Ironie des Schicksals: Verdis Rigoletto an der Oper Stuttgart

Die Oper enthält eine der berühmtesten Tenorarien der Opernliteratur: „O wie so trügerisch“, gesungen von einem Herzog, der nur einen Lebenssinn kennt – sich zu amüsieren. Um die anderen Dinge kümmern sich eher zwielichtige Gestalten, und die Titelfigur – Rigoletto, der Hofnarr des Herzogs – redet diesem nach dem Munde, bis Rigolettos Tochter Gilda sich in den Herzog verliebt. Verdi hielt diese Oper für eine seiner gelungensten, im Unterschied zu anderen Opern verzichtete er auf Korrekturen und Überarbeitungen. 2015 inszenierte der damalige Stuttgarter Opernintendant und Meisterregisseur Jossi Wieler zusammen mit Sergio Morabito die Oper für die Stuttgarter Bühne. Jetzt ist sie wieder im Repertoire.

Foto: Martin Sigmund

Soeben hat Rigoletto, der Narr am Hofe von Mantua, seinem Herrn, dem Herzog, eine neue Geliebte zugeführt und deren Mann zum Gespött der Leute gemacht, da kommt er nach Hause zu seiner Tochter Gilda. Sie ist das einzige, was ihm an Glück geblieben ist – seine Frau ist längst tot. Verdi macht das musikalisch unüberhörbar deutlich, und die Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito setzt diese enge Verbindung kongenial in Szene um.

Gilda ist in dieser Szene ganz die Tochter ihres Vaters, denn der fühlt sich in dieser Inszenierung ganz in der Tradition der Revolution, möchte die starre Ordnung der höfischen Gesellschaft umstoßen, und so druckt Gilda am Fußboden Flugschriften gegen den Adel. Wie so oft haben Wieler und Morabito für solche Deutungen auch einen Beleg im Libretto, denn kurz nach der soeben verklungenen Begrüßungsszene gibt Gilda ihrer Hoffnung Ausdruck, der attraktive junge Fremde, in den sie sich beim Kirchgang verliebt hat, sei hoffentlich kein Herr oder Fürst, sondern am liebsten arm.

Diese Szene im Haus des Rigoletto ist aber nicht so sehr wegen der politischen Anspielungen von Bedeutung. Sie führt ein in das Seelenleben dieses Mannes, den die Natur zum Krüppel gemacht hat und der gewissermaßen dafür Rache an der Welt üben will. Und so wie er den Herzog ganz nach seinen Vorstellungen den wüsten Lebemann spielen lässt, damit sich die Stimmung bei Hof gegen ihn wenden möge, so möchte er auch sein Heim ganz nach seinen Vorstellungen formen. Um seine Tochter vor den Gefahren der Welt zu schützen, schirmt er sie ganz ab. Gilda in dieser Anfangsszene ist ein Mädchen, das wie ein Junge aufgewachsen ist. Doch gerade dadurch ist sie den Verlockungen der Sexualität in Gestalt des Herzogs erst recht ausgesetzt.

Rigoletto, das macht diese Inszenierung in jeder Phase deutlich, ist ein Mann, der meint, alles zu tun, um die Welt nach seinen Plänen zu gestalten – die Sicherheit der Tochter an erster Stelle –, und der doch gerade durch sein Vorgehen das Gegenteil bewirkt. Wenn die Höflinge sich an ihm rächen und seine Tochter dem Herzog zuführen wollen, meint er, der Anschlag gelte einer anderen Person, und legt bei der Entführung seiner Tochter selbst Hand an – eine tragische Figur in einer Mischung aus höhnischem Sarkasmus der Gesellschaft gegenüber, wütender Rache und am Ende abgrundtiefer Verzweiflung.

Dalibor Janis (Rigoletto), Beate Ritter (Gilda), 2018. Foto: Martin Sigmund

Bert Neumann hat dazu ein Bühnenbild geschaffen, das die Ausweglosigkeit aller Beteiligten deutlich macht. Ständig ist die Drehbühne in Bewegung, alles kreist sich um sich selbst, das Hinterste wird zuvorderstgekehrt und es entsteht ein Labyrinth, aus dem es kein Entrinnen gibt. Eine Inszenierung, die in jedem Detail psycho-logisch ist. Mehr noch: In dieser Inszenierung ist die ganze Welt eine Schöpfung Rigolettos: Selbst das von Rigoletto für die Tochter so sorgsam abgeschottete bürgerliche Heim erweist sich schon in der ersten Szene als Täuschung. Die Mauern des Hauses, in dem Gilda mit ihrem Vater die Flugschriften gegen den Adel schreibt, sind aus Pappmaché – keineswegs für die Ewigkeit gebaut.

Dalibor Janis (Rigoletto), Beate Ritter (Gilda), 2018. Foto: Martin Sigmund

Damit ist Rigoletto selbst in seiner Privatsphäre eine Art Regisseur, so wie er die Vergnügungsmaschinerie am Hof des Herzogs inszeniert. Dafür hat Neumann gewissermaßen das Innere der Stuttgarter Oper nachgebaut, also den Raum, in dem die Oper aufgeführt wird – ein raffiniertes Spiel im Spiel, bei dem die realen Opernbesucher quasi Mitspieler sind, denn auf der Bühne nachgebaut ist noch einmal in etwas kleinerem Format die Bühne der Stuttgarter Oper, in der sie sitzen, und hinter dem rot-violetten Vorhang, der dem im Stuttgarter Opernhaus nachgeschneidert ist, vergnügen sich – nur akustisch wahrnehmbar – der Herzog und seine Gäste. Die „Bühne“, auf der Rigoletto für seinen Herrn für Unterhaltung sorgt, ist zugleich auch die des Opernhauses, in dem alle Besucher sitzen, und sie werden damit selbst in das Geschehen hineingezogen, um am Ende erleben zu müssen, dass alles nur Theater ist: Die Bühne fällt wie ein Vorhang in sich zusammen, wie die Welt des Hofnarren Rigoletto; es war alles nur eine von ihm inszenierte Show – mit ihm als tragischem Helden.

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