Grau in Grau. Die Raumwelten des Ben Willikens

Es kann ein Symbol für Sachlichkeit sein, für Würde und Neutralität, aber auch für Tristesse, Trübsal, Einsamkeit: Grau ist vielseitiger, als man landläufig meint, es kann positive Konnotationen in sich tragen, wird aber meist negativ gesehen als grauer Alltag, graue Maus, graue Theorie. Für Ben Willikens wurde es die Farbe seines Künstlerlebens; seit den 70er Jahren ist Grau geradezu zum Markenzeichen seiner Malerei geworden – die Farbe Grau und das Motiv Raum. Die Kunsthalle Weishaupt hat ihm jetzt in Ulm eine umfangreiche Retrospektive gewidmet.

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Raum 608: Abendmahl, 2009. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Es ist eines der berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte: An einem langen Tisch sitzen dreizehn jüngere Männer, zum Teil sind sie in ein Gespräch vertieft, zum größten Teil aber haben sie den Blick unverwandt auf den bärtigen Mann in der Mitte gerichtet. Es ist das „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Als Andy Warhol seine Versionen dieses Bildes anfertigte, beschränkte er sich nahezu vollständig auf die Figuren, deutete den Tisch ein wenig an, interessierte sich aber nicht für den Raum und also auch nicht den Blick in die Ferne durch das Fenster an der Rückwand des Abendmahlsaals. Ben Willikens konzentriert sich dagegen ganz auf den Raum – und verzichtet vollständig auf das Personal. Die anekdotische Heilsgeschichte findet auf seinem Bild nicht statt, dafür ist der visionäre Blick in das geheimnisvolle Licht nach hinten intensiviert. Es ist ein typisches Willikensgemälde: Menschen kommen nicht vor, der Betrachter ist mit Räumen konfrontiert, die wenige Gegenstände aufweisen, wenn sie nicht überhaupt leer sind.

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Triptychon II, 1972. Staatsgalerie Stuttgart © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Er begann mit klinischen Räumen, altmodischen Anstaltssälen, in denen leere Bahren stehen, an der Wand altmodische Waschbecken hängen, von der Decke eine kahle Glühlampe hängt, die den Raum erhellt. Vor allem sind es Räume grau in grau, in denen das Weiß, das eine Lichtquelle verrät, den Blick des Betrachters magisch anzieht. Willikens Anstaltsbilder der 70er Jahre zeigen eine unwirtliche Welt, die entweder vom Menschen verlassen ist oder in der der Mensch keinen Platz hat.

Es sind Symbole der kalten Nachkriegswelt, die Beschränkung auf Grauwerte ist ein asketischer Rückzug von einer Welt der grellen Farben und vielfältigen Ablenkungen. Immerhin sorgen spitze Winkel, Blicke in Zimmerecken gelegentlich für eine Lockerung der Strenge, die diese Bilder ausstrahlen.

Das sollte sich spätestens mit dem „Abendmahl“ ändern. Hier erhebt Willikens die Zentralperspektive zum Hauptausdruckselement. Die Fluchtpunkte sind genau getroffen, der Blick in die nun entstehenden Räume ist meist frontal. Türen sind geschlossen, ein Entkommen aus diesen Räumen ist unmöglich, und auch ein Eindringen in diese Räume. Diese Bilder sind Symbole der Abweisung. Wo bei da Vinci Teppiche an den Wänden hängen, befinden sich bei Willikens geschlossene Stahltüren.

Der Zentralperspektive blieb er treu, der Eindruck realistischer Räume aber wich in den 90er Jahren. Willikens entwarf „Gegenräume“, Gebilde, die den Eindruck realer Räume evozieren, sich aber beim zweiten Hinsehen als räumliche Illusionen erweisen. Das Weiß – Licht – dringt aus geheimnisvollen Sphären in die Räume, die Wandkonturen lösen sich auf.

Dann wandte sich Willikens Orten deutscher Geschichte zu, Gebäuden, die die Nazis zur Verherrlichung ihrer Ideologie entwerfen ließen: klare Linien, Flächen, monumentale Dimensionen. Auch hier fehlt das Personal, fehlt Hitler auf dem für ihn konstruierten Rednerpult. Die Bilder wirken ambivalent. Einerseits verweisen sie auf das Grauen, das mit den Nazis in die Welt kam, andererseits üben sie in ihrer kühlen Ästhetik einen großen Reiz aus.

Doch gerade bei diesen Raumbildern, die an wirkliche Gebäude anknüpfen, beschleicht den Betrachter das Gefühl, gar keine Räume vor sich zu haben. Was eine Türöffnung sein soll, ist nichts als eine schwarze Fläche, was wie Treppen anmutet, ist streng genommen nur eine Übereinanderlagerung unterschiedlich grauer geometrischer Flächen. Willikens evoziert den Eindruck von Räumen, malt jedoch genau genommen abstrakt-geometrische Bilder, bleibt aber der Zentralperspektive treu – ein Widerspruch, denn die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts hatte mit diesem Gestaltungsprinzip gebrochen: Willikens versöhnt Kunstgeschichte und Moderne.

Was wie ein realer Raum wirkt, ist in Wirklichkeit ein Kunstraum. Und das – so wird in dieser Ulmer Retrospektive deutlich – war letztlich schon immer der Fall. Bei seinen Anstaltsbildern finden sich hin und wieder „Fehler“, kleine Striche, weiße Punkte, die mit dem dargestellten Raum nichts zu tun haben, sondern rein abstrakte, wie zufällig auf die Leinwand geratene zeichnerische Elemente sind. Willikens schafft Kunsträume, in denen sich die Fantasien der Betrachter ausbreiten können.

So war es kein Wunder, dass er schließlich gänzlich abstrakte Bilder schuf, die den Eindruck von Räumen heraufbeschwören, aber letztlich den Gestaltungsprinzipien etwa eines El Lissitzky folgen. Jetzt kommt auch Farbe in seine Bilder. ben-willikens_raum-823-625x900

Raum 823: Floß (Atelier-Interieur), 2012. Courtesy Galerie Hans Mayer, Düsseldorf © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Das gilt erst recht für die Arbeiten, zu denen er sich von seinem Atelier inspirieren ließ. Teile seiner Atelierwände wirken wie informelle Malerei, ihnen beigesellt wie in einer Art Collage sind die typischen Willikensschen Raumbilder. Zusammengenommen sind es Kunstgebilde, die letztlich das ganze Schaffen dieses Künstlers ausmachen. Selten hat eine Ausstellung diese Vielschichtigkeit gezeigt – und selten auch ist so klar gemacht, dass der in seiner Malerei so unpersönlich wirkende Künstler, der die Farbe glatt aufträgt, keinerlei persönliche Handschrift im Pinselstrich erkennen lässt, letztlich ein höchst subjektiv arbeitender Künstler ist, der ganz aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus schafft. Das Grau ist ein Reflex auf Schutt und Asche seiner zerbombten Heimatstadt Leipzig, die er als Kind erlebte; die Anstaltsbilder rühren von einem langen Klinikaufenthalt her, und am Ende, nach den Stationen da Vinci, Nazis und Gegenräumen bringt er sein tägliches Ambiente, sein Atelier auf die Leinwand. Das ist persönliches Erleben sublimiert und objektiviert in der Malerei.

Ben Willikens. Die Anmaßung der Räume und Orte. Werke aus fünf Jahrzehnten“, Kunsthalle Weishaupt, Ulm, bis 26.3.2017. Katalog 124 Seiten, 8 Euro

Hierzu findet sich ein Film von Horst Simschek und mir auf Youtube

 

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