Zwischen Chaos und Ordnung: Aron Rauschhardts Reutlingenbild

Kunststipendien für Nachwuchskünstler bestehen in der Regel aus – häufig einmaligen – Geldzuwendungen oder zeitweilig zur Verfügung gestellten Atelierräumen. Die HAP Grieshaber Stiftung in Reutlingen kombiniert beides. Seit 1994 lädt sie alle zwei Jahre einen Absolventen einer Hochschule für zehn Monate in eine eigens dafür eingerichtete Atelierwohnung ein mit einer monatlichen Zuwendung von 1.200 Euro. Außerdem hat der Stipendiat Gelegenheit, seine Kunst in einer Ausstellung samt Katalog zu präsentieren – oftmals der erste Katalog in der noch jungen Laufbahn dieser Künstler. Viele der bisherigen Stipendiaten haben sich dabei mit dem Ort ihres Stipendiums auseinandergesetzt – geradezu exzessiv hat das der diesjährige Stipendiat getan, Aron Rauschhardt.

entlaubt, 2018

Auf unzähligen Fotos hat Aron Rauschardt Reutlingen festgehalten: die Innenstadt, die Wohnviertel und die umliegende Landschaft mit der Achalm, und dabei fiel dem Berliner Künstler vor allem die geradezu sprichwörtliche Ordnungs- und Sauberkeitsliebe der Schwaben auf. Mülltonnen stehen da in Reih und Glied, Wege sind sorgsam gekehrt oder gepflastert, nur der Natur scheint diese Eigenschaft zu fehlen. Da lassen die Bäume im Wald ihr Laub einfach zu Boden fallen, keiner kümmert sich darum. Aron Rauschardt hat diese Unsitte in einem Foto als Auftakt zu seinem Ausstellungsparcours dokumentiert. Und die Ordnungsliebe seiner Gastgeber hat den Berliner offenbar angesteckt, denn er griff zum Rechen und befreite den Boden von dem Unrat – Kehrwoche im Wald gewissermaßen, auch sie im Foto dokumentiert.

Fotos finden sich auch in der Mitte des Raumes: Zwei große Paravents hat er mit Aufnahmen aus Reutlinger Vorgärten ausgestattet. Die dritte Abteilung besteht aus Mauerwerk – einem Torbogen aus runden Pflanzsteinen, mit denen man üblicherweise kleine Gartenhänge einfasst, sowie einer Mauer aus handelsüblichen Pflastersteinen. Dazwischen eine Diashow. Das alles hat mit Reutlingen zu tun, weil in Reutlingen entdeckt – wirkt aber auf den ersten Blick beliebig. Und doch ist Aron Rauschhardt damit ein subtiles, hintersinniges Porträt seiner Gaststadt gelungen mit einem Hauch Ironie.

Denn die Abfolge der drei Abteilungen hat System. Sie schreitet von unberührter Natur, die den Eingriff der ordnenden Harke unbeschadet übersteht, über die von Menschen domestizierte Natur in den Privatgärten hin zur denaturierten Steinwüste so mancher innerstädtischer Anlagen wie etwa dem riesigen Platz rund um die neue Reutlinger Stadthalle, der nur durch einige wenige Bäumchen aufgelockert wird. Der Künstler hat mit klarem Blick Eigenheiten des Lebens in seiner Gaststadt registriert und kommentiert: Vom Leben über die Zähmung zum Toten.

Doch damit nicht genug. Er identifiziert sich mit dem Wildwuchs der Natur und hat das Laub, das bei seiner Aufräumaktion zusammenkam, in sein Atelier genommen, gewissermaßen als Oase zum Ausruhen, hat mitten in den inzwischen getrockneten Blätterhaufen eine Liege gestellt und die Liege mit einem Stoff aus Laubmuster bespannt.

Weniger sympathisch waren ihm offenbar die ordentlichen Vorgärten gewesen zu sein, die vor allem ein Ziel zu haben scheinen: Den Blick in die Privatsphäre zumindest zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern, sei es durch gestaffelte Buschformationen oder Thujas, die nach wenigen Jahren eine undurchdringliche Hecke bilden.

Paravent, 2018

Dass er diese Fotos auf Paravents montiert hat, unterstreicht noch einmal seine Botschaft. Paravents dienen dem Sichtschutz, hinter dem nicht selten intime Verrichtungen stattfinden wie das Aus- und Ankleiden. Der Garten als Sichtmauer, die Natur einem Nutzen dienstbar gemacht.

Und das Mauerwerk? Zum einen ist es exaktes Handwerk. Ohne Mörtel sind die Pflanzsteine zu einem Bogen aufgetürmt, und lückenlos sind die Pflastersteine zur Mauer gestapelt. Doch zu welchem Frommen? Durch den Bogen darf man nicht hindurch gehen – Vorsichtsmaßnahme, falls er doch einstürzen sollte -, und die Mauer hat die Form einer Welle, wie man sie von Skateranlagen her kennt. Zum Skaten allerdings eignen sich die Pflastersteine nicht und als Mauer ist das Bauwerk instabil, da schräg gekrümmt. Gibt sich die Natur dem scheinbar interesselosen Chaos hin, das gleichwohl nützlich sein kann, ist das Menschenwerk zwar perfekt, aber nutzlos.

                         Pflastersteinquarter, 2018

Mit wenigen Exponaten löst Rauschhardt im Besucher der Ausstellung eine ganze Serie von Assoziationen über Mensch und Natur aus – und diese Assoziationskette kann er fortführen in der Diashow, die Rauschhardt in die Mitte seiner Ausstellung platziert hat. Hierfür hat er unzählige Fotos von seinen Reutlinger Streifzügen bearbeitet, zu Collagen zusammengestellt, überblendet. Da vereinzeln sich plötzlich Wege aus einer Landschaft, wachsen gepflasterte Gehwege zu, werden also renaturiert, da wandern Mülltonnen wie von Geisterhand bewegt aufeinander zu – als wollten sie zeigen: gleich und gleich gesellt sich gern -, und Panoramaaufnahmen der Stadt werden – von altmodischen Rahmen eingefasst – zum Bild von einer Stadt. Allein diese Reutlinger „Safari“ ist einen Besuch der Ausstellung wert, vor allem für Reutlinger, bietet sie doch selbst dem, der seine Heimatstadt von Kindesbeinen an kennt, immer wieder neue Ausblicke, Einblicke und Erkenntnisse, wie die Ausstellung insgesamt, die nicht zufällig im Titel auf die sprichwörtliche Ordnungsliebe der Schwaben rekurriert: „Aufräumen“ – ein Stoßseufzer, der sich durchaus einer schwäbischen Kehle im herbstlichen Laubchaos im Wald auch mal entringen könnte.

„„aufräumen“. Aron Rauschhardt.“ Städtische Galerie, Eberhardstraße Reutlingen bis 10.6.2018

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