Die große Kunst des Comic: Der japanische Holzschnitt

Picasso bedauerte, keine Comics geschaffen zu haben, und Lyonel Feininger, der spätere Bauhauskünstler, begann seine Karriere – als Comiczeichner. Comic und Kunst schließen einander also nicht aus, wie Künstler wie Charles M. Schulz, Roy Lichtenstein oder Art Spiegelman zeigen. Dennoch denkt man hierzulande bei Comics an Heftchenerzählungen für Kinder, an Mickey Mouse und Fix und Foxi, an Sprechblasen, die mit wilden Zacken andeuten, dass der Held wütend ist. Im Westen musste sich der Comic seine Kunstwertigkeit erst verdienen, ganz anders in Japan, wo der Comic in einer langen altehrwürdigen Kunsttradition steht, wie eine Ausstellung in Schloss Messkirch zeigt.

Astro Boy, Merchandizing Figur nach Osamu Tezuka

Es könnte eine Mickey Mouse der Weltraumära sein, was dem Besucher in Schloss Messkirch am Ende der Ausstellung entgegentritt, doch dieser „Astro Boy“ stammt von Osamu Tezuka, dem „Gott des Mangas“. Als solcher könnte er nach wie vor der Populärkultur zugerechnet werden, ließe sich der Stammbaum der Mangas, die gemeinhin als japanische Form des Comics gelten, nicht bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Am Anfang stehen Künstler wie Katsushika Hokusai, dessen Holzschnitte zwar durchaus Ähnlichkeiten mit unseren Comics haben, doch Hokusai zählt zu den berühmtesten und besten Künstlern, die Japan aufzuweisen hat. Am Anfang des Comics in Japan steht die hohe Kunst, die allerdings anders aussah als das, was zur selben Zeit im 18. und 19. Jahrhundert in Europa entstand. Zwar gab es auch da berühmte Bildgeschichtenerzähler wie William Hogarth oder Wilhelm Busch, doch waren sie Ausnahmen.

Nicht so in Japan. Dort entstand bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine ganz eigene Kunst – musste entstehen, denn Japan hatte sich rund zwei Jahrhunderte vom Rest der Welt kategorisch abgeschottet. So entstand eine genuin japanische Kultur, in der die Zeichnung bzw. der Holzschnitt eine zentrale Rolle spielte. Wichtigste Themen: das Alltagsleben in Japan. Im Ukiyo-e, einer der beliebtesten künstlerischen Ausdrucksformen, ist er nicht wegzudenken. So begegnen wir in der Ausstellung in Messkirch Szenen aus dem Liebesleben, die mit ihrer Detailverliebtheit hart an die Grenze der Pornographie reichen; der Holzschnitt widmete sich dem Großstadtleben in Edo, wie Tokio damals hieß. Dargestellt wurde die „fließende Welt“, wie der Begriff auf Deutsch umschrieben werden kann, also der Alltag. Der allerdings war vielfältiger, als es sich die Künstler in Europa, die sich etwa der Genremalerei widmeten, vorstellen konnten.

Vor allem das Theater dominierte diese Bilder. Zahlreiche Schauspieler des Kabukitheaters wurden auf Bildern festgehalten – nicht als Privatpersonen, sondern in ihren größten Rollen, und das waren nicht selten Götter und Dämonen, die in Japan nicht der Märchensphäre für Kinder angehörten, sondern Teil der Welt des gläubigen Japaners waren. Der Shintoismus, neben dem Buddhismus die bedeutendste Religion in Japan, ist ohne die Welt der Dämonen nicht vorstellbar – Dämonen, die in die Welt der Menschen hineinregieren.

Toyohara Kunichika. Bando Hikosaburo in der Rolle eines Katzengespensts zusammen mit einem anderen Schauspieler in einem Kabukistück. 1864

Es gibt nichts, was nicht Dämon sein konnte, selbst unbelebte Objekte wie Steine oder ganze Berge. So sehen wir, wie ein Teufel sich als Bettelmönch verkleidet, wie sich ein Mensch in einen Fuchs verwandelt, wie ein Katzengespenst einen Menschen erschreckt.

Das alles war nicht nur Teil des religiösen Glaubens, sondern beherrschte auch die Bühnen des Landes. Daher ist diese Ausstellung nicht nur eine Einführung in den Glauben Japans, sondern auch in die Theaterkultur – und die Literatur. Einer der populärsten Romane der Hochkultur ist die Erzählung um den Prinzen Genji, deren Szenen immer wieder in Holzschnitten illustriert wurden.

Vor allem aber ist die Ausstellung ein Augenschmaus, denn während in Europa der Holzschnitt allenfalls eine Randexistenz führte, war er in Japan eine der beliebtesten Kunstformen, die die Künstler zu einer faszinierenden Blüte brachten. Bis zu zehn Farben enthielten diese Blätter, also wurden dafür zehn Holzstöcke benötigt (bzw. fünf Holzplatten, die beidseitig benutzt wurden). Der japanische Holzschnitt verblüfft mit seiner filigranen Linienführung, die einen glauben macht, man habe eine subtile Federzeichnung vor Augen, nicht einen Druck, der mithilfe einer eingeritzten Holzplatte entstand.

                             Katsushika Hokusai. Der lachende weibliche Dämon Hannya.1830

Und der Besucher taucht ein in eine ungebrochene Kunsttradition. Aus den Holzschnitten entwickelte sich, nicht zuletzt durch den Einfluss der westlichen Kultur, der Manga; 1853 erzwangen die Amerikaner militärisch die Öffnung Japans. So beeinflussten denn auch die in den USA unterdessen beliebt gewordenen Comicstrips die japanischen Druckerzeugnisse – und doch stehen die Mangas unverkennbar in der alten Tradition des Holzschnittes. Die charakteristischen Comicmerkmale – Übertreibung des Geschehens, der Mimik und Gestik und vor allem die Kombination von Text und Bild reichte er in Japan bis in frühere Jahrhunderte zurück. So zeigt die Ausstellung: Nicht in den USA liegt die Wiege des Comics, sondern in Japan, wo er von Anfang an zur Hochkultur gehörte.

Götter, Krieger und Dämonen. Vom japanischen Holzschnitt zu Manga und Anime“. Kreisgalerie Schloss Messkirch bis 18.6.2017

Ein Gedanke zu „Die große Kunst des Comic: Der japanische Holzschnitt

  1. Thomas

    Ein sehr interessanter Beitrag über den japanischen Holzschnitt. Mein Bruder ist ein leidenschaftlicher Fan von der japanischen Kultur. Er lernt sogar Japanisch und möchte eines Tages Japan besuchen. Da werde ich diesen Link an ihn weiterleiten.

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