Große Kunst in kleiner Stadt: 35 Jahre Städtische Galerie Ochsenhausen

Ochsenhausen hat nur knapp 9000 Einwohner; dass es dennoch Anziehungspunkt für Kulturinteressierte ist, verdankt es letztlich dem Zufall. Der erste war der Sage nach ein Ochse, der beim Pflügen auf einen Schatz stieß, den Nonnen auf der Flucht vor den Hunnen vergraben hatten – Ursprung des Klosters Ochsenhausen, das nicht zuletzt durch den Ehrgeiz seiner Äbte bis zur Reichsabtei mit grandiosen barocken Bauten aufstieg. Dass Ochsenhausen seit Jahrzehnten auch ein Zentrum für Freunde moderner Kunst ist, verdankt es letztlich einer Person und einem Quäntchen Glück.

Kloster Ochsenhausen, Fruchtkasten

Die Person: Manfred Schmid (inzwischen verheiratet Schmid-Sax), der 1988 Leiter des Kulturamts wurde. Das Glück: Obwohl er nicht aus einem kunstsinnigen Elternhaus stammt, wurde er zur Kunst „bekehrt“ durch den Besuch einer Nolde-Ausstellung in Stuttgart. Und als die Stadt Ochsenhausen den Fruchtkasten des Klosters vom Land Baden-Württemberg mietete, das sich intensiv für die Restaurierung der Klosteranlage einsetzte, zunächst ganz allgemein für kulturelle Veranstaltungen, zog alsbald die bildende Kunst in die Räume, in der früher Feldfrüchte gelagert wurden.

Nachdem zunächst Kunst von Schülern präsentiert worden waren, erkannte Schmid-Sax die Möglichkeiten der immerhin fünfhundert Quadratmeter großen Räumlichkeit. Von da an baute er neben seiner Hauptarbeit im Kulturamt Schritt für Schritt ein Kunstzentrum auf. Was hier seit 1987 entstand, hat die Stadt nun in einer großen Dokumentation in Buchform zusammenfassen lassen: „Chapeau! Große Kunst in einer kleinen Stadt“.

Dass sich am Ende in der Liste der präsentierten Künstler Namen wie Picasso, Chagall, aber auch Größen der abstrakten Malerei in Deutschland wie Emil Schumacher befinden, ist einer systematischen Aufbauarbeit zu verdanken, denn allzu viel Geld hatte die Stadt nicht für einen großen Galeriebetrieb, der vom Kulturamtsleiter gewissermaßen „nebenher“ gestemmt wurde.

So wurde die Keimzelle dieses Kunstlebens zunächst grundsätzlich weitergeführt: Künstler aus der Region erhielten Gelegenheit, ihre Arbeit in den klar strukturierten, aber durch die stützenden Säulen und die bodentiefe Fensterfront wirkungsvollen Räumen zu zeigen. Dabei brachte er schon früh den unter den Nazis als „entartet“ diffamierten und drangsalierten Sepp Mahler einem breiteren Publikum nahe, denn eine so umfassende Ausstellung war davor, und auch danach, für die Kunst dieses in düsteren Farben schwelgenden Künstlers die Ausnahme.

Zu Beginn dominierte die gegenständliche Kunst. Mit den im wahrsten Sinn fantastischen Bildwelten von Friedrich Hechelmann zeigte die Städtische Galerie aber auch bald, wie wenig eine solche Kunst mit dem Abbild der realen Welt zu tun haben muss.

Schmid-Sax ließ sich danach immer mehr in Richtung Abstraktion inspirieren, wobei er der regionalen Nähe der Kunst immer wieder den Vorzug gab. Diese Ausstellungen, die wegen der Raummöglichkeiten nicht selten fast enzyklopädischen Charakter hatten, bedeuteten für zahlreiche Künstler nicht selten den Start in eine Ausstellungskarriere, da Schmid-Sax einen Blick für Qualität hatte. So konnte man hier schon früh die Holzschnitte von Detlef Willand erleben, die von der realen Welt ausgingen, aber stets durch die Auseinandersetzung mit der Technik und dem Material des Holzschnitts zu eigenen Bildwelten vorstießen. Noch stärker von der Struktur des Holzes bestimmt waren die Drucke von Siegfried Assfalg, und die geradezu strahlenden Farbsymphonien von Willibrord Haas ließen zwar noch Assoziationen an Himmel und Landschaften zu, waren aber letztlich abstrakte Symphonien in intensiv leuchtenden Farben. In der Jubiläumsausstellung sind rund zwanzig der in den vergangenen fünfunddreißig Jahren gezeigten Künstler zum Teil mit neueren Arbeiten vertreten.

So auch die Bildhauer, denn bald bekam auch die Plastik einen festen Platz im Ausstellungsprogramm, eine Kunstform, vor der wegen der logistischen Schwierigkeiten viele Städtische Galerien zurückscheuen. So war der Tübinger Ugge Bärtle mit seinen figürlichen Skulpturen vertreten, die ganz aus der Qualität des rohen Steinmaterials gestaltet sind, Erich Hauser mit seinen spitzen abstrakten Edelstahlskulpturen und Horst Reichle, der in der zweidimensionalen Form der Druckgraphik und Malerei und der dreidimensionalen der Holz- und Steinplastik gleichermaßen zuhause ist.

Horst Reichle, Sommerland, 2022

Mit Reichle entwickelte sich eine dritte Eigenart der Städtischen Galerie: Sie blieb treu. So konnte man Reichle über die Jahre mehrmals begegnen, wie auch HAP Grieshaber.

Und noch eines zeichnet diese Städtische Galerie aus: Sie strebte nicht nach Publikumsrekorden, auch wenn die seit 1997 zur Tradition gewordenen großen Sommerausstellungen sich eher an ein breiteres Publikum wenden – mit Einzelausstellungen von Salvador Dalí, Christo und den Pop-Künstlern Warhol und Co., aber auch Themen wie Venedig oder Mozart in der Kunst von heute.

Chapeau“ nennt die Stadt Ochsenhausen diesen beeindruckenden Kunstrückblick. An Lob von außen mangelt es nicht, wie die Kommentare der Besucher im Gästebuch zeigen, und die Stimmen zahlreicher Kritiker, die im Jubiläumsbuch zitiert werden. Daher denn auch von dieser Seite: Chapeau!

Chapeau – Große Kunst in einer kleinen Stadt.“ Städtische Galerie im Fruchtkasten des Klosters Ochsenhausen bis 14.5.2023. Die gleichnamige Jubiläumsschrift dokumentiert alle Ausstellungen im Fruchtkasten sowie im Klostermuseum. 328 Seiten, 29.90 Euro

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