Landschaft ohne Bäume

Im 17. Jahrhundert entdeckten die niederländischen Maler die Landschaft als eigenständiges Motiv. Von da an erfreute sie sich zunehmender Beliebtheit – bis die Fotografie die Abbildfunktion übernahm und die Malerei neue Ausdrucksformen suchte. Wenn Künstler heute sich dennoch der Landschaft zuwenden – und sie tun es in jüngster Zeit erstaunlich häufig -, dann entstehen Landschaftsbilder völlig neuer Art – jetzt zu sehen im ehemaligen Kloster Mariaberg, in dem heute eine therapeutische Einrichtung für Menschen mit Behinderungen untergebracht ist.

Dicke, schwarz-weiß-graue Farbbahnen überziehen die Leinwand. Ronald Franke brachte die Farben mittels eines Spachtels auf die Leinwand – und gestaltete im Grunde genommen abstrakte Kompositionen. Doch durch die breiten Spachtelformen erstehen vor dem Auge des Betrachters Assoziationen an Häuserfassaden. Ziehen sich die Farbbahnen geschwungen über das Bild, fühlt man sich an Straßenzüge erinnert. Franke, vor einem halben Jahr verstorben, malte Stadtlandschaften – changierend zwischen gegenstandsloser Farbmalerei und Ahnungen urbaner Lebensräume, bar aller Menschen und jeder Vegetation. Es sind Farblandschaften, vor denen der Betrachter jeweils seine eigenen Deutungen entwickeln muss, Landschaften von heute.

DSC_0026 (1) (800x392)

Ronald Franke, Stadtlandschaft, 2012

Simone Strassers Bilder scheinen noch weiter vom herkömmlichen Landschaftsbegriff entfernt zu sein als die Kompositionen von Ronald Franke. Mit vehementem Schwung bringt sie dicke Farbstriche auf die Leinwand – die Farbe fasert aus, die einzelnen Pinselhaare scheinen ein Eigenleben zu entwickeln. Zugegeben: Grün taucht häufig auf ihren Bildern auf, aber das macht noch keine Landschaft aus, und doch wären diese Bilder ohne Landschaft undenkbar. Simone Strasser malt sie im bayrischen Voralpengebiet und lässt sich allein von der Natur inspirieren. So verwundert es nicht, dass ein Bild sehr konkret „Rose ruhend“ heißt, doch in das Wesen dieser Malerei führen andere Bildtitel ein: „Vertigo“ zum Beispiel, also Schwindel – und angesichts der wirbelnden Pinselbewegungen können einem in der Tat die Sinne schwinden. Simone Strasser malt, was die Landschaft in ihr an Rhythmen, Bewegung, Farbvisionen hervorgerufen hat, verinnerlichte Landschaft.

IMG_1244 (716x900) (597x750)

Simone Strasser, Tornado, 2015

Sigrid Nienstedt widmet sich wie Ronald Franke den Stadtlandschaften, doch während Franke mit seinen Spachtelstrichen die Häuser und Straßen fast körpernah ahnen lässt, rückt sie die Städte in weite Ferne. Oft sieht man sie lediglich als schmalen Silhouettenstreifen. Da sind zwar durchaus Details erkennbar wie die Freiheitsstatue in New York, aber das Licht auf ihren Bildern rückt alles in eine Traumsphäre. Vor diesen Bildern meint man, Städte aus der Erinnerung heraufbeschwören zu können – magisch verzaubert und ungreifbar, und doch der Wirklichkeit abgeschaut.

SONY DSC

Sigrid Nienstedt, Hamburg, 2015

Landschaft verwandelt in architektonisch geschichtete Farbbahnen, in informelle Pinselbewegungen, in Lichtmärchen – drei Möglichkeiten, ein altes Motiv mit den Ausdrucksmitteln der Gegenwart neu zu erfinden.

Kunst im Kloster: Landschaft. Kloster Mariaberg, Klosterhof 1, 72501 Gammertingen bis 8. 11. 2016. Montag bis Donnerstag 8-17, Freitag 8-15 Uhr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert