Es ist eine der folgenreichsten Tragödien der Literaturgeschichte. Die tragisch endende Liebe zwischen Romeo und Julia aus zwei verfeindeten Adelshäusern bereicherte die Kinoleinwand, den Broadway, die Welt des Musicals – und die Stadt Verona, nicht zuletzt wegen des Balkons, von dem herab Julia ihrem Romeo den berühmten Spruch von der Lerche und der Nachtigall zugerufen haben soll. Der Regisseur Oliver Frljić baut denn in seiner Inszenierung am Schauspiel Stuttgart auf die Popularität der Geschichte und verzichtet daher, sie noch einmal von Anfang an auf der Bühne zu erzählen.
Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst
Mensch, was bist du? Birgit Jürgenssen – weit mehr als eine Feministin
Cindy Sherman schlüpfte für ihre Fotos in immer neue Kostüme und Figuren, Pipilotti Rist tanzte vor der Kamera mit nackten Brüsten, Rosemarie Trockel verwendete Materialien, die eng mit der traditionellen Rolle der Frau in der Gesellschaft assoziiert werden, und strickte Herdplatten. Wenn Künstlerinnen sich mit der Rolle der Frau im Allgemeinen und der der Künstlerin im Besonderen auseinandersetzen, geht es natürlich um Rollenbilder, aber auch um den eigenen Körper. Das gilt auch für die Österreicherin Birgit Jürgenssen, wenn sie sich etwa eine Schürze aus Blech in Form eines Küchenherdes umhängte. Und doch ist die Kunst der 2003 Verstorbenen vielschichtiger, wie eine erste umfassende Retrospektive in der Kunsthalle Tübingen zeigt.
Zeitlos modern: Der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck
Zeitlose Gültigkeit und tagespolitische Aktualität sind in der Kunst in der Regel selten vereinbar, meist sogar Gegensätze. Dem Bildhauer Wilhelm Lehmbruck allerdings gelang dieser Spagat, und das, obwohl sein Formenrepertoire eindeutig an klassisch-antiken Vorbildern geschult ist und ausschließlich an der menschlichen Figur durchdekliniert wurde. Die Staatsgalerie Stuttgart, die nach dem Erwerb dreier Lehmbruck-Plastiken und zahlreicher Graphiken über den zweitgrößten musealen Bestand an seinen Werken verfügt, zeigt in einer Ausstellung auf, wie diese Synthese gelang, und führt zugleich in einer mustergültig klaren Präsentation in seine Arbeitsweise und sein künstlerisches Denken ein, die Lehmbrucks Modernität unterstreicht.
Der Gestürzte, 1915
Ein Holzschneider par excellence: Wilhelm Laage im Kunstmuseum Reutlingen
Verschrieb sich im 19. Jahrhundert ein Künstler der Druckgraphik, gar dem Holzschnitt, verstand er sich wohl eher als zweitrangig, denn dieses Medium galt in erster Linie als Reproduktionsmittel, allenfalls als Illustrationstechnik. Das änderte sich, als mit der Öffnung Japans, das sich jahrhundertelang von der Welt abgeschottet hatte, die feinlinigen ostasiatischen Farbholzschnitte bekannt wurden und als die Künstler zunehmend auf intensiven Ausdruck von Emotionen setzten wie etwa Edvard Munch. Dass sich ein Künstler des Jahrgangs 1868 nahezu vollständig auf den Holzschnitt konzentrierte wie Wilhelm Laage, war freilich dennoch eine Ausnahme, aber für die Nachwelt ein Glück, wie eine Ausstellung im Reutlinger Spendhaus belegt.
Oper im Ausnahmezustand: Die Oper Stuttgart mit „Herzog Blaubarts Burg“ im Paketpostamt
Die Suche nach einer Interimsspielstätte für die dringend sanierungsbedürftige Oper Stuttgart gleicht inzwischen einem Schwabenstreich. Als Viktor Schoner zum neuen Intendanten gewählt wurde, ging man davon aus, dass er, der als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper auch große Erfahrungen im organisatorischen Bereich hat, die Oper in Stuttgart ins Übergangsdomizil führen, dort erfolgreich leiten und vielleicht sogar wieder ins Stammhaus zurückführen werde. Damals war unter anderem an den Umbau des ehemaligen Paketpostamts in Stuttgart gedacht, und so plante Schoner für seine erste Spielzeit gewissermaßen symbolisch den Umzug mit einer „Probeproduktion“. Inzwischen ist das Postamt vom Tisch und Schoner wird während seiner Vertragszeit wohl auch kaum die Oper in irgendeine andere Interimsstätte führen können, die Politik dürfte in der Planung derzeit auf dem Stand von vor einigen Jahre sein. Die „Probeinszenierung“ aber fand statt.
