Geschlossen und offen, solide und verspielt: Das Haus bei Werner Pokorny

Einen Maler wie Vincent van Gogh erkennt man unschwer am Pinselstrich, selbst einen über die Jahrzehnte so vielgestaltigen Künstler wie Picasso oft an seinem Umgang mit Linie, Fläche und Gegenstand, selten aber kann man einen Künstler mit einem einzigen Motiv identifizieren. Bei dem Bildhauer Werner Pokorny war das Haus eine Art Lebensthema – nicht verwunderlich, steht es doch für Sicherheit, Geborgenheit, Zuflucht, also wesentliche existentielle Themen. Dass es auch für ganz andere Assoziationen Anlass bietet, zeigt eine Ausstellung der Galerie Schlichtenmaier in Dätzingen unter einem Titel, den man beim Thema Haus kaum vermutet: „Bewegung ins Offene.“

Kompakter lässt sich das Sicherheit verheißende Gebilde kaum mehr in Form fassen: Werner Pokorny hat 2012 die Grundform des Hauses, wie man sie von jeder Kinderzeichnung her kennt – ein Dreiecksgebilde über einem Quader –, aus einer Art Vase herauswachsen lassen. Gefäß + Haus nannte er die Arbeit und verdoppelte im Titel nur noch, was das Wesen des Hauses ausmacht: ein Behältnis zu sein. Wofür bzw. für wen, deutete er einmal in einer Pinselzeichnung an: In der Mitte das Haus, daneben eine menschliche Figur – beides stark abstrahiert, beides eindeutig erkennbar, wie stets bei Pokorny. Und auch sein 1990 entstandenes Hausgebilde mit dem Titel Box gehört formal und thematisch in diese Gruppe seiner Arbeiten.

Doch dann findet sich dieselbe Hausgrundform auch in einer Spirale, dem absoluten Gegenbild zur starren Hausform, und siehe da, das Haus passt sich perfekt in die neue „Umgebung“ ein: Was in sich starr und unverwüstlich scheint, mutiert zum lebendigen Spielzeug in der Hand eines Riesen, wenn man von den großen Plastiken ausgeht, die Pokorny für den Außenraum geschaffen hat, oder in der Hand eines Kindes, denn er hat auch Plastiken für die kleine Hand geschaffen. Was ein Kind aus Bauklötzchen macht, führt Pokorny mit einer nicht enden wollenden Fantasie weiter. Spiel heißt denn auch eines dieser Häuser in der Ausstellung, in einer Präsentation im Kunstmuseum Kornwestheim hat er einmal auf dem Boden eine ganze Gruppe solcher „Spielzeuge“ versammelt – eine kleine „Stadt“, wie sie Gulliver bei seiner Reise ins Land der Liliputaner erlebt haben könnte.

Das Haus hat zwar für Pokorny stets das Symbolhafte des Sicheren, Geborgenheit Spendenden, doch Kunst war für ihn nie nur purer Ernst, sondern stets auch lebendiger Umgang mit den Formen, und da erweist sich der Titel dieser Ausstellung, der auf den ersten Blick dem Haus so wesensfremd zu sein scheint, plötzlich als wesensgemäß. Ob Pokorny Hausformen übereinanderstapelt, sodass man meint, der Häuserberg könne jederzeit in sich zusammenfallen, oder ob er die Hausform in eine Spirale oder einen Kreis einbindet – in jedem Fall nimmt das Urgebilde eine andere Bedeutung an – mal in sich gefestigt, mal in den Raum hinaus strebend, mal unverrückbar scheinend, mal geradezu ins Weltall fliegend. Auch die Perspektiven sind bei Pokorny ständig in Bewegung. Man meint, in einem solchen Haus zu sein, blickt aber zugleich von außen auf die Bauform.

Dabei bedarf die starre Grundform nicht einmal der lebendigen Gegenform des Kreises oder der Spirale, um „lebendig“ zu werden. Mühelos, obgleich aus schwerem Stahl, verschlingt Pokorny Hausformen zu einem ätherischen Gebilde. Was schwer wirkt, verliert in seiner Gestaltung immer wieder jeden Anflug von Massigkeit.

Pokorny hat mit seinem Lebenswerk, das ganz dem Haus – bzw. verwandten Formen wie Gefäßen – gewidmet ist, jeden nur denkbaren Aspekt eröffnet. Er kehrte dabei nicht selten das Haus ins Gegenteil um: Sind Fenster in der Realität Teile des Hauses, werden Häuser bei ihm zu Teilen von Fenstern. Das Haus wird unter seiner Hand zum Spielball der Fantasie – und der Betrachter sieht sich unversehens vor die Frage gestellt: Was ist ein Haus und was bin ich dabei?

Werner Pokorny. Bewegung ins Offene“, Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen bis 25.5.2024

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