Archiv der Kategorie: Oper

Teufelsdrama als Revue: Arrigo Boitos Mefistofele an der Oper Stuttgart

Die Deutungsversuche um Goethes Faust scheinen nicht aufzuhören, vor allem die Deutschen sahen in der Titelfigur gern eine Verkörperung ihres Wesens als Menschen des Geistes, der Forscherkraft, weshalb sie Charles Gounods Vertonung des Dramas hierzulande nicht mit demselben Titel versahen, sondern als Margarethe auf die Bühne brachten. Doch das Drama ist genau besehen letztlich eine Auseinandersetzung um die Schattenseiten des Menschen, um Verführung, Kindsmord und Hinrichtung, geplant vom Inbegriff des grundlos Bösen, dem Teufel, und das stellte Arrigo Boito in seiner bezeichnenderweise nach ihm benannten Oper in den Vordergrund. Der Spanier Àlex Ollé hat sie in einer Koproduktion der Opern Lyon und Stuttgart neu inszeniert, wo sie jetzt mit neuem Ensemble auf die Bühne kam.

Olda Busuioc (Margherita), Mika Kares (Mefistofele), Antonello Palombi (Faust). Foto: Thomas Aurin

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Vergangenheit als Trauma: Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Glucks Iphigénie en Tauride

Eine nicht abreißende Blutspur zieht sich durch die Geschichte des Atridengeschlechts der griechischen antiken Mythologie. Erst opfert Agamemnon seine Tochter Iphigenie, um von den Göttern Wind für seine Flotte gegen Troja zu bekommen, um also Krieg führen zu können. Göttin Diana aber rettet sie und bringt sie nach Tauris, wo sie als Priesterin für Menschenopfer zuständig ist. Bei seiner Rückkehr wird Agamemnon von seiner Frau und deren Geliebten ermordet, was wiederum Sohn Orest mit dem Mord an seiner Mutter rächt, weshalb er von den Rachegöttinnen dem Wahnsinn nahe gebracht wird. Doch in Glucks Oper Iphigénie en Tauride geschieht nahezu nichts, alle werden nur von Ängsten geplagt, und genau das hat Krzysztof Warlikowski zum Kernpunkt seiner Inszenierung an der Opéra National in Paris gemacht. Das war 2006, jetzt ist sie an der Oper Stuttgart auf die Bühne gelangt.

Renate Jett (Iphigénie, Schauspielerin, li.), Amanda Majeski (Iphigénie, re.). Foto: Martin Sigmund

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Politikerentlarvung – John Adams‘ Nixon in China an der Oper Stuttgart

Oper und Politik standen einander schon immer nahe. Mozart griff ein heikles Thema auf, als er Figaros Hochzeit schrieb, der Gefangenenchor aus Nabucco wurde zur heimlichen Nationalhymne der italienischen Freiheitsbewegung, und Marquis Posas Ruf nach Gedankenfreiheit im Don Carlos war schon zu Schillers Zeit ein Politikum. Aber Nabucco spielt in alttestamentarischer Zeit, Don Carlos war schon Jahrhunderte Geschichte, als Schiller und später Verdi ihm ein Denkmal setzten, lediglich Mozart bzw. seine Vorlage von Beaumarchais handelte ein zeitlich naheliegendes Thema ab. Geradezu hochaktuell aber wurde im 20. Jahrhundert John Adams, als er die Begegnung zwischen Richard Nixon und Mao Tse-tung zum Thema einer Oper machte, denn diese Begegnung lag nur fünfzehn Jahre vor Entstehung der Oper. Die Oper Stuttgart hat sie nun neu herausgebracht.

Shigeo Ishino (Kissinger), Michael Mayes (Nixcon). Foto: Matthias Baus

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Utopia ist erst morgen. Stephan Kimmig deutet Hans Werner Henzes Prinz von Homburg an der Oper Stuttgart

Der preußische König verbot die Aufführung des Dramas, die Romantiker priesen es als Inbegriff des Poetischen – Der Prinz von Homburg von Kleist schied die Geister. Die einen sahen im Titelhelden einen Mann, der die rigide Realität überwindet durch Träumerei und das Vertrauen auf das eigene Ich, Otto von Bismarck sah in ihm einen Schwächling. Für Hans Werner Henze war er wohl das Symbol eines Nonkonformismus, den er nach den Erfahrungen Nazideutschlands, des Weltkriegs und der autoritären Nachkriegsbundesrepublik für sich zum Lebensprinzip erklärte, allerdings nur außerhalb von Deutschland für sich realisieren konnte, in Italien, wie auch Ingeborg Bachmann. Gemeinsam machten sie aus Kleists Drama 1959 eine Oper, gedacht als Gegenmodell zu dem von ihnen abgelehnten Deutschland, das ihnen zu sehr den preußischen Idealen verpflichtet schien. Stephan Kimmig hat sie nun für die Oper Stuttgart inszeniert.

