Mehr als nur zum Wohnen: Raum-Kunst

Raum ist physikalisch gesehen eine sich in drei Dimensionen erstreckende Größe, im menschlichen Leben ein zum Aufenthalt bestimmter Bereich, in der Astronomie das All, in der Malerei ein Problem. Erst durch die Zentralperspektive ließ er sich so darstellen, dass er für das Auge dreidimensional wirkte. Doch im 20. Jahrhundert hat sich vieles geändert. Die Perspektive in der Kunst gilt weitgehend als überwunden, die Physik des 20. Jahrhunderts hat Raum und Zeit relativiert – hinreichend Spielraum also für die Phantasie der Künstler, wie jetzt eine Ausstellung im Museum Ritter in Waldenbuch deutlich macht.

Raum ist in der kleinsten Hütte, so sagt man – und der Ungar Tamás Kaszás scheint sich das zum Motiv seiner Arbeit gemacht zu haben: Er orientiert sich an der Realität, baute in Miniaturformat Behausungen, für die er seine Inspiration in den Pueblos der Anden fand. Auf Gestellen, die er aus handelsüblichen Regalstangen bastelte, ordnete er Beispiele einfacher Unterkünfte an. Das ist Modellhausbau zum einen, zugleich aber auch geometrisch-abstrakte Plastik. Die Kluft zwischen Realität und Kunst wird so geradezu spielerisch überbrückt. Und die Lust am Spiel zeigt sich auch in seinen Vogelhäuschen samt Anleitung zum Basteln.

Auf Realität bezieht sich auch der Schweizer Beat Zoderer: „Plattenbau“ nennt er eine große Rauminstallation, nach der aus der DDR bekannten Bauweise, doch er nimmt den Begriff wörtlich, baut seinen Raum aus weißen Pressspanplatten, spielt auf den als White Cube bekannten Ausstellungsraum in Museen an und kreiert zugleich eine abstrakte Raumplastik. Eine andere Arbeit nennt er “Hologramm“. Aus farbigen Holzleisten hat er eine Art Gitterstruktur gezimmert, die auf den Betrachter wirkt, als sei sie ein in sich zusammengestauchter Käfig. Man möchte am liebsten die Streben erfassen und nach vorn ziehen, um den Gitterraum wiederherzustellen. Hier begegnen sich Zeichnung und Skulptur am Beispiel Raum.

Auch hier findet sich das das Changieren zwischen Realität und Kunstraum, und das gilt erst recht für Jacob Dahlgren. Er erweckt mit von der Decke hängenden bunten Textilstreifen den Eindruck, als stehe man vor einer jener italienischen Bars, deren Eingänge ja oft mit bunten Bändern gegen die Mücken verhängt sind. Doch wenn man versucht, Dahlgrens „Raum“ zu betreten, ist man mit einem dichten Gewirr von solchen Bändern konfrontiert. Der Raum ist streng genommen gar kein Raum; was ein leerer Bereich sein sollte, ist ein geradezu kompakt gefüllter Kubus.

Je mehr man sich in dieser Ausstellung mit dem Phänomen Raum befasst, umso vielschichtiger und hintergründiger wird er. Auch Annette Sauermann gestaltet nur scheinbar Räume. Sie arbeitet mit Sichtbeton und Glas, wenn auch nicht Fenster-, sondern Plexiglas, gestaltet damit aber eher Plastiken denn Räume. Es sind nie geschlossene Räume, stets spielt der offene Raum mit. So wird Raum zur abstrakten Skulptur.

Die Künstler bedienen sich nicht herkömmlicher Räume, sie fragen nach, was Raum eigentlich ist – und in unserer Welt der virtuellen Realitäten verwundert es nicht, wenn Hans Kotter mit Licht und Spiegeln Raum einfach nur vorgaukelt. Die Objekte an der Wand sind selten tiefer als zehn Zentimeter, doch blickt man in diese Lichträume, meint man, in Unendlichkeiten zu schauen. Zum Raum wird hier nicht Zeit, wie es in Wagners Parsifal heißt, zum Raum wird hier das Licht.

Was Kotter mit Licht und Spiegeln schafft, bringt Manuel Knapp mit farbigen Fäden zuwege. Räume entstehen vor unseren Augen, die streng genommen nichts als Fadenüberlagerungen sind.

Und selbst wenn Künstler sich reale Räume als Ausgangspunkt nehmen, steht am Ende ein Kunstgebilde, das mehr im Kopf als in der Dreidimensionalität stattfindet, wie bei Anett Zinsmeister. Sie hat die quadratische Struktur der Decke im Museum Ritter auf die Wände und den Boden projiziert. Das Resultat: Man verliert in einem solchen Raum jegliche Orientierung.

Raum, so das Fazit, ist ein Gebilde, in dem man sich bewegen kann, es kann aber auch ein Phänomen sein, das nur im Kopf stattfindet.

Raumwunder. Installationen, Raumkonstruktionen, Lichtskulpturen“. Museum Ritter, Waldenbuch, bis 1.5.2017

 

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