Bildgewordene Realität: Die Malerei von Hermann Pleuer

Hell, duftig-leicht, nicht selten mit dem Himmel und dem Spiel der meist weißen Wolken – das kennzeichnet viele Bilder der französischen Impressionisten. Der Name leitet sich denn auch von einem Gemälde mit einer aufgehenden Sonne von Claude Monet her. Ganz anders der „schwäbische“ Impressionismus. Der orientiert sich eher am erdigen Braun des Bodens, an dunklen Farbpaletten – so auch die Malerei von Hermann Pleuer, die die Kunststiftung Hohenkarpfen derzeit präsentiert.

Schlossplatz bei Regen, o.J. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Dunkler geht es kaum mehr: Was zu sehen bzw. eher zu ahnen ist, verkündet der Titel: Schlossplatz bei Regen. Doch zu erkennen ist erst einmal überwiegend Schwärze, durchzuckt von einigen hellen Lichtblitzen; einige runde weißliche Flecken deuten Straßenlaternen in einer Reihe an, das Licht der vordersten ist durch Blattlaub gedämpft, dazu die Reflexion dieser Lichtquellen auf einem nassen Regenschirm und dem nassen Pflaster. Und doch: Wie farbig wirkt dieses Bild! Bei Pleuer ist Schwarz nie einfach nur schwarz. Selten sieht man so deutlich, wie sich diese Nichtfarbe aus einer Vielzahl von Farbnuancen zusammensetzt. Sie zusammen ergeben ein geradezu plastisch fühlbares Schwarz.

Pleuer sagte einmal in breitem Schwäbisch, er male, was er sehe. Damit könnte man sein Schaffen dem Realismus zuordnen, und in der Tat fühlte er sich ganz dem verpflichtet, was er um sich herum wahrnahm. Seine Bilder sind für Betrachter, die sich für Stuttgart und Umgebung um 1900 interessieren, eine Fundgrube. Der alte Bahnhof in der Stadtmitte, der heutigen Bolzstraße, die Einfahrt in den Bahnhof, die Landschaft um die Grabkapelle auf dem Rotenberg.

Abschied am Bahngleis, 1897. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Pleuer hielt all diese Szenarien auf der Leinwand fest – und malte doch nicht realistisch. Mit oft dickem Pinselstrich begnügte er sich oft mit wenigen Farbtupfern, aus denen sich seine Bildinhalte aufbauen. Das ist impressionistische Malerei, nur eben nicht die von den Franzosen bekannte helle, lichtgetränkte, sondern die eher atmosphärisch schwere der schwäbischen Kollegen.

Dabei konnte Pleuer auch leichte, sommerlich wirkende Landschaften gestalten. Die Wiesen rund um den Rotenberg wirken geradezu frühlingshaft leicht, sein Bild löst sich in locker auf die Leinwand gebrachte Farbflächen auf. Pleuer war dem verhaftet, was er aus seiner Umgebung her kannte, doch malerisch gestaltete er das Gesehene ganz aus der Farbe heraus. Daher wirken seine dunklen Szenen denn auch alles andere als düster. Auf einem Gemälde hält er eine Szene aus dem Alltag der Bahnarbeiter fest, eine willkommene Szene, es ist „Zahltag“, wie der Bildtitel verrät. Die Abenddämmerung ist schon fast in die Nacht übergegangen. Vor den Schloten der Fabrikumgebung heben sich die Figuren kaum ab. Nur ein kleiner Lichtstrahl erhellt das Bild – es ist das Strichholz, mit dem sich ein Arbeiter eine Zigarette anzündet. Durch dieses szenische Element wird das Bild malerisch lebendig – und führt ein in die Gefühlswelt der Zeit, denn das Licht ist deutbar als der Lichtblick, den der Zahltag im Leben des Arbeiters bedeutet.

Ausfahrt aus dem Stuttgarter Hauptbahnhof, 1904. Foto: U. Schäfer-Zerbst

Pleuer ist, das zeigt die Ausstellung, ein Meister des Details, in dem er das Wesen seiner Szenen einfängt. So porträtierte er, der die Eisenbahn liebte (und mit der Tochter eines Eisenbahnschaffners verheiratet war), einen aus dem (alten) Stuttgarter Bahnhof ausfahrenden Zug. Die Häuser der Stadt liegen im Hintergrund, die Zukunft gehört der Bahn, deren Lokomotive sich mit ihrem mächtigen metallenen Leib voranschiebt und durch die Kurve im Bildvordergrund an Tempo zuzunehmen scheint. Das wirkt alles der Realität abgesehen und wie zufällig festgehalten, ist aber genauestens geplant. So geben seine Bildszenen zwar in vielen Fällen reale Orte wieder, die Pleuer genau studiert hatte, und doch sind es für sich genommen reine Gemälde, auch wenn er bescheiden betonte, er male nur, was er sehe. Entscheidend dabei war der Übergang dessen, was er sah, in die Malerei.

Dabei spielt das Licht eine wesentliche Rolle. Beihingen bei Nacht ist eine fulminante Studie in gräulich-grün-blauen Farbtönen, vom Stuttgarter Bahnhof bei Nacht sieht man fast nur die bunten Lampen der Züge, und die Lokomotiven wirken bei ihm, wiewohl eindeutig aus schwerem Stahl gebaut, wie lebendige Wesen – Monsterwesen zwar, aber lebendig, und rein malerisch Meisterwerke in der Nuancierung all dessen, was auf der Leinwand Schwarz ausmachen kann.

Hermann Pleuer – Industrie und Landschaft im schwäbischen Impressionismus“, Kunststiftung Hohenkarpfen bis 21.7.2024

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