Zweimal Krieg: Otto Dix und Paul Kälberer

In der Kunstgeschichte zählen Jahre oftmals weniger als im realen Leben. Otto Dix, geboren 1891, und Paul Kälberer, geboren 1896 – zwei Künstler, die sich in ihren jungen Jahren intensiv mit der großen Tradition der europäischen Malerei auseinandersetzen: Dix studiert in Dresden die Alten Meister, deren Maltechnik er später nachahmen sollte, experimentiert aber auch schon früh mit aktuellen avantgardistischen Strömungen wie Kubismus und Futurismus; Kälberer lässt sich auf einer Italienreise nachhaltig von der Frührenaissance anregen, an modernen Einflüssen fehlt es an der Stuttgarter Akademie, nachdem dort mit Adolf Hölzel die abstrakten Tendenzen ein Ende gefunden hatten. Entsprechend unterschiedlich verlaufen die künstlerischen Wege dieser beiden Maler, die jedoch ein zweites biographisches Detail verbindet: Beide melden sich gleich zu Beginn des 1. Weltkriegs freiwillig zum Dienst, beide erkennen aber schon sehr bald die katastrophalen Auswirkungen des Schlachtgeschehens, und beide halten künstlerisch fest, was sie dort erleben – jeweils auf ihre Weise.

 

Otto Dix gestaltet knapp zehn Jahre nach seinen Kriegserlebnissen einen berühmt gewordenen Zyklus: „Der Krieg“ – fünfzig Radierungen, auf denen er in veristischer Manier das Grauen in Bilder fasst: Köpfe, deren Gesichter durch Gasmasken entmenschlicht wurden, Schädel, in die sich bereits Würmer eingefressen haben, Leichenberge, Grimassen des Todes. Es sind grausige Bilder, mit denen Dix große Kunst schuf, Meisterwerke der Radierung.

Auch Paul Kälberer hält das Geschehen im Stellungskrieg fest. Eine Zeichnung zeigt die bedrückende Enge, in der die Soldaten ihre Frontlinien verteidigen mussten und zugleich in jeder Sekunde damit zu rechnen hatten, dass ein Geschoss ihnen das Leben nehmen würde. Kälberers Zeichnung „Unser Loch“ hat nicht die erschreckende Intensität von Dix‘ Radierungen, hier zeigt sich seine eher nüchtern realistische, nicht veristische Kunstauffassung. Wollte Dix das Grauen der Realität als Mahnmal einfangen, strebte Kälberer nach einer perfekten Bildkomposition im Sinne der großen europäischen Maltradition.

Doch so groß der Unterschied zwischen diesen Kriegsdarstellungen auch sein mag, so stehen sich die beiden Künstler doch näher, als der erste Blick verraten mag. Auch Dix hatte sich für seinen Zyklus von der Tradition leiten lassen, unverkennbar ist das Vorbild von Goyas „Desastres de la Guerra“. Beide Künstler wurzeln also gleichermaßen in der Maltradition.

Das zeigt sich vor allem an Kälberers Kriegsbild, auf dem er den Tod seines im Krieg gefallenen Bruders verarbeitet hat. Meint man, auf den Radierungen von Otto Dix geradezu den Granatenlärm hören zu können, so prägt Kälberers Bild atemloses Innehalten. Wir sehen zwar Einschusskrater in der Erde, doch sind sie hochgradig stilisiert. Das ganze Bild ist in dünnem Farbauftrag flächig gehalten, das Kriegsgeschehen ist längst vorüber, wir sehen nun die verheerenden Folgen. Kälberer greift in diesem Bild auf traditionelle Motive wie die Pietà zurück, er deutet im Hintergrund Ruinen an, die für Zerstörung in einem allgemeinen Sinn stehen, das ganze Geschehen ist in einer im Sfumato vage gehaltenen Umwelt angesiedelt. Zentral ist der Tod des Menschen, der dadurch umso eindringlicher wirkt. Der Krieg ist zeitlos, das Sterben auch. Kunsthistorisch gesehen trennen diese beiden Künstler Welten, doch einig sind sie sich im Wissen um die Basis, auf der ihre Kunst fußt.

1927 zog sich Kälberer in das kleine Örtchen Glatt am Rande des Schwarzwalds zurück. 2008 wurde sein Atelierhaus samt Garten und dem graphischen Nachlass in eine Stiftung überführt. Das Ziel: Kälberers künstlerisches Erbe zu bewahren. Mit einer Ausstellung wie dieser Gegenüberstellung zweier auf den ersten Blick so konträr wirkender Künstler gelingt es der Kunststiftung, auf das Wesen eines Malers hinzuweisen, der vordergründig betrachtet „altmodisch“ wirken mag, dessen Kunst und Ausdruckskraft aber darum nicht geringer zu schätzen sind.

Erinnerung an 1916 – Paul Kälberer, Otto Dix und der Erste Weltkrieg“, Kunststiftung Paul Kälberer, Paul-Käl­be­rer-Weg 19, 72172 Sulz am Ne­ckar-Glatt bis 30.10. 2016

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