Von der Volkskultur zum Tourismuskitsch zum Nationalbewusstsein: Hawaii zwischen Traum und Wirklichkeit

Grandiose Vulkangebirge, feinsandige kilometerlange Strände, meterhohe Wellen – Hawaii ist das Urlaubsparadies schlechthin. Hollywood hat sich die pazifische Inselwelt als Schauplatz für seine Filme ausgesucht, auch Elvis Presley weilt in einem Kinostreifen auf der Tropeninsel, Paul Abraham machte sie in Europa mit seiner Operette Blume von Hawai populär. Hulamädchen wippen die Hüften zur Begrüßung der rund sieben Millionen Touristen pro Jahr und hängen ihnen Blumenkränze um den Hals, sofern man den Ritus gebucht hat, ansonsten sind wenigstens die Shuttlebusse zu den Hotels mit Blumen bemalt. Wirklichkeit und amerikanischer Showkitsch verschmelzen zu einer Traumwelt. Das Lindenmuseum in Stuttgart zeigt, dass nicht alles davon reine Schau ist.

Halau beim Hula im Park © Hawai’i Tourist Authority. Foto: Tor Johnson

Die Ausstellung beginnt, als sei sie von einem Reisebüro gesponsort: herrliche Landschaftspanoramen und vor allem halsbrecherische Fahrten auf den Wellen – Hawaii, das Ferienparadies, das wirkt, als sei es eigens für den Tourismus erfunden. Das ist durchaus auch die Realität heute, doch bei einem Gang durch die Geschichte und Kultur begegnet man in dieser Ausstellung dem, was touristisches Highlight für Millionen ist, wieder, diesmal als Teil einer jahrhundertelang gewachsenen Kultur. Der Hulatanz war ursprünglich weit mehr als nur reine rhythmische Körperbewegung. Er erzählte Geschichten und soll den Menschen von einer Göttin beigebracht worden sein. Insofern ist er beileibe nicht Frauen vorbehalten, wie Fotos in der Ausstellung beweisen, und die dazugehörigen Trommeln zeigen, welche Kultur mit diesem Tanz erreicht wurde. Dass die Missionare im 19. Jahrhundert darin vor allem laszives Benehmen sahen, das zu unterbinden sei, zeigt, wie wenig sie doch hin und wieder von den Kulturen verstanden, in die sie das Christentum bringen wollten.

Auch gegen das Wellenreiten hatten die Missionare einiges einzuwenden, doch hier mit weniger Erfolg. Viel zu stark hatte sich dieser Sport bereits in der Kultur des Landes verankert. Auf Hawaii zählte er zu den beliebtesten Vergnügungen des Adels. Kein Geringerer als König Kamehameha I. galt als Meister in dieser Sportart, und wenn ein König sich zu einer Beschäftigung bemüßigt fühlt, ist diese alsbald geadelt. Es gab viele derartige Aktivitäten, die ausschließlich dem Adel vorbehalten waren – die hawaiianische Gesellschaft und Kultur war geprägt vom Konzept des kapu oder auch tapu – von dem sich das Wort Tabu ableitet. Es bezeichnet verbotene Tätigkeiten oder Sphären. Auf Hawaii zeichneten sich die Adligen aus, zu diesen Sphären Zutritt zu haben.

Federmantel ‚ahu ‚ula, 18. Jahrhundert © Bernisches Historisches Museum, Bern. Foto: Stefan Rebsamen

Zu diesen Vorrechten des Adels zählte auch das Tragen von Federmänteln und -helmen, nicht selten in strahlendem Rot gehalten, auch das nicht nur aus ästhetischen Gründen. Rot galt, wie man den knappen aber informativen Wandtexten entnehmen kann, als Farbe der Götter, und so bezogen die Mitglieder der Bevölkerung, die diesen Kleiderschmuck tragen durften, aus den Umhängen selbst ihre besondere herausgehobene Stellung.

Rindenbaststoff kapa, 18. Jahrhundert © Bernisches Historisches Museum, Bern. Foto: Yvonne Hurmi

Das gilt auch für die Kleidungsstücke, die aus dem traditionellen kapa angefertigt wurden und werden: Stoffe aus Rindenbast, deren kunstvolle Muster mit einfachen Handwerkszeugen hergestellt werden.

Das freilich war alsbald in Gefahr, und begann ausgerechnet mit dem Meister des Wellenreitens, dem König Kamehameha. Er bedeutet den Anfang des hawaiianischen Inselreichs, denn er einigte alle acht Inseln gewaltsam, doch erkaufte er sich diesen Erfolg zum Teil mit einer Annäherung an die Inhaber der vorbeiziehenden Handelsschiffe undl leitete damit die schleichende Aufweichung der Traditionen ein; der erste Schritt zur Verwestlichung war getan. Und als seine Frau und Nachfolgerin schließlich das Verbot aufhob, dem zufolge Frauen nicht zusammen mit Männern speisen durften, beseitigte sie nicht einfach ein aus westlicher Sicht skurril anmutendes Verbot, sondern rührte an den Grundfesten des kapu und damit an der religiösen Fundierung des Gemeinschaftslebens.

Kein Wunder, dass die Missionare kein allzu schweres Spiel hatten, zumal sie durchaus auch Segensreiches brachten, etwa die Alphabetisierung des bis dahin schriftlosen Reichs. Selbstverständlich zählte zu den ersten Büchern in hawaiianischer Sprache die Bibel.

Die Ausstellung im Verein mit dem text- und bilderreichen Katalog blättert alle Facetten der Kulturgeschichte dieses Reichs auf – um immer wieder bei uns auch heute Bekanntem anzulangen. Sie zeigt die tiefe Verwurzelung in der Kultur des Landes auf von dem, was heute wie farbenfrohes Schauspiel wirkt. Hula, Wellenreiten und Tätowierung mögen vordergründige touristische Reize haben. Zahlreiche Hawaiianer, die sich zum Ziel gesetzt haben, wieder die indigene Kultur zum Leben zu verhelfen, bedienen sich gerade dieser drei Phänomene, denn sie gehören zum Selbstverständnis von Hawaii ebenso wie der Touristenstrom unserer Tage.

Hawai’i – Königliche Inseln im Pazifik“, Lindenmuseum Stuttgart bis 13. Mai 2018. Katalog 280 Seiten, 24.90 Euro

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