Psychologie des Spiels – Tschaikowskis Pique Dame an der Oper Stuttgart

Es ist eine Oper der Widersprüche. Auf der einen Seite die leidenschaftliche Liebe zwischen Lisa und German, auf der anderen kühle Berechnung, wenn Lisa sich mit dem reichen Jeletzki verlobt. Hier die große Emotion, da das gierige Verlangen nach dem Spielgewinn am Kartentisch. Und auch musikalisch gibt die Oper Rätsel auf. Einerseits gibt die Musik die großen Gefühle romantisch wieder, auf der anderen zitiert sie die Rokokozeit eines Mozart. Diese Widersprüchlichkeiten sin die Basis für eine neue Inszenierung von Tschaikowskis Werk an der Oper Stuttgart.

Helene Schneiderman (Gräfin), Erin Caves (German

Bei Tschaikowski will German die alte Gräfin zur Herausgabe der legendären drei Karten, die untrüglich gewinnen, zwingen, indem er sie mit einem Revolver bedroht. In Stuttgart hat er auch zur Waffe gegriffen, einem Teppichmesser, doch die Dame stirbt hier nicht aus Schreck vor der Bedrohung, sie stirbt gewissermaßen einen Liebestod in der Umarmung mit dem jungen Mann. Wie sie sich einst dem Grafen St. Germain hingegeben hatte als Preis für die drei Siegerkarten, wiederholt sich hier der Liebesakt (nun mit German) noch einmal der Liebesakt, den sie nicht überlebt. Jossi Wieler und Sergio Morabito haben wieder einmal mit psychologischem Blick das Libretto analysiert, dem zufolge die Gräfin die geheimen Kartenwerte bereits zwei Mal verraten hat, ihrem Mann und einem jungen Liebhaber, ein dritter, so hatte sie geträumt, würde ihr Verderben bringen, und da ist es nur logisch, einen dritten Liebhaber zu vermuten.

Das Glücksspiel ist in dieser Oper untrennbar mit allen Spielarten der Gefühle verbunden, da gibt es nichts Hehres, Reines, das Leben existiert hier stets am Abgrund.

Erin Caves (German), Rebecca von Lipinski (Lisa)

Daher hat Anna Viebrock auch nicht die Welt für die Bühne nachgebaut, die das Libretto der Oper evoziert – angesiedelt zwischen Salon, Spielcasino und Boudoir, ihre Bühnenwelt gleicht der schäbiger Hinterhöfe, Relikte einer besseren Zeit; der Stuck bröckelt von den Wänden bröckelt und lässt banale Hässlichkeit zurück. Das Spiel bestimmt diese Welt, das Spiel, das den Menschen oft alles nimmt, die also nicht auf der Prunkseite des Lebens existieren, sondern auf der Schattenseite. Wieler und Morabito zeichnen eine Welt, die dem Realismus von Dostojewskis Roman Der Spieler entspricht, Lisa und ihre Freundinnen wirken wie Prostituierte, weshalb das Schäferspiel, das ihre Freundinnen aufführen, in dem es um die reine, wahre Liebe geht, noch ironischer wirkt als bei Tschaikowski. Die Gräfin ist eine Edelhure oder auch -zuhälterin im Pelzmantel, den sie kokett über eine Schulter herabhängen lässt.

Ständig erklimmen die Figuren Treppe oder schmale Leitern, um schließlich an eine Wand zu stoßen oder ein Fenster, das eher wie eine Endstation wirkt denn wie ein Durchlass. Am Ende wird sich Lisa denn auch aus solch schwindelnder Höhe in den Tod stürzen.

Auch das Ende der Oper, der Tod des Spielers German, bekommt in Stuttgart eine Liebestodkomponente, sieht fast wie ein Todeskuss der Gräfin aus. Diese Inszenierung zeichnet eine Ausweglosigkeit, die alle in ihren Sog zieht. Kaum auszumachen, was hier Wirklichkeit ist und was purer Wahn, nicht zu entscheiden, ob dem Leben eine mögliche Richtung vorgegeben ist oder ob es willkürlich von einem Punkt zum anderen taumelt. Erin Caves singt den German hochgradig erregt, was den Eindruck dieser Figur als eines haltlosen und letztlich unsicheren Charakters verstärkt, die Lisa von Rebecca von Lipinski ist hin- und hergerissen zwischen Leidenschaft und Vernunft – bei beiden wird der dramatische Ausdruck allerdings erkauft durch Unsicherheiten in der Intonierung. Helene Schneiderman schließlich gestaltet die Gräfin als die große Kokotte, die sie ja schon in ihren Pariser Tagen gewesen sein muss. Und Sylvain Cambreling entwickelt am Pult des Staatorchesters einen Furor, der die Ausweglosigkeit der Handlung und Schicksale verdeutlicht – letztlich eine große Pique-Dame-Sinfonie, bei der die wesentlichen Impulse vom Orchester ausgehen, die Sänger manchmal nur dem Orchester zu folgen scheinen. So skurril so manche Handlungswendung dieser Oper auch wirken mag – alles folgt, das zeigt diese Inszenierung, einer inneren Logik, die von der Psyche ausgeht und die ganze Außenwelt beherrscht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert