Grenzüberschreitungen – Wolfgang Flad und Jürgen Elsner in Bad Waldsee

Künstler arbeiten mit Materialien, und ihre Arbeit folgt Gesetzen, die die Materialien auferlegen. So entstehen Tafelbilder in der Regel durch Malerei mit Ölfarbe auf Holz oder Leinwand, und schon diese Malgründe erfordern einen unterschiedlichen Farbauftrag, hinzu kommt, dass die zähflüssige Ölfarbe der malenden Hand andere Widerstände entgegenbringt als etwa die moderne Acrylfarbe oder gar die transparente Aquarellfarbe. Der Bildhauer arbeitet mit Stein, Holz oder Stahl – schweren Materialien, statisch, in sich ruhend. Künstler können mit diesen Gesetzlichkeiten arbeiten. Zwei Ausstellungen in Bad Waldsee zeigen, dass man auch gegen sie arbeiten kann.

Konträrer könnten die beiden Künstler kaum sein. Auf der einen Seite Wolfgang Flad. Sein Material sind Holzlatten, die er mit Pappmaché ummantelt. So nimmt er den Latten das Starre, lässt sie organisch wirken. Aus diesem Grundmaterial entwickelt er Gebilde, die ätherisch auf Sockeln ruhen können oder aber im Raum schweben – ein Widerspruch, denn Holzplastiken erheben sich in der Regel nicht in die Luft, bei Flads Gebilden aber hat man den Eindruck, sie hätten sich von selbst vom Boden aus in die Höhe erhoben, zumal die Einzelteile an dünnen durchsichtigen Fäden hängen, die man kaum sieht. Hier scheint das Phänomen „Flug“ Gestalt gefunden zu haben.

Flads Arbeiten sind dabei so leicht, dass sie bereits durch die Luftbewegung ins Schwingen geraten können. So nannte er einmal eine Arbeit bezeichnenderweise Gegen die Schwerkraft, ein anderes Mal Verlauf, weil die durch die Pappmachéauflage rundlich wirkenden Latten sich willkürlich im Raum zu erstrecken scheinen, von unsichtbarer Hand geleitet oder durch die Fliehkraft bestimmt. Exploded View hieß denn auch eine dritte Arbeit.

Die im Museum im Kornhaus in Bad Waldsee hängende Arbeit trägt den Titel Schrittweise Annäherung an ein Problem, auch er sehr treffend, denn der Raum, für den Flad diese Arbeit schuf, stellt Ausstellungsmacher vor Schwierigkeiten, wird die Decke doch getragen von vier wuchtigen uralten dunklen Holzpfeilern. Üblicherweise würden bei Skulpturenausstellungen die Arbeiten auf Sockeln oder auf dem Boden zwischen die Pfeiler verteilt aufgestellt, da Flads Gebilde aber den ganzen Luftraum umfassen, musste er seine Arbeiten rund um die Pfeiler schweben lassen; so wird die Raumarchitektur integraler Bestandteil seiner Arbeit. Die schwebenden Teile umfassen, umspielen die Pfeiler, denen Flad noch zusätzlich aus flachen Holzplatten gebildete Stelen hinzufügte. So wird der alte Raum mit den tragenden Pfeilern durch Flads flache, rechtwinklige Stelen in die Moderne überführt.

Dieses Spiel mit den Gegensätzen wird durch die Arbeiten an den Wänden fortgeführt. Subtil in vielen Schichten lackierte Holzflächen sind das, aus denen Flad elegante Linien ausgefräst hat, und daneben diese Ausfräsungen gewissermaßen als Positivform an die Wand gehängt – positiv und negativ ergänzen einander, aber nur scheinbar, denn die Positivformen sind ungleich größer als die Ausfräsungen und scheinen wie seine Skulptur in der Mitte des Raums über die Wände zu fliegen, wie Vögel, die nur aus Flügeln bestehen.

Ganz anders Jürgen Elsner. Seine Arbeiten strahlen von innen heraus. Sein Grundmaterial ist Öl, Speiseöl in seinen unterschiedlichen Farbnuancen von hellgelb über grün bis schwarzoliv beim steierischen Kürbiskernöl. Diese Substanzen füllt er in flache Acrylbehälter, streng geometrisch konstruktivistisch gebaut mal als längliche Streifen, mal als Kreuz, mal als Kreis. In runden Stelen lässt er das Öl auf Wasser schwimmen. Das Licht fängt sich im Öl und bringt den Stoff zum Leuchten. Das Öl ist kein Farbträger, es wird hier selbst zum Licht, das materielose Licht wird materialisiert, auch das ein Widerspruch in sich.

Einen prägenden Eindruck auf Elsner hatte ein Werk des spanischen Künstlers Antoni Tapiès: Und die Sonne geht auf. Elsners Arbeiten sind Oasen der Stille, sie fordern den Betrachter auf, sich in das Gleißen der Lichtfarben zu versenken. Die strengen Formen setzen dem seiner Natur nach langsam verlaufenden Material einen Gegenpol, Flüssigkeit erstarrt, Bewegung wird Stagnation, Ruhepol.

Und so kann man zwischen diesen beiden so grundverschiedenen Künstlern erstaunliche Parallelen entdecken. Beide transzendieren ihre Materialien, beide stellen uralte Grundformen der bildenden Kunst in Frage. Bei Flad wird das Schwere, in sich Ruhende, Kompakte der Plastik ätherisch, dynamisch, aus den Skulpturen werden Zeichnungen in der Luft, die sich mit den Schattenlinien an den Wänden und auf dem Boden noch multiplizieren. Auch Elsner arbeitet mit Ätherischem, er überwindet die Materialität seines Arbeitsstoffs und kreiert den Eindruck von Immateriellem, geheimnisvoll wirkendem Sein.

Auch in der hinter den Arbeiten stehenden Ideologie sind sich die beiden Künstler so unähnlich nicht. Elsner arbeitet mit seinem Öl mit einem Grundstoff des Lebens, und Flad nimmt für seine Pappmachéumhüllungen der Holzlatten alte Kunstkataloge und nennt seine Arbeiten scherzhaft extrem aufgeladenes potentielles Kunstwissen – beide Künstler verfolgen mit dem Stoff, aus dem ihre Arbeiten sind, Botschaften.

So fordern diese zwei Ausstellungen den Betrachter auf, seine festgefahrenen Vorstellungen von Farbe und Materie zu überdenken, vielleicht zu revidieren.

 

Bildrechte: Künstler, VG Bild-Kunst, 2017

Wolfgang Flad. Schrittweise Annäherung an ein Problem“. Museum im Kornhaus, Bad Waldsee bis 24.9.2017

Jürgen Elsner. Die Farbe des Lichts“ im Kunstraum I Kleine Galerie I Bad Waldsee bis 10.9.2017

Ein Gedanke zu „Grenzüberschreitungen – Wolfgang Flad und Jürgen Elsner in Bad Waldsee

  1. Axel F. Otterbach

    Herzlichen Dank für den tollen Artikel, wirklich gut gelungen! Gerne wieder.
    Liebe Grüße!
    Axel Otterbach

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