Außer sich: Formen der Ekstase
Konträrer hätten die Griechen sich die Götter nicht vorstellen können. Da ist auf der einen Seite Apoll – Sinnbild für das Schöne, Lichte, die Reinheit und die Künste, vor allem den Gesang und die Dichtung. Und da ist Dionysos, der Gott des Weins und daher wohl auch der Freude, aber auch der Triebhaftigkeit, des Rausches und der Fruchtbarkeit, und auch er ein Quell der Künste; auf den Dionysien entwickelte sich die griechische Tragödie. Dionysos steht für die Extreme, die Unbändigkeit, die Hemmungslosigkeit und damit für die Ekstase. Was dieses Phänomen, das sowohl körperliche als auch emotionale Komponenten hat, verursacht, erkundet eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart, schließlich ist Kunst in der Lage, unser Bewusstsein zu verändern und an Grenzen zu treiben, die dem Alltag und der Normalität fremd sind.
Und sie bewegt sich doch! „Squares in Motion“ im Museum Ritter
Das Kunstwerk ordne Farben und Formen nebeneinander an, so befand Gotthold Ephraim Lessing 1766, im Gegensatz zur Dichtkunst, deren Worte nacheinander folgten. Dichtung sei also Zeitkunst und könne daher Handlungen darstellen, bildende Kunst dagegen nur Gegenstände. Diese Auffassung hat bis heute durchaus Geltung, „Leben“ erhält demnach ein Kunstwerk erst im Geist des Betrachters, in dessen Deutung. Doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Kunst, sich zu bewegen, sei es durch Lichteffekte, sei es durch Motoren. Die von Lessing konstatierte Beschränkung war aufgehoben. Das Museum Ritter führt nun vor, was dabei „Bewegung“ alles sein kann – natürlich, wie stets in diesem Museum, im Quadrat: „Squares in Motion“.
Aus der Tradition in die Moderne: Shades of White am Stuttgarter Ballett
Es gab Kunstepochen, da galt die Übernahme eines musikalischen Satzes oder ein langes Zitat eines geschätzten Komponisten als Ausweis der Hochachtung vor dem Kollegen, zugleich reihte man seine eigene Kunst ein in die Reihe der hehren großen Werke. Spätestens seit dem Geniekult der Romantik und erst recht im 20. Jahrhundert gilt derlei eher als Beleg für eine gewisse Rückständigkeit. Dabei braucht das Neue das Alte wesensmäßig, sei es, um sich von ihm abzusetzen, sei es, um Entwicklungen deutlich zu machen. Selbst die Revolution – als extreme Umkehr oder Negation des Alten – kommt ohne die Tradition nicht aus. Dass auch ein unverhohlener Rückgriff auf Tradition Neues nicht ausschließen muss, zeigt ein Abend des Stuttgarter Balletts.
Ensemble © Stuttgarter Ballett
Vom Ton zum Bild – Bildende Künstler und Johann Sebastian Bach
Die Bedeutung eines Komponisten kann man an der Zahl der Aufführungen und Interpretationen seiner Werke ablesen. Da steht Johann Sebastian Bach gewiss nicht schlecht da. Ein Maß für seinen Rang ist aber auch die Anzahl von Kunstwerken, die durch seine Musik angeregt wurden – und da erwies sich Bach als wahrer Inspirationsquell. So regte seine Musik zahlreiche Musiker an, sei es, seine Werke zu bearbeiten, wie dies Leopold Stokowski mit Orgelstücken für Orchester tat, sei es, Bachs Kompositionen in neuen Tonsprachen weiterzuführen wie etwa Dieter Schnebel. Aber auch die bildenden Künstler ließen sich vor allem von dem Meister der genau strukturierten Komposition anregen, bezeichnenderweise Vertreter der abstrakten Kunst, die sich ganz auf formale Aspekte konzentriert. Aus Anlass der 333. Wiederkehr von Bachs Geburtstag hat das Stadtmuseum Tübingen acht Tübinger Künstler um eine Hommage gebeten.
Axel von Criegern, Brandenburgische Konzerte, 2018
Gralsritter ohne Gral. Árpád Schilling inszeniert Lohengrin an der Oper Stuttgart
Als der fast schon legendäre Wagnertenor Leo Slezak den Lohengrin sang, soll er dem Schwan, der soeben seinen Nachen nach Brabant gezogen hatte, nachgerufen haben: „Wann kommt der nächste Schwan?“ War das noch ungebrochenes Vertrauen in die von Wagner szenisch manchmal aberwitzig märchenhaft vorgeschriebene Bühnenwelt, in der der Schwan ebenso selbstverständlich auf der Bühne erscheint wie Lohengrin als Leuchtgestalt vom fernen Gral? Oder deutete sich hier bereits eine leise Distanzierung von dieser Vorstellungswelt an? Heute jedenfalls gibt diese Oper den Regisseuren einiges zu bewältigen. Für den Ungarn Árpád Schilling, der Lohengrin jetzt für die Oper Stuttgart inszeniert hat, war der Vogel nicht das einzige, was er einer strengen Überprüfung unterziehen musste.