Die Liebe in Zeiten der Krise: Horváths Kasimir und Karoline am Schauspiel Stuttgart

Er war ein Meister kleinbürgerlicher Trivialitäten, Hoffnungen und Enttäuschungen, patriarchalischer Rollenverständnisse und ein früher Mahner vor der Gefahr eines aufkeimenden Nationalismus: Ödön von Horváth. Als Ziel seiner Arbeit bezeichnete er die Demaskierung des Bewusstseins, und damit dürfte er, wiewohl seine Stücke unverkennbar die Gesellschaft der 20er und 30er Jahre zum Inhalt haben, auch im 21. Jahrhundert, einer Gegenwart zunehmender Nationalismen und „alternativer Fakten“, von erschreckender Aktualität sein – und gezeigt haben dass Karl Marx möglicherweise Recht hatte mit seiner Behauptung, das gesellschaftliche Sein bestimme das Bewusstsein. In Horváths 1932 uraufgeführtem Stück Kasimir und Karoline ist Chauffeur Kasimir gerade arbeitslos geworden, und dieses Schicksal prägt sein ganzes weiteres Tun und Denken. Wem seine Arbeit genommen wird, der verliert auch seine Braut. Über Kasimir und Karoline droht von Anbeginn an eine Zukunft Kasimir ohne Karoline.

Peer Oskar Musinowski (Kasimir), Manja Kuhl (Karoline), Horst Kotterba (Speer), Andreas Leupold (Rauch), Paul Grill (Schürzinger). Foto: Thomas Aurin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Alles dichterische Fantasie? Demis Volpi inszeniert Brittens Death in Venice

1973 hatte Benjamin Brittens Opernversion von Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig Uraufführung, zwei Jahre zuvor hatte Luchino Visconti seine Interpretation ins Kino gebracht. Beide verarbeiteten in diesen Werken ihre homoerotischen Neigungen, wie es ja 1911 auch schon der 36jährige Thomas Mann getan hatte. Visconti machte für die Leinwand aus dem Dichter Aschenbach einen an Gustav Mahler erinnernden Komponisten, Britten hielt sich in seiner Opernversion streng an die literarische Vorlage bis hin zur Endvision, in der der an Cholera erkrankte todkranke Dichter meint, der von ihm vergötterte Knabe Tadzio lächle und winke ihm zu, das, was er tagelang in Venedig erfolglos zu erreichen versucht hatte. Britten hatte in seinem Werk, in dem es vor allem um Schönheit und Ästhetik geht, Oper und Tanz kombiniert, so war es nur folgerichtig, dass die Oper Stuttgart nun die Regie für ihre Neuproduktion dem Hauschoreographen des Stuttgarter Balletts, Demis Volpi, übertrug.

Matthias Klink (Aschenbach) Foto: Oper Stuttgart

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Es muss nicht immer Origami sein. Plastiken aus Papier im 20. Jahrhundert

Asien war Europa in vielem weit voraus. Es war die Wiege des Schwarzpulvers, hier wurde Papier erstmals hergestellt, und hier entdeckte man auch, dass Papier nicht auf die Blattform beschränkt sein muss. Vor zweitausend Jahren kam man dort auf die Idee, Objekte aus Papier zu falten, und brachte sie rund tausend Jahre danach zur künstlerischen Blüte: Origami. Die Mauren setzten die Technik zu ornamentalen Zwecken ein, und die Deutschen im 19. Jahrhundert zu pädagogischen. Künstlerisch bedeutend wurde der dreidimensionale Umgang mit Papier in Europa erst im 20. Jahrhundert, danach war das Papier aus der Kunst allerdings nicht mehr wegzudenken, wie jetzt eine Ausstellung in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn zeigt: Skulpturen aus Papier.

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Die große Kunst des Comic: Der japanische Holzschnitt

Picasso bedauerte, keine Comics geschaffen zu haben, und Lyonel Feininger, der spätere Bauhauskünstler, begann seine Karriere – als Comiczeichner. Comic und Kunst schließen einander also nicht aus, wie Künstler wie Charles M. Schulz, Roy Lichtenstein oder Art Spiegelman zeigen. Dennoch denkt man hierzulande bei Comics an Heftchenerzählungen für Kinder, an Mickey Mouse und Fix und Foxi, an Sprechblasen, die mit wilden Zacken andeuten, dass der Held wütend ist. Im Westen musste sich der Comic seine Kunstwertigkeit erst verdienen, ganz anders in Japan, wo der Comic in einer langen altehrwürdigen Kunsttradition steht, wie eine Ausstellung in Schloss Messkirch zeigt.

Astro Boy, Merchandizing Figur nach Osamu Tezuka

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Einfach tierisch – allzu menschlich. ArtGenossen in Bad Saulgau

Er war Publikumsliebling und Medienstar: Eisbär Knut. Vor ihm schafften es auf die obersten Stufen der Beliebtheitsskala Gorilla Bobby, Rüsselrobbe Roland, die Giraffe Rike, Pelikan Methusalem, selbst ein Flusspferd namens Knautschke. Tiere sehen dich an, betitelte Paul Eipper schon 1928 ein erfolgreiches Buch. Der Hund gilt als des Menschen liebster Freund – und doch lässt der Mensch Tiere auch in Massenhaltung leiden, in Fabriken töten. Das Verhältnis Mensch-Tier ist zwiespältig – wie mag es da erst das Verhältnis Tier-Mensch sein. Eine Ausstellung in Bad Saulgau versucht Antworten zu geben: ArtGenossen.

