Tanz als Zugabe: Strawinskys Geschichte vom Soldaten am Nationaltheater München

Fünf Jahre lag der Skandalerfolg von Igor Strawinskys letztem Ballett Le sacre du printemps zurück; 1918 komponierte er wieder etwas für Tänzer, ein Ballett aber wurde es nicht. Seine Geschichte vom Soldaten ist ein seltsames Mischgebilde: Schauspiel, Orchesterstück und Ballett in einem, weshalb es von einem Schauspielhaus, einem Sinfonieorchester oder einer Oper wie auch einer Ballettcompagnie aufgeführt werden könnte. In München hat jetzt das Nationaltheater in München mit allen Sparten eine Neuproduktion auf die Bühne gebracht.

Carollina Bastos, Nicholas Losada © Wilfried Hösl

Norbert Graf hat drei Tänzern Szenen choreographiert, die ähnlich wie die Musik nicht das Geschehen verdoppeln, also pantomimisch nacherzählen, sondern atmosphärisch aufgreifen, was szenisch geschieht bzw. geschehen ist, und trotzdem geht er mit seinem Tanz durchaus auch direkt auf die Handlung dieser Geschichte ein. Dabei hat er das Tänzerpersonal noch verstärkt. Strawinsky sah lediglich eine Tänzerin für die stumme Rolle der Prinzessin und einen Tänzer für die des Teufels vor. Da auch einer der beiden Schauspieler den Teufel mimen soll, wird schon hier deutlich, wie komplex er sich das Verhältnis von schauspielerischer Aktion und tänzerischem Geschehen vorgestellt hatte, denn er wollte keine Doppelung von Schauspiel und Tanz, wie ja auch die von dem siebenköpfigen Ensemble gespielte Musik nicht den Text begleitet, sondern meist nach den gespielten Szenen kommentierend in andere Dimensionen führt.

Das Personal, das Strawinsky für seine „Geschichte vom Soldaten“ vorschreibt, ist minimal. Einen Vorleser und zwei Schauspieler, ergänzt durch einige Tänzer (darunter eine Tänzerin für die stumme Rolle der Prinzessin), mehr braucht es nicht für die Geschichte von dem Soldaten, der dem Teufel seine Geige für ein Buch verkauft, durch das er zu unermesslichen Reichtümern kommt. Glücklich aber wird er dadurch nicht; am Ende gehen er und der Teufel von der Bühne ab in ein offenes Schicksal. Bei Graf kommt zu Teufel und Prinzessin gewissermaßen noch der Soldat hinzu, getanzt von Nicholas Losada; er steht zunächst wie ein Betrachter am Rand des tänzerischen Geschehens, das rund um die auf der Bühne platzierten Instrumentengruppe stattfindet. Erst allmählich greift er ein. Graf hat dafür durchaus heftige, fast gewaltsame Bewegungen choreographiert. Auch die große Tanzszene gegen Ende des Stücks ist raffiniert gestaltet. Hier muss Losada gewissermaßen beide Tanzgeschlechter ausführen, gewissermaßen eine Frauen- und eine Männerrolle zur Synthese bringen; Graf schrieb hier dem Tänzer Bewegungsmuster vor, die typisch für Tänzerinnen sind, um dann wieder in das Bewegungsrepertoire des Tänzers überzugehen. Das ist durchaus interessant und auch durchdacht, aber vom Tänzerischen viel zu wenig. Von den rund siebzig Minuten Spieldauer wird gerade einmal eine Viertelstunde getanzt, der Rest ist Musik und Wort.

Vladimir Jurowski, Bayerisches Staatsorchester © Wilfried Hösl

Diese Passagen allerdings sind grandios gelungen. Strawinskys rhythmisch äußerst komplexe und vertrackte Musik macht aus allen sieben Musikern Solisten, und sie vollbringen unter der sehr pointierten Leitung des designierten Chefdirigenten der Oper, Vladimir Jurowski, wahre Meisterleistungen.

Die größte Faszination aber übt Dagmar Manzel aus. Diese grandiose Mimin bestreitet allein das ganze schauspielerische Geschehen. Eigentlich ist sie „nur“ die Erzählerin. Als solche aber vollbringt sie ein Wunderwerk, allein wie sie hochmusikalisch die rhythmisch skandierten Textpassagen gestaltet.

Dagmar Manzel © Wilfried Hösl

Bei der Marschmusik zu Beginn des ersten und des zweiten Teils wird Sprache zum musikalischen Material. Auf die beiden Schauspieler verzichtet diese Produktion, aber man braucht sie auch nicht. Wenn der Teufel dem Soldaten seine Geige abzuschwatzen versucht, flötet Dagmar Manzel in verführerischen Tönen, wenn er ihm vorschreibt, was er tun soll, wird der Ton militärisch befehlshaft, will der Soldat schüchtern Einwände erheben, greift sie zu zaghaftem Sprechen, schlüpft der Teufel in die Rolle einer alten Frau, wird die Stimme brüchig. Zwar steht Dagmar Manzel die ganze Zeit über an ihrem Lesepult, doch ist sie zu sehr Vollblutschauspielerin, als dass sie dabei nicht auch mimisch die nötigen Ingredienzien beisteuerte. Man kann die Augen schließen und hat doch die ganze Szenerie, die vom Text evoziert wird, vor dem geistigen Auge.

Und Strawinskys Musik tut ja das Ihre, die nötigen musikalischen Kommentare zum Geschehen abzugeben. Wenn etwa der Soldat in der zweiten Szenen merkt, dass er dem Teufel auf den Leim gegangen ist und er in seiner Heimat nicht mehr erkannt wird, dann klagen die Instrumente verzweifelt. Vladimir Jurowski entlockt der Partitur den ganzen Farbenreichtum, illustriert so ganz aus dem Klang der wenigen Instrumente all das, was an Handlung vor dem Auge des Zuschauers erstehen soll. Die Musik kommentiert mit den ihr eigenen Mitteln, was zuvor erzählt und andeutungsweise agiert wurde. Musik und Text sind so eigenständige Elemente, die auf diese Weise, vor allem wenn sie so realisiert werden, wie Jurowski und Manzel es tun, ganz zu ihrem eigenen Recht kommen. Sprechender in den Instrumenten und singender im Text der Erzählerin kann man sich das kaum mehr vorstellen.

So ist eine grandiose Mischung aus Text, Mimik und Musik entstanden – nur der Tanz spielt allenfalls eine Nebenrolle. 

Der Stream ist gegen ein Tagesticket bis 17.3.2021 abrufbar

https://operlive.de/montag14-soldat/

 

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