Viel Konversation, wenig Erotik: Richard Strauss‘ Capriccio an der Semperoper in Dresden

Fast schien es, als habe Richard Strauss in die absolute Moderne vorstoßen wollen. Mit seiner Oper Elektra ging er bis an die Grenze zur Atonalität, doch danach bewegte er sich gewissermaßen musikhistorisch rückwärts, schrieb mit dem Rosenkavalier gar eine Oper, der man gelegentlich allzu viel Zuckerguss vorwarf, und 1942, mitten im 2. Weltkrieg, tauchte er mit seiner letzten Oper Capriccio in die Welt des Rokoko ein – Weltflucht oder innere Emigration, zumal die Handlung absolut unpolitisch ist. Regisseur Jens-Daniel Herzog hat nun an der Semperoper in Dresden die politische Welt der Entstehungszeit der Oper zurückgeholt.

Daniel Behle (Flamand), Georg Zeppenfeld (La Roche), Nikolay Borchev (Olivier), Jana Mesgarha (Cover-Gräfin) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Wenn sich bei ihm der Vorhang hebt, dann befinden wir uns in einem etwas heruntergewirtschafteten Stadtviertel. Vor einem alten Wohnhaus sitzt auf einer Bank ein alter Mann, zwei weitere gesellen sich hinzu, diskutieren. Im 1. Stock sehen wir im Zimmerfenster eine Dame im Rokokogewand, eine Kunstfreundin, denn an der Wand hängt die Kopie eines Raffaelgemäldes, und in der Hand hält sie eine Opernpartitur.

Die Kleider verraten die vierziger Jahre, und wenn sich die Hausfassade beiseite schiebt und den Blick auf ein Bühnenrund freigibt, liest man an der etwas schäbigen Wand die Buchstaben LSR samt einem Pfeil, der zum Luftschutzraum weist. Was dann anhebt, ist eine Diskussion in einem Salon derselben Zeit: Die Gräfin samt Bruder empfängt eine Schar von Künstlern, die wirken wie auf der Flucht, der Dichter Flamand wie ein Soldat auf Fronturlaub in Uniform. Doch weiter wird dieser Aspekt nicht ausgeführt.

Ansonsten inszenierte Herzog die Oper als Konversationsstück; als solches hat es Richard Strauss mit seinem Librettisten, dem Dirigenten Clemens Krauss, auch definiert. Denn auch wenn die Oper Politik im eigentlichen Sinn ausblendet, ist sie doch in Sachen Kunst hochpolitisch. „Prima la musica, dopo le parole“ schreiben die älteren Herren zu Beginn an die Hauswand, als wären sie jugendliche Sprayer, und das ist denn auch letztlich das Thema dieser Oper, ein altes Thema. Clemens Krauss hat für Richard Strauss ein Libretto zu einer Art Metaoper verfasst, in der es nicht nur um die Grundelemente der Gattung Oper im Besonderen geht, sondern um das Theater im Allgemeinen, schließlich findet sich in dem Personal dieser Oper auch ein Theaterdirektor, der von Georg Zeppenfeld grandios mit einer Selbstgefälligkeit gestaltet wird, die bis an den Rand der Parodie reicht, ohne dass die Figur lächerlich wird, sondern stets glaubwürdig bleibt – eine darstellerische Meisterleistung.

Daniel Behle (Flamand), Nikolay Borchev (Olivier), Camilla Nylund (Gräfin) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Herzog hat allerdings die Gattungsbezeichnung „Konversationsstück“ allzu wörtlich genommen, denn über weite Strecken stehen die Figuren nur herum und deklamieren ihre Positionen; dabei kommen hier gravierende Uneinigkeiten zur Sprache, die in Streit ausarten. Davon merkt man den Figuren hier kaum etwas an. Es sind Gäste eines gepflegten Salons. Zudem geht es nicht nur um die Diskussionen über die Kunst, Olivier und Flamand sind ja unsterblich in die Gräfin verliebt, was sich nur gelegentlich im Versuch eines Kusses oder einer Umarmung andeutet. Erotische Spannung, die fast ständig zwischen den Zeilen bzw. Noten präsent ist, fehlt hier völlig.

Die Oper sei ein lächerliches Ding, bei dem das Orchester so laut sei, dass man die Worte nicht verstehe. Diesen Vorwurf kann man freilich der Darbietung in der Semperoper nicht machen. Christian Thielemann gelang eine bewundernswerte Balance zwischen gelegentlich üppigem Straussorchesterklang und Wortdeklamation auf der Bühne. Hier hätte man die Untertitel gar nicht nötig gehabt. Damit traf er genau den Charakter dieser Oper, die von Strauss bezeichnenderweise als „Konversationsstück für Musik“ definiert wurde, „für“ Musik wohlgemerkt, nicht „mit“ Musik. Strauss lässt die Figuren zwar über weite Strecken über das Wesen von Musik räsonieren, aber bei aller Textrhetorik dieser Passagen sind sie doch zugleich purer Gesang. Wie er dieses Parlando durch die Musik gestaltet, ist meisterhaft, und die Sänger greifen genau diese Mischung auf. Georg Zeppenfeld mit seinem klaren Bass bringt es fertig, Diskurse zu singen. Daniel Behle gestaltet den Musiker Flamand mit schwärmerischem Ton und singt zugleich theoretische Abhandlungen; sein Tenor hat in letzter Zeit an Strahlkraft und Glanz gewonnen und erinnert zuweilen an den legendären Fritz Wunderlich. Sein Kontrahent Olivier, der Vertreter des dichterischen Worts, wird von Nicolay Borchev eher nüchtern diskutierend dargeboten, wie es dem Charakter dieser Rolle entspricht.

Camilla Nylund (Gräfin)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Und Camilla Nylund dürfte mit ihrem warmen, zugleich dramatischen Sopran die ideale Besetzung für die Rolle der Gräfin sein, die nachdenklich sinnierend sein kann, emotional auffahrend, aber auch distanziert ironisch.

Christian Thielemann bildet für all das mit der Staatskapelle das ideale musikalische Fundament. Allein wie er mit bloßen Händen dirigierend das einleitende Sextett in der Luft modelliert und die Streicher das umsetzen, lässt einen den Kopf schütteln angesichts der Tatsache, dass die Kulturpolitik seinen Vertrag nicht verlängern will. Was hier in Dresden gerade und seit einiger Zeit auch in Köln geschieht, ist desaströs für wichtige Opernhäuser, hier setzen Kulturpolitiker die Zukunft solcher Häuser durch Personalentscheidungen aufs Spiel, die bar jeden musikalischen Kunstsinns sind. Differenzierter, kammermusikalischer und zugleich klanglich üppiger kann man diese Partitur nicht mehr realisieren, die Musik blüht in jeder Sekunde neu auf.

Am Ende findet sich der Charakter der Metaoper auch in Herzogs Regie wieder. In der letzten großen Szene der Gräfin ist Camilla Nylund doch noch in ein Rokokokleid geschlüpft, hat sich in die Capriccio-Gräfin verwandelt – und überreicht eine Partitur einer alten Dame, die dasselbe Kostüm trägt, das sie den ganzen Abend über getragen hat; es ist ihr alter ego im 20. Jahrhundert zur Zeit der Entstehung dieser Oper. Ihr überreicht sie die Partitur, es ist die Partitur der Oper Capriccio – ein netter Einfall, doch auch nicht mehr.

Der Stream der Premiere ist bis 14.7.2021 abrufbar

https://www.semperoper.de/streaming/capriccio.html

 

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