Ensemble. Foto: Wolf Silveri

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Den Mythos befragen: Leo Dicks Antigone-Tribunal

Es geht um die Frage: der Einzelne oder der Staat, Humanität oder Gesetz, Flexibilität oder Buchstabentreue: Als Sophokles im alten Athen seine Antigone auf die Bühne brachte, traf er mit solchen Fragen ins Herz der athenischen Demokratie, die noch bedroht war von Gegnern wie den mächtigen Persern oder den strengen Spartanern. Aber die Fragen haben bis heute Gültigkeit, weshalb gerade dieses Drama vielleicht vor all den anderen aus dieser Zeit bis heute an Aktualität nichts verloren hat, zumal die konträren Positionen jeweils einiges für sich haben. Der Philosoph Slavoj Žižek hat genau dies in seinem Stück Die drei Leben der Antigone aufgegriffen und sich der weit verbreiteten positiven Deutung der Antigone entgegengesetzt. Jetzt hat Leo Dick im Auftrag der Jungen Oper Stuttgart, die seit ihrem Umzug ins Probenzentrum Nord JOIN heißt (Junge Oper im Nord) daraus eine Oper komponiert.

Chor der Bürger*innen, David Kang (Kreon). Deborah Saffery (Haimon/Tiresias), Carinna Schmieger (Antigone). Foto: Martin Sigmund

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Viele Wege führen zur Oper: das JOIN der Oper Stuttgart

Sie sollte, so stellte es sich der damalige Stuttgarter Opernintendant Klaus Zehelein vor, der „ästhetischen Erziehung“ von Kindern dienen – die Junge Oper Stuttgart: mit Operninszenierungen, die der Vorstellungswelt der Kinder und Jugendlichen entsprachen, mit Märchenspielen und gesellschaftsrelevanten Themenaufbereitungen, stets komponiert und inszeniert für das heranwachsende Publikum und meist unter Beteiligung von Jugendlichen, die mal hinter den Kulissen mitarbeiteten – in der Maske, beim Bühnenaufbau -, mal als Chor auf der Bühne mitwirkten. Unter dem neuen Intendanten Viktor Schoner hat sie einen moderneren Namen bekommen, eine neue Spielstätte und sehr viel mehr Gewicht – das JOIN, die „Junge Oper im Nord“.

Foto: Matthias Baus

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Zwischen Kameras und Mikrofonen: Puccinis La Bohème an der Staatsoper Stuttgart

Selbst heute steht sie in der weltweiten Statistik an der Spitze der tödlichen Infektionskrankheiten: die Tuberkulose, oder wie man früher sagte: Schwindsucht. Im 19. Jahrhundert, als die Bevölkerungsdichte vor allem in den Städten zunahm und es noch keine Impfung dagegen gab, starb in England bisweilen jeder vierte daran, vor allem in armen Kreisen. Dass sie auch die High Society nicht verschonte, zeigte auf der Opernbühne Giuseppe Verdi mit der von der gehobenen Gesellschaft zwar geächteten, gleichwohl in luxuriösen Verhältnissen lebenden Kurtisane Violetta Valéry. Der Situation in den armen Schichten widmet sich Giacomo Puccinis Oper La Bohème – und führt schon vom Titel her in eine französische Künstlerszene, die sich vom Bürgertum absetzte und meist unter Armut litt. Andrea Moses hat für die Staatsoper Stuttgart das Werk aus seinem im 19. Jahrhundert verhafteten Milieu befreit.

Esther Dierkes (Mimi), David Junghoon Kim (Rodolfo). Foto: Martin Sigmund

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Rasante Farce mit Tiefgang: Rossinis Cenerentola an der Staatsoper Stuttgart

Rucke di guh, Blut ist im Schuh, dieser Satz kommt in Erinnerung, wenn es um das Märchen vom Aschenputtel geht, jenem Mädchen, das von der Stiefmutter als Dienerin gehalten wird, derweil sich die Stiefschwestern den heiratswilligen Prinzen angeln sollen. Er will seine Auserwählte – eben jenes Aschenputtel, das durch Zauberhilfe in prächtigstem Kleid auf den fürstlichen Ball gelangt – an einem ihrer Schuhe erkennen, und die Schwestern hacken sich eine Zeh ab, damit ihr Fuß in den Schuh passt. Dergleichen gibt es in der Oper, die Gioachino Rossini 1817 komponierte, nicht. Bei ihm geht es rationaler zu. Für die Staatsoper Stuttgart hat Andrea Moses inszeniert.

Enzo Capuano (Don Magnifico), Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer

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