Wiederentdeckt: E.M. Forster, Wiedersehen in Howards End

Wenn von einem Schriftsteller, der nur sechs Romane geschrieben hat, drei den Weg auf die internationale Leinwand gefunden haben, ist das ein Zeichen für ein gerüttelt Maß an Popularität. Die genießt E.M. Forster in der angelsächsischen Welt durchaus, seit David Lean seinen Roman Reise nach Indien 1984 verfilmte. Dem folgte ein Jahr danach James Ivorys nicht minder erfolgreiche Version von Zimmer mit Aussicht und 1992 Ivorys Film Wiedersehen in Howards End. Nur in Deutschland hält sich diese Popularität in Grenzen – zu Unrecht, denn Forsters Romane sind vorzüglich geschriebene Gesellschaftspanoramen mit subtilen Einsichten in die Psychologie und Lebensumstände der Figuren. In Howards End, so der englische Titel, zeichnet er eine Gesellschaft an der Zeitenschwelle zur Moderne.

Dabei müsste dieser Roman gerade deutschen Lesern nahestehen, denn ohne Deutschland wäre er gar nicht möglich. Der Vater von Helen und Margaret Schlegel, den beiden Heldinnen, war Ende des 19. Jahrhunderts angeekelt vom Materialismus, der sich in der deutschen Gesellschaft abzeichnete, nach England emigriert, wo er sein Ideal des kulturellen Lebens pflegte, ein Ideal, das seine Töchter, finanziell unabhängig, in Künstlerkreisen weiterverfolgen.

Dem gegenüber steht die Familie Wilcox, Vertreter eines nüchternen, kalkulierenden britischen Mittelstands, der durch genau berechnenden Kaufmannssinn zu Vermögen und Einfluss kam und für den Kultur und Kunst nichtssagende Inhalte einer nutzlosen Lebensführung sind, wie sie Tibby vorlebt, Helens und Margarets Bruder, der finanziell abgesichert eine müßiggängerische Fin-de-siècle-Existenz führt, die letztlich ein Auslaufmodell des britischen 19. Jahrhunderts ist.

Forster analysiert scharfsinnig die Umbrüche, die Anfang des 20. Jahrhunderts in England bemerkbar wurden, und dazu gehört auch eine radikale Veränderung der Lebenswelt. An die Stelle des alten London mit herrschaftlichen Häusern treten neue Wohnsiedlungen, damit einher geht eine Veränderung des Existenzgefühls. Das Leben wird schneller, verkörpert durch das von den Wilcoxens geschätzte Automobil, das alte Werteverständnis von Besitz kehrt sich ins Gegenteil um. „Landbesitz, wie ihn feudale Zeiten kannten, verschaffte Würde, der moderne Besitz von Mobiliar hingegen macht uns von neuem einer Nomadenhorde gleich. Wir sinken herab auf eine Zivilisationsstufe des Gepäcks, und künftige Historiker werden zu berichten haben, wie der Mittelstand Besitztümer anhäufte, ohne im Boden Wurzeln zu schlagen.“

Einen ersten Versuch, diese gegensätzlichen Welten miteinander zu versöhnen, unternimmt Ruth Wilcox, die kurz vor ihrem plötzlichen Tod das von ihr in die Ehe eingebrachte Haus Howards End Margaret Schlegel vermacht, die sie kurz zuvor kennengelernt hatte. Da diese Testamentsänderung aber nur mit Bleistift auf einem Zettel notiert war, wird sie von ihrem Mann ignoriert.
Am Ende kommt das Haus doch noch in die vorbestimmten Hände, doch da haben sich ganz andere Verbindungsmöglichkeiten zwischen den Welten aufgetan, denn Henry und Margaret heiraten trotz der Mentalitätsunterschiede und der Alterskluft zwischen beiden. Es ist dies ein Modell, das Forster als Ausweg für die auseinanderdriftenden Gesellschaftsteile durchspielt. Ein anderes ist das der Vermittlung zwischen den Reichen und den Armen, vertreten durch Leonard Bast, der mit einer Prostituierten liiert ist, aber kulturell nach Höherem strebt und schließlich mit Helen ein Kind bekommt. Dieses Kind, so deutet der Roman an, könnte eine utopische Vision von einer gesellschaftlichen Lösung sein.

So gelingt Forster mit diesem Roman ein Gesellschaftsporträt in den unterschiedlichsten Facetten verbunden mit einer eindringlichen psychologisch durchleuchteten Figurendramaturgie, und das alles durchzogen von einer stets präsenten leisen Ironie des Erzählers, die jedoch nicht verhindert, dass dem Leser Figuren, so unterschiedlich sie auch sind, menschlich nahekommen – auch ein Jahrhundert nach Entstehen des Werks eine faszinierende Lektüre.

E.M.Forster, Wiedersehen in Howards End. Fischer Taschenbuch Verlag, 407 Seiten, 9.90 Euro

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