Immer an der Wand lang: Wände in der bildenden Kunst

Die Wand ist ein zwiespältiges Phänomen. Auf der einen Seite definiert sie Räume, mithin also auch Geborgenheit, Privatsphäre, sie bietet Sicherheit gegen das unwägbare Draußen. Andererseits schließt sie auch aus, trennt uns von der Welt der anderen, stellt ein Hindernis dar, auch eine psychische Bedrohung weil Einengung, gegen die wir anrennen wollen. Selbst der Schutzaspekt ist eine Medaille mit zwei Seiten. Die Wand bietet die Möglichkeit zur Anlehnung, aber sie stellt auch den letzten Rückzugspunkt dar, wenn wir mit dem Rücken zu ihr stehen. Kein Wunder, dass sie für die Künstler mehr ist als nur ein architektonisches Alltagselement, wie jetzt eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart mit dem schlichten Titel Wände/Walls zeigt.

Was ist eine Wand? Natürlich ein Teil einer Raumbegrenzung, ein meist verputztes Stück Mauer. Aber für Joseph Kosuth sind es auch Repräsentationsformen wie das Wort im Lexikon und das Foto, und so hängt er ein solches neben Zitate aus englischen Lexika zu den Stichwörtern Wand, Weiß und Gips; und dazwischen befindet sich ja noch die echte Wand, eben die, die er fotografiert hat.

Eine Wand ist nicht, wie etwa eine Mauer, theoretisch ewig lang. Sie ist, da Raumbegrenzung, durch die Architektur in ihren Maßen definiert, was Mel Bochner in einem Raum des Kunstmuseums deutlich macht. Er hat die Maße der Wand an die Wand geschrieben.

Der Wand schreibt man gern Dauerhaftigkeit zu. Michael Sailstorfer lässt einen Autoreifen rotierend an der Wand reiben. Die Wand wird es überstehen, der Autoreifen nicht.

Wand muss allerdings nicht immer, wie sie es in der Regel in Häusern tut, vor den Blicken anderer schützen. Yoko Ono hat eine Art Labyrinth aus lauter gläsernen Wänden geschaffen, die den zwischen ihnen Wandelnden mal zeigen, mal tatsächlich auch verdecken – die Welt und der Mensch in ihr stehen unter ständiger Beobachtung.

Wände müssen nicht unverrückbar sein, es gibt sie auch als flexible Raumteiler. Charlotte Posenenske gibt dem Ausstellungsbesucher die Gelegenheit, selbst Hand anzulegen und sie zu verschieben. Damit schafft er sich gewissermaßen seinen eigenen Raum, eine Art Zuhause, denn das können Wände ja auch bewerkstelligen; es sind dann die sprichwörtlichen eigenen vier Wände. Wenn sie ein Waschbecken zur Körperpflege beinhalten, dann findet Anne Marie Jehle, sei sie daheim, wie der Titel ihrer Installation nahelegt.

Gerade diese beiden letzten Arbeiten zeigen, dass Wände auch ein sehr persönliches Erleben sein können – ein Erleben, das auf einer anderen Ausstellungsebene in seinen verschiedenen Facetten vorgeführt wird. Hat Mel Bochner die Raummaße rein mathematisch in Millimetern erfasst, zeigt Klaus Rinke in einer Fotoserie, dass man Wände auch mit dem eigenen Körper vermessen – und damit zugleich erfahren kann. So werden sie tatsächlich die eigenen vier Wände. Bruce Nauman fordert den Ausstellungsbesucher sogar dazu auf. Er liefert genaue Anleitungen, wie man verschiedene Körperteile an die Wand drücken soll, um so ein sehr persönliches Verhältnis zur Wand aufbauen zu können, und damit man das auch zuhause tun kann, kann man das Blatt mit den Anleitungen mitnehmen.

Ein solches Verhalten freilich bleibt nicht ohne Folgen für die Wand. Sophie Innmann hat vor eine blau gestrichene Wand zwei Bänke gestellt. Sitzt man darauf, kann man sich an die Wand anlehnen – die Wand als Stütze, wenn man es nicht als „mit dem Rücken zur Wand stehen“ vergleichen möchte. Mit dem Rücken wird mit der Zeit die Farbschicht der Wand verändert, was in der Stuttgarter Ausstellung etliche Besucher allerdings auch mit ihren Händen getan haben.

Dass Wand dabei auch und vor allem als hart empfunden wird, zeigten Ulay und Marina Abramović. Sie rannten in einer Performance stundenlang gegen Wände, bis sie erschöpft aufgeben mussten.

Da wird die Wand durch die Kunstaktion selbst zum Kunstwerk, oder zumindest zum wichtigen Partner der Kunst, der sie in den Museen ja auch ist, denn dort hängen die Werke ja meist an der Wand, weshalb die Wand im Museum eine besondere sein kann. Also warum nicht ein Stück Wand, bzw. den Putz der Wand ablösen und als Objekt ausstellen? Das tat das Künstlerduo Elmgreen & Dragset, und zeigte so, wie sehr sich die Museen der Welt in dieser Hinsicht doch gleichen. Unterschiede zwischen dem Wandverputz des Museums Ludwig in Köln oder dem New Museum in New York wird man vergeblich suchen. Gerahmt jedenfalls wirken beide wie Kunstwerke, doch warum dazu in fremde Museen reisen, fragte sich Gerwald Rockenschaub und erklärte schlicht ein Stück Wand des Stuttgarter Kunstmuseums zu einem solchen Exponat.

Natürlich kann man eine Wand auch in ein Kunstwerk verwandeln. Sol Lewitt tat das, indem er eine Wand in lauter breite Streifen aufteilen und mit Farbtupfern bedeckte, bzw. bedecken ließ, denn als Konzeptkünstler liefert er ja nur die Idee zu einem Werk. Das ist ganz neue Wandmalerei.

Bei Felix Schramm scheint das Museum durch eine Implosion zu einem neuen Kunstwerk zu kommen. Es scheint wie aus der Außenwelt in die des Museums hineinzuschießen. Die Wand des White Cube Museum wird dabei zerstört, das Kunstwerk aber dadurch geboren.

Oder aber es geschieht das Gegenteil: Ein großer Rüssel dringt aus der Wand und saugt das Kunstwerk aus der Vitrine im Museum heraus und sorgt so, wie der Titel dieser Arbeit von John von Bergen besagt, für einen wertlosen Moment, einen Anti-Precious Moment.

Ähnlich unbedeutend scheint das Kunstwerk bei Martin Bruno Schmid, denn es ist gar nicht da. In der Wand sehen wir nur die beiden Dübel, an denen es eigentlich hängen sollte. Die freilich sind nicht ohne, sie sind aus Gold.

Da möchte man doch am liebsten mit dem Kopf durch die Wand, wie das Pferd von Maurizio Cattelan. Aber auch ohne derart schmerzhafte Aktion wird man nach dem Besuch dieser Ausstellung mit anderen Augen durch die Welt gehen und vielleicht Wände sehen, wo gar keine sind.

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