                                                                   Pavel Feinstein. O.T.

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Zwischen den Welten: Die Raumkunst von Camill Leberer

Der Raum sei euklidisch und dreidimensional, befand vor 400 Jahren Isaac Newton und zementierte, was vor zweieinhalbtausend Jahren der Grieche Euklid definiert hatte: ein Phänomen aus Höhe, Breite und Tiefe. Das freilich wurde im 20. Jahrhundert durch Albert Einstein relativiert, ebenso wie der Begriff Materie, die eben nicht mehr wie einst als feste Substanz gilt. Die moderne Physik hat das Weltbild erneuert – der Stuttgarter
Camill Leberer hat faszinierende künstlerische Visionen dazu entworfen, wie jetzt eine Ausstellung im MuseumArt.Plus in Donaueschingen zeigt.

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Farbe als Geschehen: Jason Martins „monochrome“ Malerei

Als Kasimir Malewitsch 1915 sein Schwarzes Quadrat auf weißem Grund malte, drang er zu einem Nullpunkt der Malerei vor. Jeder Verweis auf eine Welt außerhalb des Bildes war beseitigt, es galt nur noch die Bildfläche als solche. Die extreme Reduktion auf eine Farbe hat seither die Maler immer wieder fasziniert, doch nicht immer hieß monochrom einfarbig, wie Ad Reinhardt fünfzig Jahre nach Malewitsch mit seinen Black Paintings zeigte, die eine Vielzahl an Schwarztönen enthielten. Die Farbfeldmalerei der 50er Jahre brachte dann die Farbe zum Schwingen, ließ sie eins werden mit dem Farbträger, der Leinwand. Das alles kann einem in den Sinn kommen, setzt man sich mit den Gemälden des Engländers Jason Martin auseinander. Seit zwanzig Jahren begnügt er sich meist mit einer Farbe pro Bild und wird daher gern ins Lager der Monochromen gestellt. Eine Ausstellung im Sindelfinger Schauwerk zeigt, wie wenig diese Einordnung seinem Werk gerecht wird.

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Träume aus Texten und Bildern: Malerbücher zu Beginn der Moderne

Er verliebte sich so unsterblich in sie, dass er sich am Ende das Leben nahm. Doch was genau Goethes Werther an Lotte so verzauberte, bleibt vage. Wir hören lediglich von einem Mädchen von schöner Gestalt und mittlerer Größe. Sprache kann zwar sehr konkret sein, doch bei der Beschreibung ihrer Figuren bleiben Dichter nicht selten ungenau, weshalb sich denn auch jeder Leser sein eigenes Bild von den Charakteren macht – es sei denn, ihm helfen Illustratoren. Meistern wie Grandville oder Doré verdanken wir das Bild eines hageren, sich mühsam im Sattel aufrecht haltenden Ritters von der traurigen Gestalt. Bei Cervantes ist er lediglich hager an Gestalt und dürr im Gesicht. Die Hochzeit solcher Buchillustrationen lag im 19. Jahrhundert und hätte eigentlich zu Beginn des 20. obsolet sein müssen, doch gerade da entwickelte sich eine ganz neue Tradition von „Bilderbüchern“, wie jetzt die Städtische Galerie in Bietigheim zeigt.

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Mit Japan in die Moderne. Der Farbholzschnitt um 1900 im Spendhaus Reutlingen

So deutlich wie van Gogh hat es kaum ein Künstler formuliert. Seine ganze Arbeit, so bekannte er 1888 in einem Brief an seinen Bruder Theo, baue auf den Japanern auf. Dabei wirkte sich dieses ostasiatische Vorbild auf seinen Gemälden nur in wenigen Einzelfällen besonders deutlich aus, etwa bei seiner Gestaltung von blauen Schwertlilien. Sehr viel unmittelbarer ist der Einfluss der Japaner mit ihrer Kunst der Farbholzschnitte bei französischen Künstlern wie Pierre Bonnard oder Toulouse-Lautrec ablesbar, wie derzeit eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart zeigt. Aber auch die Kunstzentren München und Wien blieben vom Japanfieber nicht verschont, wie jetzt das Spendhaus in Reutlingen zeigt: Alles war Von Japan inspiriert.

Martha Cunz, Niesen am Abend, 1917

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Zwischen Hell und Dunkel – Nachtstücke beim Stuttgarter Ballett

In der Nacht sollen zwar alle Katzen grau sein, doch keine Tageszeit dürfte derart voller Geheimnisse und Zwischentöne sein wie die Zeit zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. In der Malerei ist es der Bereich des Hell-Dunkel, was nicht heißen muss, des Schwarz-Weiß, in der Literatur ist es das Reich des Geheimnisvollen, auch des Schauders, der Gefahr, in der Musik ist es die Welt der klanglichen Raffinesse, der leisen Töne, der vagen Emotionen. Das Stuttgarter Ballett versucht nun mit einem neuen Programm, die Nacht in Tanz zu definieren.

Edward Clug: „Ssss…“. Tänzer: Hyo-Jung Kang, Pablo von Sternenfels ©Stuttgarter Ballett

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