Liebesgeschichte als Lebensrettung: Paul Abrahams Viktoria und ihr Husar am Gärtnerplatztheater in München

Auf eine Reise um die halbe Welt nimmt Paul Abrahams Operette Viktoria und ihr Husar den Zuschauer mit, schließlich beginnt sie in einem Gefangenenlager in Sibirien, wo der Husarenrittmeister Koltay mit seinem Burschen Janczy auf die Hinrichtung wartet, und führt nach deren Flucht in die amerikanische Botschaft in Japan, dann in Petrograd und zum Happy End in die ungarische Puszta – eine Herausforderung für jeden Bühnenbildner, doch Regisseur Josef Köpplinger kommt mit einem einzigen Bühnenbild aus.

Ensemble © Christian POGO Zach

Möglich wird das durch Köpplingers raffiniertes Regiekonzept. Bei ihm endet die Lagerexistenz, bei der die beiden jungen Männer um ihr Leben fürchten müssen, nicht nach dem Vorspiel, bei ihm findet die ganze Operette im Gefangenenlager statt. Die bolschewikischen Soldaten sind die ganze Zeit über präsent, vor allem ihr Leutnant Petroff, denn ihm soll Husar Koltay von seiner großen Liebe zu Viktoria erzählen, und macht er seine Sache gut, dann kommt er wie weiland Scheherazade in 1001 Nacht mit dem Leben davon. Und so imaginiert Koltay, wie er für den Gegenwert von Janczys Geige aus dem Lager entkommt, nach Japan in die amerikanische Botschaft gelangt, dort seine geliebte Viktoria wiedertrifft, die, weil sie ihn von den Bolschewiken erschossen wähnt, inzwischen den dortigen amerikanischen Gesandten geheiratet hat.

Die ganze Geschichte kommt als Spiel im Spiel auf die Bühne, immer wieder unterbrochen von Kommentaren des russischen Leutnants. Karl Fehringer und Judith Leikauf haben dafür ein schlichtes, aber eindringliches Bühnenbildkonzept entwickelt. Kaum beginnt Koltay mit seiner Erzählung, öffnet sich in der Lagerkaschemme hinten ein Vorhang und heraus purzelt gewissermaßen die Welt Japans und der amerikanischen Botschaft mit all dem ernsthaften Personal wie dem Gesandten und seiner Frau Viktoria sowie deren Bruder Ferry, der im Begriff ist, die Halbjapaner/pariserin O Lia San zu ehelichen, deren Mama bekanntlich aus Yokohama stammt, der Papa dagegen aus Paris.

Dieses Spiel im Spiel, das Inszenieren einer reinen Erzählfantasie, gibt Köpplinger Gelegenheit, alle Register des grellbunten Showtheaters zu ziehen, das diese Operette durch ihre Musik ja auch ist mit den folkloristischen Anklängen an japanisches Flair, russische Derbheit und ungarische Pusztaseligkeit, die Dirigent Tobias Engeli neben den herrlichen Kantilenen der ernsteren Liebeslieder und -duette des Protagonistenpaars virtuos einstreut.

Susanne Seimel (O Lia San), Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Christian POGO Zach

Das Japan in dieser Inszenierung ist dann – weil als reine Fantasiewelt im russischen Lager ausgedacht – zwangsläufig ebenso übertrieben mit den Seidengewändern, den Fächern und dem über allem schwebenden Kirschzweig, wie die ungarische Puszta mit übergroßer Rotweinflasche und Paprikafrucht als Dekoration reines Fantasieprodukt ist. So kann Köpplinger auch die von der Musik, die von Can-Can-Anklängen bis hin zum Jazz alle Stilmittel auskostet, geradezu geforderten Revueeinlagen glaubhaft und mit Lust inszenieren, denn sie sind durch sein Konzept plausibel. Das gibt Josef Ellers als Janczy Gelegenheit, neben seiner virtuos leichten Buffo-Gesangstechnik auch seine stupenden Tanzkünste unter Beweis zu stellen. Wenn O Lia San mit ihrem Ferry über ihre nächtlichen Eskapaden schwärmt („Mausi, süß warst du heute nacht“), artet das in einer Kissenschlacht aus – doch stets lauert die graue Lagerrealität als Menetekel über allem.

Alexandra Reinprecht und Daniel Prohaska als Viktoria und ihr Husar schwelgen im operettenhaften Schönklang,

Daniel Prohaska (Stefan Koltay), Gunther Gillian (Leutnant Petroff) © Christian POGO Zach

Erwin Windegger gibt den amerikanischen Gesandten und am Ende vornehm entsagenden Ehemann angemessen geschäftsmäßig nüchtern, und Gunther Gillian poltert als sowjetischer Leutnant gerade so viel, um leise Bedrohung aufrecht zu erhalten.

So gelang Köpplinger eine unterhaltsame revuehafte Operette mit ungewöhnlich starken ernsten Untertönen, die am Ende noch einmal aufleben, wenn auf der Hinterbühne alle Figuren wie Geister noch einmal auftauchen. So bekommt selbst eine musikalisch derart heitere Operette wie diese Substanz, wie sie sie selten findet.

Die Produktion ist bis 24.1.2021 23 Uhr als Stream verfügbar:

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/viktoria-und-ihr-husar.html?ID_Vorstellung=2849

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