Was ist Farbe? Neue Bilder von Tamina Amadyar

Vergleiche helfen, einen Künstler einzuordnen, aber wird man ihm dadurch gerecht? Ist nicht spätestens seit Beginn der Moderne jeder Künstler einzigartig und also unvergleichbar? So ist es wenig hilfreich, die 1989 in Kabul geborene Tamina Amadyar mit Malergrößen wie Helen Frankenthaler, Ellsworth Kelly oder Agnes Martin zu vergleichen, was bereits der Fall war, denn diese drei Künstler sind jeweils höchst unterschiedlich, was Vergleiche verbietet. Wenn man ein Schlagwort bemühen will, dann das der Farbfeldmalerei, denn nichts anderes bringt die Künstlerin auf die Leinwand und hat in ihren neuesten Arbeiten eine sehr freie Behandlung solcher Farbfelder entwickelt, wie eine Ausstellung im Reutlinger Kunstverein demonstriert.

miracle mile, 2018

Man kann an eine Landschaft denken – rötliche Erde unter einem sommerlich blauen Himmel – und tatsächlich hat sich Tamina Amadyar zu ihrem neuesten Bildzyklus von konkreten Landschaftseindrücken inspirieren lassen, und auch der Eindruck der sommerlichen Helle ist nicht falsch, denn die Anregungen erhielt sie in Kalifornien. Doch solche konkreten Assoziationen mögen für einen Künstler wichtig sein, für den Betrachter sind sie nicht von Belang, für ihn zählt nur, was auf dem Bild zu sehen ist, und da fehlt jeder Bezug zu konkreten visuellen Vorgaben. Ungegenständlicher als diese Bilder kann Malerei kaum mehr sein, sie zeigt nichts anderes als Farbfelder – besser allerdings wäre der allgemeinere Begriff Farbflächen. Im Unterschied zu den genannten Künstlern ist Tamina Amadyar in dieser Hinsicht allerdings Minimalistin, denn kein Bild weist mehr als zwei Farben auf: Mal trifft das Blau von oben auf ein Rot, mal lässt es sich von zwei roten Flächen seitlich bedrängen, dann wieder scheint sich ein helles Grün nach oben gegen ein Gelb durchsetzen zu wollen.

Das sind aggressiv anmutende Begriffe, doch genau sie treffen den Kern dieser Malerei. Tamina Amadyar setzt nicht einfach farbige Flächen auf die Leinwand, sie zeigt, wie Farbe geradezu zu Form drängt.

cactus city, 2018

Wenn zwei dunkelblaue Farbovale einen gelben Farbstreifen einrahmen, dann sieht ein solches Farbgeschehen aus wie eine Kriegserklärung: Das Gelb mag einmal oval gewesen sein, doch wurde es vom Blau derart bedrängt, dass es sich zu einem schmalen Streifen zusammengezogen hat. Farbe gebiert, ja erzwingt Form. Dasselbe Gelb zwischen zwei lila Feldern kann ungleich freier atmen. Man steht vor diesen Bildern und erkennt, dass Farbe nicht nur pigmentierte Materie ist.

Man erkennt aber auch – und das unterscheidet diese Bilder etwa von den Hardedgebildern eines Ellsworth Kelly -, dass Farbe nicht eine undurchdringliche Schicht auf einem Malgrund ist, sondern dass Farbe lebt. Man sieht bei diesen Bildern jeden Pinselstrich, sieht die Farbe auslaufen, sich verdichten – und wenn sich zwei Farbfelder leicht überlappen, sieht man auch das Mischungsgebaren unterschiedlicher Farben. 

silver lake, 2018

Tamina Amadyar trägt die Farben pur auf, lediglich mit etwas Tierleim gebunden. So spürt man, dass Farbe Licht ist, Transparenz, man sieht aber auch, dass Farbe, so dünn sie auch aufgetragen sein mag, durchaus stofflich ist. Blickt man von der Seite an den Leinwänden entlang, erkennt man, wie sich die Farbe von der Leinwand abhebt, dass sie trotz der Transparenz wie eine Schicht über der Leinwand liegt: Farbe wird buchstäblich aufgetragen. Da die Farben aber so leicht wirken, scheinen die Gebilde, die sie auf der Leinwand bildet, zu schweben, als wollten sie sich von ihrem Grund lösen.

So führen diese Bilder dem Betrachter vor Augen, was Malerei ist, sofern er vor diesen Bildern in einen reflektierenden Diskurs tritt, denn sonst siond es lediglich Farbfelder auf Leinwand. Denkt er aber über das nach, was sich seinen Augen darbietet, dann fragt er nach, was Malerei sein kann, beginnt er, bisherige Sehgewohnheiten zu hinterfragen, gerade weil auf diesen Bildern auf den ersten Blick so wenig geschieht: Es gibt nichts als zwei Farben, doch enthalten sie Welten voller Ausdruck und Konflikte, die ganz ohne Inhalte auskommen und doch von größter Dramatik sind.

Tamina Amadyar: Big Blue Sky“, Kunstverein Reutlingen bis 13.5.2018

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