Wer bin ich? Künstler befragen sich selbst im Forum Kunst Rottweil

Der Philosoph René Descartes sah es als eine zentrale Institution – das Ich; er setzte es mit der Existenz gleich – ich denke, also bin ich. In der griechischen Mythologie ist ein so auf die eigene Person bezogenes Denken tödlich: Narziss stirbt an seiner Selbstverliebtheit und wird zur Blume – der Narzisse. Was aber ist das Ich – und wie viele gibt es, wie der Schriftsteller Richard David Precht in einem Buchtitel fragt. Das Forum Kunst in Rottweil zeigt in einer Ausstellung Beispiele, wie Künstler das Ich deuten: Ich, ich, ich.

Ottmar Hörl scheint sich ganz sicher, was das ist, das Ich, mit dem der Mensch sich selbst bezeichnet. Er sprühte das Wort auf einen Spiegel, also auf die Fläche, auf der einem ein Bild seiner selbst erscheint. Aber ist das tatsächlich das „Ich“? Schon die Tatsache, dass Hörl einen Spiegel benutzt, lässt es fragwürdig erscheinen, denn das Spiegelbild gibt alles seitenverkehrt wieder. Vor allem sieht der Betrachter in Hörls Spiegel neben oder hinter der Schrift nicht etwa das Abbild des Künstlers, sondern sich selbst.

Kein Wunder, dass Dieter Krieg sich nicht mit einem einzigen Spiegel begnügte. Auch er verwendete 2013 das Wort „Ich“, zerlegte es aber in seine drei Buchstaben und malte sie in seiner charakteristischen Handschrift auf drei Spiegel nebeneinander. Auch das ist „Ich“, aber verbunden mit der Frage: Welches Ich ist denn nun das eigentliche?

Anna Herrgott geht da scheinbar wissenschaftlich-medizinisch vor. Auch sie verwendet Schrift und hat in zwölf Zeilen die einzelnen Körperregionen festgehalten, von Augen und Ohren oben bis zu den Füßen unten. Dazwischen freilich sät auch sie Zweifel. So hat jeder Mensch eine Brust, aber nur Frauen haben Brüste. Frauen versuchen, ihren Bauch schlank zu halten, Männer brüsten sich dagegen gern mit einem Sixpack, der ihnen freilich nicht von der Natur mitgegeben wurde, sondern mühsam antrainiert werden muss.

Ähnliche Zweifel lässt Anna Herrgott auch in einer zweiten Arbeit aufkommen. Sie hat wie bei einem Kinderspiel Augenmasken gestaltet und die verschiedenen Exemplare nebeneinander platziert. Wie will man aussehen? WANNA LOOK LIKE…?, und entscheidend ist das Fragezeichen.

Das Spiel mit dem mehrfachen Ich treibt auch Katharina Mayer um. Sie legt ein Doppelporträt von sich im alten Stil vor – welches ist ihr wahres Ich? Und auch ihr Foto IchmitRamallakleidSchultüte lässt alle Fragen nach dem eigentlichen Ich offen.

Vielfalt scheint auch Albert Hien umgetrieben zu haben. Er hat wie Krieg drei Spiegel verwendet und sie an Stangen übereinander platziert. Man muss allerdings schon die richtige Position einnehmen, um sich gleich dreimal zu sehen.

Zweimal dagegen kann sich, wie Timm Ulrichs deutlich vorführt, jeder sehen. Man braucht nur einmal das linke, dann das rechte Auge zu schließen. Die beiden Spiegelbilder werden nie deckungsgleich sein, sondern seitlich verschoben: Mit dem linken Auge – mit dem rechten Auge. Beide sind Abbilder ein und derselben Person, stehen aber gewissermaßen neben sich.

Da ist Peter Hrbek sehr viel nüchterner. Er stellt als Bild seiner selbst ein Gehirn im Gemälde dar, und fragt uns und vielleicht auch sich selbst: Ganz schön groß, oder? Tatjana Doll dagegen scheint auf Äußeres zu achten und hat auf einen Spiegel das Bundesverdienstkreuz platziert; auch das ein Selbstporträt?

Das Gehirn scheint dagegen bei Thomas Putze nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen. Er porträtiert sein Altes Ego, einen alten, hässlichen Mann, auf eine Holztür gemalt: das Schloss mit Klinke dient als Hand – ein „Spiegelbild“ der besonderen Art.

Dass so viele Spiegel in der Auseinandersetzung mit dem Ich auftauchen, ist natürlich kein Zufall, schließlich bietet er jedem von uns, selbst ohne Handykamera, ein heute so beliebtes Selfie. Weshalb eine Wand des Ausstellungsraums den Selfies vorbehalten ist, die die Ausstellungsbesucher an das Forum Kunst geschickt haben und noch schicken. Die Auswahl verändert sich und zeigt mal ernst gemeinte Selbstporträts, mal Grimassen, mal einfach nur gehende Füße. Ob man freilich dafür gleich die größte Wand des Ausstellungsraums freihalten musste, ist eine andere Frage.

Ich, ich, ich. Selbstdarstellung heute.“ Forum Kunst Rottweil bis 5.11.2023

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