Ein katholisches Signal in protestantischen Landen: Der Meister von Meßkirch in der Staatsgalerie Stuttgart

Sie haben berühmte Kunstwerke geschaffen und sind doch unbekannt, jene mittelalterlichen Maler, die nach ihren Hauptwerken benannt werden, als „Meister“ etwa „des Aachener Altars“. Kein Wunder, galten Maler im Mittelalter doch nicht als Künstler, gar als Genies, sondern als Handwerker, signierten daher ihre Werke nicht und haben mit ihnen doch einen festen Platz in der Kunstgeschichte, wie etwa der Meister von Meßkirch, benannt nach seinem Hauptwerk, der Ausgestaltung der Martinskirche in Meßkirch. Die Staatsgalerie Stuttgart widmet ihm nun eine große, in deren Zentrum der Bilderschmuck von St. Martin steht, kein leichtes Unterfangen, denn die Bildtafeln befinden sich mit Ausnahme des großen Dreikönigsbildes längst nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort.

Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, Meßkirch, Pfarrkirche © Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg i. Br., Aufnahme: Michael Eckmann

Die Farbenpracht springt als erstes ins Auge, der Meister von Meßkirch war ein Meister in der Komposition kräftiger und zugleich differenzierter Farben, mit denen er vor allem die unterschiedlichen Materialien auf seinen Bildern gestaltete. Man meint, jeden Stoff, aus dem die Gewänder der hl. Drei Könige geschneidert sind, identifizieren zu können: Brokat, Samt, daneben Metall, die unterschiedlichen Steine der Säulen und schließlich die Vegetation im Hintergrund. Man glaubt, alles mit Händen greifen zu können, das ist Realismus in Reinkultur, und dasselbe gilt für die dargestellten Inhalte. Fast könnten sie aus einem Hollywoodhistorienfilm stammen: Andächtig kniet der älteste der Könige vor dem Jesuskind, stolz, zufrieden, glücklich kann Maria nicht die Augen von ihrem Neugeborenen wenden, und das Kind greift wie ein junger Racker neugierig nach dem Pokal, den der kniende König bereits als Geschenk überreicht hat.

Dabei hat der Meister von Meßkirch seine Bildelemente keineswegs ganz aus sich heraus erschaffen. Die Ausstellung (und vor allem der umfangreiche Katalog) zeigen auf, dass er sich genauestens in der Kunst seiner Zeit auskannte. So manche Figurenkonstellation hat er aus Bildern seiner Kollegen Hans Baldung Grien oder Albrecht Dürer übernommen, so manches Gewand lässt sich eindeutig auf Vorlagen zurückführen. Darin ist er ganz Kind seiner Zeit.

Auch in der Motivwahl seiner frühen Arbeiten stand er zu Beginn ganz in der Tradition von Zeit und Umfeld. Für den Falkensteiner Altar, entstanden zu Beginn der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts, schwelgte er in Heiligendarstellungen, deren übergroße Heiligenscheine – natürlich in Gold – noch durch Einritzungen hervorgehoben sind. 

Wildensteiner Altar, Maria mit den vierzehn Heiligen des Zimmernschen Hauses, 1536, Staatsgalerie Stuttgart

Für den Wildensteiner Altar malte er Maria umgeben von vierzehn Heiligen – das ist ein Altar fest verwurzelt in der katholischen Glaubenstradition. Das gilt auch für seine Sigmaringer Marientafeln, die er um 1520 schuf und auf denen sich bereits seine sehr individuelle Figurenzeichnung andeutet, obwohl gerade diese Bildtafeln zum Teil eindeutig auf Vorbilder zurückzuführen sind.

Nicht mehr zeitgemäß aber ist sein Meisterwerk, die Ausgestaltung der Kirche St. Martin, denn als er sie im Auftrag des Grafen Gottfried Werner von Zimmern in Meßkirch schuf, hatte Herzog Ulrich in Württemberg bereits den Protestantismus eingeführt. Der Graf von Zimmern war also umgeben von Territorien, die dem neuen Glauben anhingen. Von seinem Meister aber verlangte er ein dezidiert katholisches Werk, und bekam es überreich. Dutzende von Heiligenbildern zierten die Altartafeln, in einer Zeit, da Luther jeglichen Heiligenglauben als Aberglauben abgeschafft und auch die Marienverehrung verurteilt hatte. Der Meister von Meßkirch schuf mit seiner eindringlichen, sehr individuellen Gestaltung der Bibelszenen eine Verherrlichung des alten Glaubens, und das gelang ihm ausgesprochen glaubwürdig. Das Leiden Christi, der unter der Last des Kreuzes zusammenbricht, ist ihm ins Gesicht geschrieben. Bei der Geißelung holen die Schergen mit aller Kraft Schwung, um die Peitschen möglichst schmerzhaft auf den Leib Christi aufklatschen lassen zu können, 

Verspottung Christi, um 1535/40 © Warschau, Nationalmuseum

bei der Verspottung steckt sich einer der Schergen gar den Finger in den Mund, um Christus mit aller nassen Gewalt anspucken zu können, man sieht die Tropfen einzeln durch die Luft fliegen.

Mit seiner Anonymität steht dieser Künstler eindeutig noch in der Tradition des Mittelalters, mit seiner lebendigen, realitätsnahen Gestaltung aber wirkt er für seine Zeit modern.

Wie die Kirchenkunst in Gegenden aussah, die bereits fest in protestantischer Hand lagen, zeigt die Ausstellung ebenfalls. Mit rund 160 Bildtafeln hat Heinrich Füllmaurer nur wenige Jahre nach dem Meister von Meßkirch einen Altar geschaffen, wie er unterschiedlicher nicht hätte ausfallen können. Die von ihm geschaffenen Bildtafeln des sog. Gothaer Altars, der allerdings vermutlich für den württembergischen Herzog Ulrich entstand, sind beherrscht von umfangreichen Texten aus der Bibel samt Stellenangabe, die Bilder wirken eher wie ein Beiwerk. Hier hat der Text, den Luther so stark in den Vordergrund stellte, die Oberhand. Die Bilder wiederum sind weit mehr als reine Bibelillustrationen, sie sind ein demagogischer Kommentar zur Kirchenspaltung, die soeben ausgebrochen war. Da trägt das apokalyptische Weib die päpstliche Krone, ein katholischer Pfarrer predigt da als Wolf im Schafspelz. Das ist Kirchenkampf mithilfe des Altars.

Doch auch das, was der Meister von Meßkirch geschaffen hat, ist nicht fern von agitatorischer Intention, nur sehr viel subtiler. Denn indem hier, inmitten des „feindlichen“ Umlandes, ein Kirchenschmuck entstand, in dem Gold, das auf Füllmaurers Altar fehlt, in Überfülle eingesetzt wird und in dem die Heiligen in ungewöhnlich großer Zahl vertreten sind, hat der Graf mit seinem Künstler eine wahrhaft „gegen-reformatorische“ Großtat in die Welt gesetzt, Jahre bevor die katholische Kirche ihre Gegenbewegung gegen den Protestantimus initiierte, die inzwischen ebenso heißt: Gegenreformation.

Der Meister von Meßkirch. Katholische Pracht in der Reformationszeit“, Staatsgalerie Stuttgart bis 2.4.2018. Katalog 384 Seiten, Euro 39.90

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