Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Malen als Schöpfungsakt. Fred Thieler

Es gibt Künstler, die man auf den ersten Blick einer Stilrichtung zuordnen kann. Dazu zählt gewiss Fred Thieler. Mit seinen Farbimpressionen und -landschaften, die wie zufällig auf Leinwand und Papier entstanden zu sein scheinen, ist er ein Musterbeispiel für die Richtung, die als „Informel“ in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kunstentwicklung prägte und für deren Charakterisierung sich Begriffe wie “Formlosigkeit“ und „uneingeschränkte Spontaneität“ eingebürgert haben. Beide treffen auch auf die Gemälde von Fred Thieler zu – und doch, wie eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier deutlich macht, beileibe nicht nur.

 

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Fragil – Stabil: Angela M. Flaig und Armin Göhringer in der Zehntscheuer Rottenburg

Geometrische Körper aus Samen – ätherische weißliche Luftgebilde, die beim leisesten Lufthauch zu zerfallen drohen auf der einen Seite. Baumstämme mit der Kettensäge bearbeitet, zerlegt in lauter Einzelteile, schwarz bemalt, dass man die Maserung des Holzes kaum mehr erkennen kann auf der anderen Seite. In der Zehntscheuer Rottenburg begegnen sich mit Arbeiten von Angela M. Flaig und Armin Göhringer Gegensätze, wie sie krasser kaum sein könnten, und dennoch entstand eine Ausstellung von faszinierender Geschlossenheit.

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Angela Flaig, Schalen

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Textile Vielfalt im deutschen Südwesten – am Beispiel Esslingen

Deutschland ist reich an so genannten Industriedenkmälern. Sie zeugen von einer wirtschaftlichen Blüte, die einst ganze Regionen prägte wie die Kohleindustrie im Ruhrgebiet und die inzwischen Opfer der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist. Heute dokumentieren ehemalige Industrieanlagen diese Vergangenheit wie etwa die Völklinger Hütte im Saarland. Auch Esslingen am Neckar kann auf eine ruhmreiche industrielle Vergangenheit zurückblicken, die „Esslinger Wolle“ war europaweit ein Begriff, doch kein einziges Bauwerk zeugt heute noch von dieser Epoche. Eine Ausstellung im Esslinger Stadtmuseum schafft Abhilfe.

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Ein Leben zwischen Kirchen, Stein und Masken – der Bildhauer Willi Bucher

Vielen gilt er als der „Maskenbucher“ – der Bildhauer Willi Bucher in Fridingen Seit Jahrzehnten schnitzt er traditionelle Masken für die Fastnacht seiner alemannischen Heimat – doch das ist nur eine Nebenbeschäftigung: Denn Willi Bucher ist nicht Handwerker, sondern vielseitig ausgebildeter Bildhauer, und die Masken, die er schnitzt und mit vielerlei ungewöhnlichen Materialien versieht, sind Kunstwerke, in vielen Ausstellung bereits gezeigt.

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Nerven, Muskeln und ätherische Ästhetik: „Kammerballette“ in Stuttgart

Was geschieht im menschlichen Gehirn, wenn man Musik hört – eine Frage, die für jeden Choreographen von Interesse sein dürfte, schließlich entsteht in der Regel in der Auseinandersetzung mit musikalischen Reizen der schöpferische Prozess, in dem Bewegungen und Bewegungsmuster für die Tänzer entwickelt werden. Insofern war es ein raffinierter Einfall von Katarzyna Kozielska, in einem Labor ein Elektroenzephalogramm von sich aufzeichnen zu lassen, das ihre Gehirnströme unter Muskeinfluss festhielt. Dem choreographischen Resultat dieses Experiments gab sie den Titel „Neurons“, auch das sehr sinnvoll, schließlich sind Neuronen die elementaren Bestandteile unseres gesamten Nervensystems und damit verantwortlich für sämtliche Prozesse des Lebens, also auch für den Tanz.

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Foto: Roman Novitzky (C) Stuttgarter Ballett

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Schattenseiten des Menschen: Francisco Goyas Radierungen

Eigentlich sind Werk und Biographie dieses Mannes kaum zu begreifen. Da malte Francisco Goya Mitglieder des spanischen Hofes mit schonungsloser Offenheit, porträtierte geradezu fratzenhafte Gesichter und wird doch akzeptiert, sogar zum Hofmaler ernannt. Es dürfte einer der seltenen Fälle sein, wo Ehrlichkeit, und zwar gnadenlose Ehrlichkeit, von der feinen Gesellschaft offenbar ohne große Probleme hingenommen, sogar honoriert wird. Und dann zieht sich dieser Hofmaler Goya plötzlich weitgehend von repräsentativen Porträts der Adelsgesellschaft zurück und widmet sich in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts intensiv der Graphik, der Radierung. Die Galerie Stihl in Waiblingen zeigt seine vier großen Zyklen. Der erste trägt den harmlosen Titel: „Caprichos“, das heißt „ Launen“ – ist aber ein wahres Pandämonium menschlicher und gesellschaftlicher Mängel. 

