Oper online – Axel Ranischs Inszenierung von Susannens Geheimnis von Ermanno Wolf-Ferrari an der Bayerischen Staatsoper

Viel an Handlung gibt Il Segreto di Susanna von Ermanno Wolf-Ferrari einem Regisseur nicht an die Hand: Graf Gil, seit kurzem mit der zehn Jahre jüngeren Susanna verheiratet, argwöhnt, sie habe einen Liebhaber. Grund für den Verdacht: Kommt er abends von der Arbeit nach Hause, riecht es nach Zigaretten, die weder er, noch, so vermutet er, Susanna raucht. Schließlich gesteht sie ihm, dass sie sich aus Langeweile dem Laster hingegeben habe. Er bereut den Verdacht und wird aus Sympathie auch zum Raucher. Mit dieser Minimalhandlung ist das eine Herausforderung für die Regie und nicht die einzige. Sie alle umschifft Axel Ranisch an der Bayerischen Staatsoper raffiniert.

Michael Nagy © Wilfried Hösl

Wenn sich bei Wolf-Ferrari nach der witzigen Ouvertüre, die unter der Leitung von Yoel Gamzou heiter-perlend realisiert wird, der Vorhang öffnet, erklärt Graf Gil seinen Verdacht minutenlang in einem Monolog, keine leichte Angelegenheit für den Regisseur. Axel Ranisch hat dafür ein nachvollziehbares Ambiente geschaffen. Bei ihm spielt die Oper in der Praxis eines Psychiaters, dem Gil seine Probleme schildert und zu dem sich bei der Paartherapie noch die Gattin hinzugesellt. Heiko Pinkowski, eigentlich für die stumme Rolle des Dieners besetzt, mimt nicht nur diesen Psychiater, sondern auch noch den Regisseur des Ganzen, räumt ein paar unnötige Requisiten beiseite, schafft so den Praxisraum samt obligater Couch und begrüßt auch noch Dirigent und Musiker. Auf diese Weise mutiert der Monolog des Grafen zur plausiblen Erzählung eines sich gehörnt Wähnenden vor dem beratenden Arzt.

Heiko Pinkowski, Selene Zanetti © Wilfried Hösl

Was er ihm da singend erzählt, wird in Filmsequenzen präsentiert, in denen nicht gesungen wird, in einem Stummfilm mit all den witzigen Übertreibungen, die dieses Genre so beliebt machen. Da qualmt nicht nur ein ganzer Eichenkleiderschrank, auch der Hortensienstrauch neben Susannas Bett stößt bläuliche Wolken aus. Wenn der Graf überraschend früh nach Hause kommt, um seine Frau in flagranti zu ertappen, folgt ihm der Psychiater und macht sich auf seinem Klemmbrett eifrig Notizen. Das ist brillant gefilmt, meisterhaft von allen drei Akteuren gemimt und von Michael Nagy und Selene Zanetti grandios gesungen – Nagy mit elegantem Bariton, Zanetti mit lyrischem Sopran, der auch zu dramatischen Tönen fähig ist. Stumme Filmszenen und gesungene Aktion in der Psychiaterpraxis sind vollendet miteinander verwoben.

Musikalisch sorgt Dirigent Yoel Gamzou für Wolf-Ferraris raffinierte Mischung aus hochdramatischen Passagen, wenn Nagy urgewaltig seinen Abscheu vor dem „tabacco“ verkündet, und den lyrisch verliebten Kantilenen, in denen Selene Zanetti Susannas frisch entdeckte Begeisterung für den bläulichen Rauch erklärt.

An dieser Stelle freilich weicht Ranisch von der Vorlage deutlich ab. Bei Wolf-Ferrari ist das die Szene, in der Susanna ihr wahres Geheimnis gesteht. Ranisch traute der Offenbarung wohl nicht zu, dass sie zu der reumütigen Reaktion des Grafen führte. Andererseit war es natürlich 1909, als die Oper entstand, etwas anderes, sich als Frau zum Rauchen zu bekennen, als 2021. So singt Susanna dieses Loblied auf den süßen Rauch im Bett, neben sich den Psychiater.

Heiko Pinkowski, Michael Nagy, Selene Zanetti © Wilfried Hösl

Der hat freilich auch ein sexuelles Abenteuer mit dem Grafen, sodass dessen reumütige Bereitschaft, gleichfalls dem Laster zu frönen, eher als Wiedergutmachung für den homoerotischen Seitensprung aufzufassen ist.

Das wäre nicht nötig gewesen. Ranisch hat die kleine Oper auch so schon mit herrlichen Bedeutungsebenen aufgewertet. Vor allem hat er ein neues Operngenre geschaffen, denn diese Produktion ist nicht eine Inszenierung mit Videoeinblendungen, wie sie inzwischen fast gang und gäbe sind, es ist vielmehr eine reine Onlineinszenierung, die vor Publikum nicht funktionieren könnte, denn die Aktion auf der Bühne findet vom Publikumsraum aus gesehen hinter dem auf der Bühne platzierten Orchester statt, wäre also gar nicht einsehbar, und für die Filmszenen gibt es auf der Bühne keine Leinwand, sie sind nur am Monitor zuhause für den Zuschauer sichtbar.

Damit hat die Bayerische Staatsoper eine ganz neue Dimension in Zeiten von Corona geschaffen. Denn schon bisher dürfte sie mit ihren regelmäßigen Liveübertragungen am Montagabend in Sachen Streaming das rührigste Opernhaus zumindest in Deutschland sein mit brillanter Kameraregie, denn andere Häuser wie die Wiener Staatsoper streamen entweder fast ausschließlich Konserven früherer Jahrzehnte oder aber haben ein deutlich abgespeckteres Repertoire an Liveübertragungen. Jetzt hat sie mit Ranischs grandioser Onlineinszenierung eine Form geschaffen, die ganz aus der Coronakrise heraus geboren und für sie geschaffen wurde. Bleibt abzuwarten, inwieweit das Folgen für den Opernbetrieb hat, wenn er denn wieder regulär aufgenommen werden kann.

Die Inszenierung ist bis 28.5.2021 für ein Tagesticket von Euro 4.90 abrufbar

https://www.staatsoper.de/montagsstuecke.html

 

 

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