Literarische Schlaglichter. Die neue Dauerausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach

Neun Jahre lang konnte man die alte Dauerausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach bestaunen – eine anstrengende Ausstellung, denn der Besucher war mit über Tausend Objekten konfrontiert. Die neue Dauerausstellung begnügt sich mit „nur“ 280 Exponaten. „Die Seele“ heißt sie – und mit der Seele ist das Marbacher Archiv gemeint.

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                                                                     Bild: DLA Marbach

Die neue Dauerausstellung in Marbach hätte auch – frei nach Heinrich Mann – den Titel tragen können: „Ein Zeitalter wird besichtigt“, denn für jedes Jahr des 20. Jahrhunderts finden sich in den zahlreichen Vitrinen Beispiele aus dem riesigen Marbacher Archiv ausgewählt – und es passierte in Sachen Literatur viel in diesem Jahrhundert, nicht zuletzt änderten sich die Schreibgewohnheiten, was sich erstaunlicherweise aber nur bedingt in den Exponaten niederschlug.

Immerhin: dem Endlospapier, einem Phänomen der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, kann man in der Ausstellung begegnen – allerdings nicht den endlosen Papierbögen, die man in den Anfängen der Computerära für die Matrixdrucker brauchte. Das Endlospapier in dieser Ausstellung stammt schon aus dem Jahr 1929.

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Ernst Penzoldt, Die Powenzbande. Foto: DLA Marbach

Damals schrieb Ernst Penzoldt seinen Schelmenroman „Die Powenzbande“ auf Endlospapier, wie es die alten Ägypter auf Papyrus taten – und ärgerte sich dann, weil er es ständig hin und her rollen musste.

 

 

Im Vergleich zu der bisherigen Dauerausstellung ist die neue Schau sehr viel unterhaltsamer. So findet sich zu jedem Exponat auf den Glasscheiben der Vitrinen ein Schlagwort. Zum Jahr 1905 liest man den Begriff: „Schillerverbieter“. Dahinter verbirgt sich ein kleines Kärtchen von Hermann Hesse, der im Schillerjahr 1905 gefragt wurde, was man machen könne, damit dieser Autor wieder gelesen würde. Hesse gibt den lakonischen, allerdings psychologisch hintergründigen Rat: Man müsse Schiller verbieten, dann würde er wieder gelesen.

So erfährt man allerlei Verblüffendes, auch Skurriles, etwa, dass man nicht unbedingt ein guter Schüler sein muss, um ein großer Schriftsteller zu werden. Franz Kafka beispielsweise war ein durchschnittlicher Schüler und schaffte sein doch erstaunlich gutes Reifezeugnis zusammen mit seinen Mitschülern durch eine List, man könnte auch sagen: durch Betrug.

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Franz Kafka, Reifezeugnis. Foto: DLA Marbach

 

„Durchschnittsschwindel“ steht über dem Zeugnis in der Vitrine – und dahinter verbirgt sich eine Geschichte, wie sie der Autor des Romans „Der Prozess“ nicht hätte besser erfinden können. Kafka hatte sich nämlich – wie seine Mitschüler übrigens auch – die Aufgaben für das Griechischabitur vor der Prüfung verschafft. Seitdem hatte er Zeit seines Lebens Angst, der Betrug könne auffliegen.

Diese Hintergrundinformationen freilich erschließen sich einem nicht, wenn man vor den Vitrinen steht, denn es gibt in der Ausstellung keine Texte zu den Exponaten. Die Geschichten, die sich um die Dokumente ranken, kann man im Katalog nachlesen – oder vor den Vitrinen mit einer App auf sein Smartphone laden oder auf ein an der Kasse erhältliches entsprechendes Gerät. Und da beginnen die Geschichten jeweils mit einer Frage. Sie können das Wesen von Literatur betreffen – beispielsweise: Ist ein Brief Literatur? Bei einem Hugo von Hofmannsthal durchaus. Er probierte in seinen Briefen die unterschiedlichsten Stilarten aus – schlüpfte also sprachlich in verschiedene Rollen.

Auch einen Blick in die dichterische Werkstatt macht die Ausstellung möglich. So umfasste die Erstfassung von Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens“ über 2000 Seiten – und wurde dann radikal gekürzt.

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Robert Gernhardt, Stachelschweinborsten. Foto: DLA Marbach

Robert Gernhardt fand bei einem Spaziergang in der Toskana einige Stachelschweinborsten – und schrieb darüber das Gedicht „Der morgendliche Fund“. Oder man erfährt, was Sarah Kirsch verspürte, als sie erfuhr, dass eines ihrer Gedichte zur Schullektüre erhoben wurde: Sie bemitleidete die Kinder und notierte auf einem Gedicht, das als Beispiel für DDR-Literatur steht: Die armen Kinder.

So ist diese Ausstellung mit allen Materialien – auch den virtuell verfügbaren – eine faszinierende und amüsante Philosophie der Literatur – man braucht aber viel Zeit dafür.

Die Seele“. Literaturmuseum der Moderne, Marbach, Dienstag – Sonntag, 10-18 Uhr. Katalog 420 Seiten, 30 Euro

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