Zwischen nostalgischer Märchenwelt und aktueller Realität: Sebastian Schwabs Kinderoper Holle!

1997 gründete der damalige Stuttgarter Opernintendant Klaus Zehelein die Junge Oper Stuttgart, die Opernproduktionen für Kinder und Jugendliche und mit ihnen erarbeiten und aufführen sollte, um so das Publikum von morgen zu bilden. Zugleich wurden pädagogische Konzepte für die großen Opernproduktionen am Haus erarbeitet und mit Musiklehrern als Vorbereitung für den Opernbesuch von Schulklassen im Großen Haus entwickelt. Seit Amtsantritt des jetzigen Intendanten Viktor Schoner hat sie ein eigenes Domizil im so genannten Nord, dem Probenzentrum der Staatsoper, erhalten mit eigenen Räumen und einer Bühne – die Junge Oper im Nord, JOiN. Dort hatte jetzt ein Auftragswerk von Sebastian Schwab Uraufführung: Holle!, coronabedingt zunächst nur im Internet.

Maria Theresa Ullrich © Matthias Baus

Die Oper beginnt mit einem Schrei – einem Schrei, in dem sich Wut, Entsetzen und Verzweiflung mischen. Frau Holle ist es leid. Zum einen sind die Menschen mit dem Wetter, für das sie nach bestem Wissen und Gewissen seit jeher sorgt, unzufrieden: Den Urlaubern regnet es zu viel, den Gärtnern zu wenig, den einen ist es zu warm, den anderen zu kalt. Außerdem sorgen sie durch ihr Verhalten dafür, dass es mit der Umwelt und damit auch den Wetterbedingungen zunehmend begab geht.
Unversehens ist unter den Händen des Librettisten Kai Weßler aus dem Märchen um zwei Stiefschwestern Gold- und Pechmarie, die es in Frau Holles Haus verschlägt, ein Stück um die drängenden Umweltprobleme unserer Zeit geworden. Frau Holle, im Märchen für den Schnee aus ihrem Federbett und weitgehend nur als Katalysator für die Verteilung von Gerechtigkeit zuständig, avanciert zur Hauptfigur.

Sie tritt in den Streik – die Chance für ihre jahrelangen Mitarbeiter, dem Gold- und dem Pech-Andy, zu zeigen, dass sie das auch können. Nur können sie es eben nicht. Für Regisseurin Suse Pfister ist das Gelegenheit, nicht nur eine Kinderoper auf die Bühne zu bringen – sie macht das fantasievoll mit einem Minimum an Requisiten (Bühnenbild: Stephan von Wedel) -, sie führt das junge Publikum zugleich auch ein in die Welt des Theatermachens. Zum Regen braucht man Wolken, und die werden auf der Bühne mit der Nebelmaschine gemacht. Wind deutet man an, indem man Gazeschleier heftig mit den Händen in Wallung bringt, die Sonne wird mit einer Kurbel nach oben gezurrt. Es fehlt nur noch der Theaterdonner mit dem Blech und das Regengeräusch mit den Trockenerbsen – eine plastische Einführung in die Arbeit am Theater.

Adam Ambarzumjan, Markus Hein © Matthias Baus

Und ein eindringlicher Fingerzeig, wie es endet, wenn man nur seine eigenen Wünsche erfüllt haben will, denn die beiden Andys machen eben ausschließlich Wetter für sich, und das heißt Badewetter, trocken und warm. Frau Holle bleibt nichts anderes übrig, sie kehrt zurück, um die Welt doch noch zu retten, schließlich erhält sie von Kindern dringende Bittbriefe zu eben diesem Zweck, etwa von der Lina aus der 4b. So wird auch ein Stück um die Bewegung Children for Future daraus, um das Schlagwort Friday for Future zu vermeiden.

Sebastian Schwab hat die Musik in zwei Bereiche geteilt. Frau Holle hat großen Arienauftritte, hochdramatisch, wie von der Rolle verlangt, gesungen von Maria Theresa Ullrich; sie führt das junge Publikum ein in den großen Operngesang, die beiden Andys bleiben im Sprechdialog und musikalisch zwischen Operette, Volkslied und Schlager, wie es ihrer Mentalität entspricht. Verkörpert werden sie von zwei Instrumentalisten, aus denen das ganze „Orchester“ besteht, Klavier und Klarinette. Schwab setzt die Klangfarben zur Atmosphäre ein, begleitet aber mit den Instrumenten auch Bewegungen auf der Bühne musikalisch-klanglich.

Adam Ambarzumjan, Markus Hein © Matthias Baus

In Adam Ambarzumjan (Klarinette) und Markus Hein (Klavier) hat Regisseurin Suse Pfister eine Wunderbesetzung auf die Bühne gebracht, denn die beiden Musiker sind nicht nur ausgesprochen komödiantische Schauspielbegabungen, sondern können auch noch vorzüglich singen.

So ist ein munteres musikalisches Kammerspiel um unsere Welt von heute geworden, um das Entstehen von Theaterillusion und um Verantwortung. Nur ist es Librettist Kai Weßler nicht gelungen, die beiden Andys zu differenzieren. So wird nicht nachvollziehbar, weshalb der eine Pech- und der andere Gold-Andy heißt, beide sind gleichermaßen unbeholfene Ersatzwettermacher für Frau Holle, was die beiden Musiker freilich glanz- und lustvoll ausagieren.

Als Stream bis 11.7.2021 abrufbar

https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/holle-online/

Die analoge Premiere wird dann am 10.11.2021 im JOiN stattfinden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert