Philosophie der archaischen Form: Der Bildhauer Jürgen Knubben

Idyllischer kann es kaum mehr sein: Mitten in einem Wäldchen vor den Toren von Rottweil hat sich Jürgen Knubben ein Refugium zugelegt. Vor Jahren hatte er dort ein ehemaliges Militärgelände erworben und als erstes eine riesige Werkhalle errichten lassen, danach ein modern designtes Wohnhaus – und einen Park gestaltet, in dem weitläufig seine Skulpturen verteilt sind, durchweg aus Stahl, durchweg rostig. Das verleiht dem Metall etwas Fragiles, geradezu Lebendiges und ist zugleich symbolisch zu interpretieren – wie alles, was dieser Künstler tut.

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Knubben arbeitet mit einfachen, archaischen Formen – für ihn ein Gegenpol zu unserer modernen Welt, in der alles formbar ist und durchgestylt wirkt, und so baut er aus Stahlplatten Häuser, Treppen, Pyramiden, Boote – allesamt Gebilde, die von Menschen geschaffen wurden, an Menschen erinnern. Knubben orientiert sich in seinen Arbeiten am Menschen, doch der Mensch selbst fehlt in seinem Schaffen. Der Betrachter dieser Skulpturen muss ihn sich in Gedanken ergänzen – und stößt dabei immer wieder an Grenzen, die zum Nachdenken reizen. Denn Knubben gestaltet nur Gebilde, die Ähnlichkeit mit Häusern haben – darin wohnen kann man nicht. Dazu sind sie zu schmal, dazu fehlen Türen, Fenster, und so sind seine Hausobjekte genau genommen geometrisch abstrakte Gebilde, die im Betrachter lediglich entsprechende Assoziationen auslösen.

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Auch seine Treppenskulpturen sind symbolisch zu deuten. Sie führen in die Höhe hinauf – oder umgekehrt aus der Höhe herab, doch betreten kann sie nicht, sie führen ins Leere, sie haben kein Ziel.

Vor dem Wasserschloss in Glatt bei Rottweil stecken im Wassergraben rund um das Schloss Boote, so als seien sie vom Himmel zur Erde gestürzt und hätten sich Bug voran in den Schlick des Grabens gebohrt, das Heck ragt noch heraus. Doch Knubben hat lediglich halbe Boote geschmiedet und in den Wassergraben gestellt. Nur durch die Spiegelung im Wasser erwecken sie den Eindruck, vollständig zu sein mit Bug und Heck.

Immer wieder gestaltet Knubben Stelen, Säulen, bei denen er sich an der unendlichen Säule des Bildhauers Brancusi orientiert: Aus genau berechneten Einzelteilen baut sich die Säule zusammen und stößt in die Höhe vor. Oft findet sich in Knubbens Werken der Aspekt der Addition, des Konstruktiven. All diesen Plastiken liegt eine genaue Planung zugrunde – die stets in symbolische Aussagen mündet.

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So werden seine Säulen nicht selten nach oben hin immer dünner, sie verjüngen sich, als wollten sie sich in Nichts auflösen, als könnte der Stahl sich entmaterialisieren.

Und dann ist da noch das Material. Holz ist ihm zu leicht bearbeitbar, da fehlt ihm der Widerstand; Edelstahl würde er nie nehmen, der wäre ihm zu glatt, zu aseptisch. Er wählt seit Jahrzehnten Stahl, der im Außenraum durch die Luftfeuchtigkeit schnell rostet, Patina ansetzt, sich ständig verändert. Auch das ist für ihn mehr als nur eine Frage des Materials. Hier fasziniert der Aspekt der Zeit – und der Vergänglichkeit, denn auch wenn sein Stahl hart ist, so ist er wegen der Korrosion doch nicht von ewiger Dauer – wie der Mensch. Daher würde er Edelstahl nie verwenden.

Dieser philosophische Charakter seiner Arbeiten hat einen biographischen Hintergrund. Ursprünglich wollte Knubben Theologe werden, obwohl er nicht, wie so viele Theologiestudenten, als Schüler Messdiener war. So studierte er in Tübingen bei Norbert Greinacher, Hans Küng, Walter Kasper, wandte sich aber dann doch der Kunst zu, der er nicht nur als Bildhauer dient. Hauptberuflich ist er Kunsterzieher am Gymnasium, daneben organisiert er in Rottweil im legendären Forum Kunst regelmäßig Ausstellungen und ist auch andernorts als Kurator tätig; diese Vermittlungstätigkeit verhindert, dass er sich in einen Elfenbeinturm der Kunst zurückzieht. Doch sein Lehrdeputat hat er längst drastisch gekürzt – und den größten Teil seiner Zeit bringt er an seinem Lieblingsort zu: In seiner Werkhalle auf dem idyllischen Waldgelände.

Ein Filmporträt von Horst Simschek und mir über Jürgen Knubben findet sich auf Youtube

 

 

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