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© Morat-Institut Freiburg i. Brsg. Foto: Bernhard Strauss

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Bizets Amour fou als Albtraum an der Oper Stuttgart

Bizets „Carmen“ leidet am Postkartenklischee ihrer Rezeptionsgeschichte. Bizets Titelfigur scheint festgelegt auf die selbstbewusste Frau, die Verführertin schlechthin, ja sogar den Vamp – eine Vorläuferin von Alban Bergs Lulu. Regisseur Sebastian Nübling scheint vordergründig diesem Klischee zu folgen, und doch bricht er es zugleich auf. Er niszeniert nicht die tragische Liebesgeschichte des in die hübsche temperamentvolle Frau vernarrten Sergeanten Don José, er inszeniert all jene Männerträume, die zu dem Zerrbild dieser Carmen geführt haben.

Carmen von Georges Bizet in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln Wiederaufnahme 21. Februar 2016 Musikalische Leitung: Marc Soustrot, Willem Wentzel Regie: Sebastian Nübling Bühne und Kostüme: Muriel Gerstner Licht: Gérard Cleven Video: Gabriele Vöhringer Chor und Kinderchor: Christoph Heil Dramaturgie: Xavier Zuber Auf dem Bild: Luis Hergón (Surplus),  Erin Caves (José) Foto: A.T. Schaefer

Luis Hergón (Surplus), Erin Caves (José). Foto: A.T. Schaefer

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Eine Künstlerin zwischen Heimat und Moderne – Gabriela Oberkofler

Bei Heimatkunst rümpft man gern die Nase: Man denkt an Zopffrisuren, Trachtenfeste, Bilder mit röhrenden Hirschen; sie gilt als rückständig, weltfern, hinterwäldlerisch, Schriftsteller wie Ganghofer oder Anzengruber fallen einem ein. Wenn Künstler von heute sich dem Thema Heimat zuwenden, dann nicht selten ironisch, distanziert. Nicht so Gabriela Oberkofler. Die in Stuttgart arbeitende Künstlerin stammt aus einer Bergbauernfamilie in Südtirol und beherrscht alle Kunstmittel – traditionelle wie die Zeichnung ebenso wie moderne, etwa Performance und Video. Ihre Arbeiten kreisen um Themen wie Heimat, Fremde, Reisen – und immer wieder Natur. In der Kunsthalle Göppingen zeigt sie Zeichnungen und Installationen.

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Zwischen Werden und Vergehen. Die Kunst des Joseph Bücheler

Gelegentlich kann man hoch oben in Baumkronen seltsame Gebilde entdecken: Sie sehen wie weißlich-gräuliche alte Stoffe aus und erinnern an Vogelschwingen oder auch an Grabtücher. Das sind Arbeiten des 1936 in Wiesbaden geborenen Joseph Bücheler und stammen aus Papier, Weidenstöcken, Graphit und Asche.

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Eislinger Kreisel Beflügelt, 2003. Foto: Michael Flaig © VG Bild-Kunst Bonn 2016

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Wenn aus Frauen Hyänen werden: John von Düffels Antikenstück in Stuttgart

Welche Dramatik! Eine halbe Stunde lang liefern sich zwei Frauen mit Wort und Mimik einen Kampf bis aus Blut – Mutter und Tochter. Auf der einen Seite Klytaimnestra, die ihren Gatten Agamemnon ermordet hatte, um mit ihrem Geliebten Aigisthos gemeinsam als Ehepaar auf dem Thron zu sitzen, auf der anderen ihre Tochter Elektra, die nur ein Ziel hat, den Mord an ihrem Vater zu rächen. Solche Charaktere und Konstellationen sollte erst zwei Jahrtausende nach Euripides, Sophokles und Aischylos ein Shakespeare wieder auf die Theaterbühne bringen mit einem Ehepaar Macbeth, das aus Ehrgeiz vor keinem Mord zurückscheut.

Orest. Elektra.  Frauen von Troja  nach Euripides, Sophokles und Aischylos in einer Bearbeitung von John von Düffel Stuttgarter Fassung von Stephan Kimmig 20. Februar 2016 Regie Stephan Kimmig Regie: Stephan Kimmig Bühne: Katja Haß Kostüme: Kathrin P

Klytaimnestra: Astrid Meyerfeldt.  Foto: Conny Mirbach

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