Ein Hilfsmittel wird autonom: Gustav Kluges Druckstöcke

Im Grunde ist es ganz einfach: Man schneide von einer Holzplatte all das, was nicht auf dem späteren Blatt zu sehen sein soll, weg, färbe das übrige hochstehende Holz ein und drücke es auf ein Stück Papier oder Leinwand. Das Kunstwerk, der Holzschnitt, ist fertig. Dass auch Druckstöcke ihren ästhetischen Reiz haben können, haben Museen längst erkannt und sie gelegentlich den ausgestellten Drucken beigegeben. Der Maler und Grafiker Gustav Kluge hat in ihnen eine selbstständige künstlerische Qualität erkannt. Das Kunstmuseum Reutlingen, dem er zahlreiche seiner Druckstöcke überlassen hat, zeigt, wie sich der Druckstock unter seiner Hand emanzipiert.

Es gibt durchaus Holzschnitte von Gustav Kluge, die ganz nach herkömmlichem Verfahren entstanden sind. Ein Holzstück wird geritzt, ausgeschnitten, ganz allgemein formuliert: bearbeitet wie in diesem Fall eine Baumscheibe, dann eingefärbt und auf Papier gedrückt. Damit hätte der Druckstock seine Schuldigkeit getan, und Kluge hat auch so manche seiner alten Exemplare vernichtet. Andere lehnen in dieser Ausstellung einfach übereinander gestapelt an der Wand. Doch die Baumscheiben hat Kluge für diese Ausstellung so auf dem Boden drapiert, dass sie einer eigenen Choreographie folgen, sie wirken für sich, zudem hat er sie nach Ende des Druckens noch einmal bemalt (in diesem Fall mit Linoldruckfarbe!), was eigentlich überflüssig wäre. Die Folge: Der Druckstock führt eine eigene Existenz.

Dabei ist die Verwendung einer Baumscheibe ein relativ simples Vorgehen. Längst baut sich Kluge sein Druckstöcke aber aus alten Brettern zusammen. Da sind die Spuren des Gebrauchs deutlich erkennbar, die Bretter sind unterschiedlich lang, passen eigentlich nicht zusammen. Aber gerade das kommt dem Ausdruckswillen Kluges entgegen, denn er gestaltet gern Zwischenwelten, Gestalten, die ineinander überzugehen scheinen. Bezeichnend ist der Titel einer großen Arbeit im Erdgeschoss (bewusst grammatisch so!): Nous sont les autres. Da verschmelzen im Druck Figuren, und Kluge zeigt durch die besondere Aufstellung des Druckstocks quer zur Wand die zwei Seiten seines Mediums.

Wenn er dann mit dem Messer dem – man möchte fast sagen: notdürftig zusammengezimmerten – Druckstock zu Leibe rückt, dann nicht selten deutlich martialisch mit vehementen Stichen und Einsägungen. Holzschnitt, das machen diese Druckstöcke deutlich, ist eine gewalttätige Aktivität, die das Holz verletzt. Das freilich wird an den mit ihnen hergestellten Drucken oft nicht mehr erkennbar, denn die Drucke sind nicht selten ätherisch fein, die Farbe ist oft transparent, ergibt keine richtige Fläche, sondern besteht nur aus einzelnen Farbtropfen. Das liegt nicht zuletzt am Material seiner Drucke: nicht saugstarkes Papier, sondern Pergamin, eine transparente Fläche für den Druck, auf die Farbe nur leicht aufgetragen werden kann, die dann trocknen muss. So ist es manchmal erstaunlich, wie sehr sich der Druckstock – also die technische Voraussetzung für den späteren Druck – von dem Druck selbst unterscheidet, zumal Kluge die Papiere in einem ersten Schritt mit anderen Druckverfahren wie dem Linoldruck eingefärbt hat. Im fertigen Druck gehen all diese Druckstufen ineinander über, sie durchtränken sich gewissermaßen. Und dann bearbeitet er noch die Drucke, reißt sie ein, überklebt sie teilweise. 

Danach aber fängt für Kluge die Arbeit noch einmal an, denn nun nimmt er sich den Druckstock, der ja künstlerisch ausgedient haben sollte, noch einmal vor und bearbeitet ihn weiter – mit dem Messer, mit Farbe, oder klebt Linoleumflecken ein. Manchmal fügt er neue Holzteile ein, die sich gar nicht drucken lassen, weil sie dick von der Druckplatte abstehen. Wo im Druckstock ein Kantholz herausragt, ist im Druck selbst eine Leerstelle, so als sei das fertige Bild nur eine Vorstufe des Druckstocks..

Daher hat Kluge von seinem großen Druckstock mit dem Titel Kegelspiegel auch nicht die ganze Fläche gedruckt, sondern nur kleine Teile. Der übrige Druckstock, wiewohl sehr vielfältig farbig ausgestaltet, ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Dabei verbindet Kluge gerade in dieser Arbeit mehrere Druckverfahren: den Holzdruck, also Hochdruck, aber auch den Tiefdruck. Manchmal trug er die Farbe an Stellen nur auf und druckte sie wie eine Monotypie..

Längst hat bei ihm der Holzdruckstock die Grenzen der Druckverfahren transzendiert. So war es letztlich nur noch ein Schritt zur endgültigen Emanzipation des Druckstocks. Kluge schnitt solche Druckmedien, ohne dann mit ihnen einen Druck anzufertigen: Der Druckstock genügt sich selbst, ist vom Durchgangsmedium zum autonomen Kunstwerk geworden.

rote Watte. Druckstöcke und Holzschnitte von Gustav Kluge“, Kunstmuseum Reutlingen bis 16.6.2019. Werkverzeichnis der Druckstöcke, 208 Seiten, 30 Euro

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