foto von Robert Häusser deutlich. Es zeigt einen verhüllten Formel 1-Rennwagen. Als fahrenden Sarg bezeichnete Häusser ihn; wenige Monate danach verunglückte in demselben Modell der Rennfahrer Jochen Rindt tödlich.

Da fehlte wohl der hl. Christophorus, der Schutzheilige der Reisenden und Rennfahrer. Damit er stets bei der Hand ist, hat Friedemann Flöther ihn nach einer Zeichnung von Albrecht Dürer in eine Kühlerhaube geritzt – aber ritzen heißt eben auch: verletzen. Die Gefahr ist neben dem Rausch der Geschwindigkeit stets präsent in dieser Ausstellung.

Da wäre es doch besser, vom Tempo Abstand zu nehmen. Der Italiener Fabio Viale hat es mit Marmor geschafft. Zwar sieht sein Reifenobjekt aus wie ein Pirelli-Reifen mit stark abgefahrenem Profil, aber der Pneu besteht aus Marmor, und in einer anderen Arbeit hat Viale gar zwei Reifen ineinander verschränkt. Von Tempo kann da keine Rede mehr sein. Und auch der Porsche aus Blei von Gottfried Bechtold steht unbeweglich auf dem Podest, denn wenn er fahren könnte, wie er sollte, dann könnte es sehr leicht zum Crash kommen, wie ein Betonmodell daneben zeigt.

Stefan Rohrer, Helios, 2011

Dabei braucht es das Tempo gar nicht. Man kann sich am Phänomen Auto nämlich auch dann delektieren, wenn es gar nicht erst ins Rollen kommt. Etwa an den herrlichen Lackierungen. Gerhard Langenfeld hat lackierte Metallstreifen nebeneinander gestellt und genau bezeichnet, welches Auto welchen Schwarz- oder Silberlack trägt. Auch das ist die Ästhetik des schnellen Autos, aber ganz ohne Risiko. So mancher würde es am liebsten vergolden, wie Stefan Rohrer es mit einem Porsche tat. Helios nannte er die Arbeit, Sonnengott; er hätte sie auch das Goldene Kalb nennen können.

Vollgas – Full Speed“, Museum Art.Plus, Donaueschingen bis 19.1.2020

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